Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
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Auf Grund verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ist die Wohnungsdurchsuchung gegen den Willen des Schuldners (§§ 758, 759) nur auf Grund besonderer richterlicher Anordnung oder bei Gefahr im Verzuge möglich (Art. 13 Abs. 2 GG; § 758a)[34]. Die an diesen Grundsatz anknüpfenden Streit- und Zweifelsfragen sind kaum zu überschauen, ebenso wenig Rechtsprechung und Literatur.
Nach Auffassung des BVerfG widerspräche es dem Zweck des Art. 13 GG, schon in jedem richterlichen Titel die potenzielle Anordnung der Wohnungsdurchsuchung zu sehen (Art. 13 Abs. 2 GG); vielmehr sei in der konkreten Vollstreckungssituation jeweils neu richterlich zu prüfen, ob der Eingriff in das Grundrecht erfolgen dürfe. Die Prüfung des Richters erstreckt sich nach dem BVerfG auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einer Vollstreckung und die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei dieser qualifizierten Vollstreckung durch Wohnungsdurchsuchung (Krankheit des Schuldners oder Familienangehöriger, Bagatellforderungen). Es ist schon ausgeführt, dass bei der Zwangsvollstreckung das Rechtsschutzgrundrecht des Gläubigers gegen die Grundrechte des Schuldners abzuwägen und die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch diese Grundrechtskollision geprägt ist (Rn. 7.41 ff.); die Gleichsetzung der Durchsuchungsproblematik für privatrechtliche (BVerfGE 51, 97) und hoheitliche Titel (BVerfGE 57, 346) ist daher fragwürdig. Ebenso wenig kann die strenge Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit von Durchsuchungen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren[35] ohne weiteres voll auf die Durchsuchung im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens übertragen werden.
b) Die Verhältnismäßigkeit
8.14
Die Verhältnismäßigkeitskontrolle sollte nur ganz grobe Entgleisungen des Gläubigers verhindern wollen (z.B. Pfändung in der Wohnung wegen € 100,– bei Schwerkrankem)[36]. Keinesfalls lässt sich z.B. von vornherein sagen, dass die Wahrnehmung des Rechtsschutzgrundrechts durch Wohnungsdurchsuchung bei Bagatellforderungen stets unverhältnismäßig wäre[37]. Ob andere Versuche vorausgehen müssen, hängt davon ab, inwieweit man sie für weniger einschneidend hält (z.B. Taschenpfändung u.U. vor Mitbürgern; Kontopfändung mit Kenntnisnahme durch Bank; Gehaltspfändung mit Kenntnisnahme durch Arbeitgeber; Immobiliarvollstreckung[38]); hier führt eine weitgefasste Verhältnismäßigkeitskontrolle zu gültig nicht zu beantwortenden Wertungsfragen, die auch das BVerfG allgemein nicht ausräumen kann und deren Ambivalenz die Praxis verunsichert. Es bleibt sinnvollerweise nur die Kontrolle groben Missbrauchs, die allerdings durch schuldnerische Rechtsbehelfe ebenso gut gewährleistet gewesen wäre[39] (s. zur ausführlichen Kritik noch Rn. 7.43).
c) Grundsätzliche Erforderlichkeit der richterlichen Erlaubnis
8.15
Wenn man die Entscheidungen des BVerfG voll ernst nimmt – und dazu sind die Staatsorgane mangels verfassungsgesetzgeberischer Korrektur gehalten –, so müssen nahezu alle Versuche zur praktischen Eindämmung der Konsequenzen negativ beurteilt werden. Die allgemeine richterliche Vollstreckungsanordnung auf Rechtsbehelf des Gläubigers ist nicht ausreichend; unhaltbar erscheint deshalb BVerfGE 16, 239, 240 trotz verfassungsrichterlicher Harmonisierungsversuche in BVerfGE 51, 97, 112[40]. Die Durchsuchungsanordnung muss Gläubiger, zu vollstreckender Titel und zu durchsuchende Räume angeben[41]. Die richterliche Durchsuchungsanordnung nach § 758a Abs. 1 schließt die Erlaubnis zur nächtlichen und feiertäglichen Wohnungsdurchsuchung (§ 758a Abs. 4) nicht mit ein[42], umgekehrt umfasst die Anordnung nach § 758a Abs. 4 im Rahmen ihrer zeitlichen Reichweite auch die Ermächtigung nach § 758a Abs. 1. Nacht- oder Feiertagsvollstreckung bedarf auch bei Gefahr im Verzug besonderer Anordnung[43]. Betreten ist nach h.M.[44] zwar noch kein „Durchsuchen“, weil das „Durchsuchen“ gekennzeichnet ist durch das ziel- und zweckgerichtete Suchen zur Sachverhaltsermittlung, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offen legen oder herausgeben will. Gleichwohl stellt das Betreten gegen den Willen des Hausherrn oder bevollmächtigter Personen einen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung dar[45], der besonderer Legitimation bedarf. Da Art. 13 Abs. 7 GG insoweit nicht weiterhilft, bleibt nur der Weg über die richterliche Erlaubnis[46].
Der § 758a Abs. 1 ZPO i.d.F. der 2. Zwangsvollstreckungsnovelle 1999 geht von dem Erfordernis richterlicher Anordnung bei „Durchsuchung“ aus, ohne diese Zweifelsfrage klarzustellen. Der Rechtssicherheit dient diese wörtliche Umsetzung der BVerfG-Rechtsprechung letztlich nicht. Die gesetzliche Regelung gibt keinen Anlass, die hier vertretene Auffassung zu ändern.
d) Geschäftsräume
8.16
Geschäftsräume sind „Wohnung“ i.S.d. Art. 13 GG[47], sodass auch insoweit die richterliche Anordnung nötig bleibt[48]; auch juristische Personen und Personenvereinigungen genießen den Schutz des Art. 13 GG[49]. – Richtig ist zwar, dass zur Pfändung offen ausgelegter Ware oder Gegenstände keine eigentliche Durchsuchungshandlung erforderlich ist[50], wenn man das soeben erwähnte, einschränkende Verständnis des Durchsuchungsbegriffs zugrundelegt. Richtig ist auch, dass das BVerfG die Schutzbedürftigkeit von Geschäftsräumen geringer einstuft als die „echter“ Wohnungen und dem bei Auslegung des Art. 13 Abs. 3 GG Rechnung trägt[51]. Nichtsdestotrotz ist für das Betreten von Geschäftsräumen zur Vornahme von Vollstreckungshandlungen gegen den Willen des Schuldners (und die Öffnung zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte ist keine generelle Einwilligung[52] oder wenn, dann jedenfalls eine widerrufliche[53]) eine gesetzliche Grundlage vonnöten[54], die nicht in den nur die Durchsuchung ansprechenden §§ 758 Abs. 1 ZPO, 287 Abs. 1 AO gesehen werden kann[55] (und ebenso wenig in den §§ 808 ZPO, 286 Abs. 1 AO[56]). Zu Recht wird daher in BVerfGE 76, 83, 89 formuliert, die richterliche Erlaubnis gestatte dem GV zum einen das Betreten der Räume des Schuldners und gebe ihm zum anderen auch das Recht, sich für die Dauer der Ausführung seines Vollstreckungsauftrages dort aufzuhalten.
e) Mehrere Gläubiger
8.17
Sehr scharfsinnig ist die Folgerung des BVerfG[57], dass die Durchsuchung durch den GV zur Erledigung mehrerer Pfändungsaufträge (§ 827 Abs. 3 ZPO) dann gegen Art. 13 Abs. 1 GG verstößt, wenn für einen Teil der Gläubiger keine Durchsuchungserlaubnis vorliegt, der GV sich aber wegen der Vollstreckung für diese Gläubiger länger in den Räumen des Schuldners aufhalten muß[58]. Die Begründung, die richterliche Erlaubnis gestatte dem GV neben dem Betreten der Räume des Schuldners das Verweilen nur so lange, wie es zur Durchführung des jeweiligen Auftrages erforderlich sei, wirkt etwas überspitzt. Das „längere Verweilen“ wegen der Vollstreckung zu Gunsten der ohne Durchsuchungsanordnung agierenden Gläubiger lässt sich besonders schwer feststellen, wenn man dem GV zugesteht, sich nach dem Betreten der Wohnung zunächst einen Überblick über die gesamte verwertbare Habe zu verschaffen; dann kann es auf die Dauer der Verlängerung („Blick auf den Minutenzeiger“) ankommen[59]. Weniger Erfolg versprechend ist der Umgehungsversuch, für die übrigen Gläubiger wegen der gegebenen Gläubigerkonkurrenz Gefahr im Verzug anzunehmen und deshalb das Erfordernis einer richterlichen Erlaubnis abzulehnen[60]. Dagegen spricht auch die vom BVerfG favorisierte enge Auslegung des Begriffs „Gefahr im Verzug“[61].
f) Eheliche Wohnungen und Wohngemeinschaften
8.18
Zunächst muss man sich die verfassungsrechtliche Ausgangslage vergegenwärtigen. Bei ehelichen Wohnungen oder Wohngemeinschaften greift die Durchsuchung