Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

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Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns

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      15.57

      Zur Geltendmachung seines Anspruchs aus § 717 stehen dem Schuldner zwei Möglichkeiten zur Wahl:

      15.58

      Er kann mittels Klage vor dem zuständigen erstinstanzlichen Gericht gegen den Gläubiger vorgehen, also in einem besonderen Rechtsstreit außerhalb des Verfahrens, in dem das vorläufig vollstreckbare Urteil aufgehoben oder abgeändert worden war. Insofern bestehen keinerlei Besonderheiten gegenüber jeder anderen Rechtsverfolgung.

      15.59

      Der Schuldner kann aber auch in dem anhängigen Rechtsstreit, in dem über die Aufhebung bzw. Abänderung oder die Aufrechterhaltung des Vollstreckungstitels erst entschieden werden soll, den Antrag stellen, ihm für den Fall der Aufhebung oder Abänderung Schadensersatz bzw. Bereicherungsherausgabe zuzusprechen (§ 717 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2). Dabei handelt es sich dann – ohne wesentlichen Unterschied[115] – entweder um eine in ihren Zulässigkeitsvoraussetzungen privilegierte Widerklage oder um einen Inzidentantrag des Beklagten über einen erst künftig – nämlich mit der Verkündung des Urteils – entstehenden Anspruch[116].

      Durch einen Antrag nach § 717 wird der Streitwert des anhängigen Prozesses nicht erhöht. Auch zurückverlangte Zinsen und Kosten werden dem Streitwert nicht zugerechnet; anders nur, wenn nach § 717 Abs. 2 Ersatz eines weitergehenden Schadens verlangt wird[117].

      Ist Schuldner des Anspruchs aus § 717 nicht der Kläger, sondern sein Rechtsnachfolger (Rn. 15.53), so ist bei Geltendmachung im anhängenden Prozess der Rechtsnachfolger zu verurteilen, obwohl der Kläger gemäß § 265 Partei des Rechtsstreits bleibt[118].

      Die Entscheidung über den Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruch ergeht durch Endurteil, gleichviel ob ihn der Schuldner durch besondere Klage oder durch Antrag im anhängigen Verfahren erhebt. Für dieses Urteil gelten hinsichtlich der Rechtsmittel und der Vollstreckbarkeit die allgemeinen Grundsätze[119].

      15.60

      Der rechtliche Charakter des Anspruchs aus § 717 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ist schwer zu bestimmen. Am einleuchtendsten ist es, ihn als privatrechtlichen Aufopferungsanspruch zu erklären: der Schuldner bekommt einen Ausgleich dafür, dass er die Zwangsvollstreckung aus dem – wie sich in der Rechtsmittelinstanz herausstellt – ungerechtfertigt gegen ihn ergangenen Urteil ohne Abwehrmöglichkeit hat hinnehmen müssen[120]. Der BGH qualifiziert den Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 in seiner jüngeren Rechtsprechung als prozessrechtlichen Anspruch, soweit er auf die Erstattung des auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urteils erlangten Betrages gerichtet ist[121]; dies müsste folgerichtig auch für den Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 gelten. Soweit dagegen weitergehender Schaden zu ersetzen ist, geht der BGH von materiellrechtlicher Natur des Anspruchs aus (s. Rn. 15.56)[122].

      Die h.M. sieht in § 717 einen Fall der Gefährdungshaftung, aber nur deshalb, weil die Ersatzpflicht des Gläubigers unabhängig von seinem Verschulden besteht[123]. Aus dieser Qualifizierung wird dann die Folgerung abgeleitet, dass der Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32) eingeklagt werden könne[124]; der BGH ging bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung von dreijähriger Verjährung (entsprechend § 852 BGB a.F.) aus (heute Regelverjährung gem. § 195 BGB)[125], konsequenterweise kommt die analoge Anwendung von § 852 BGB n.F. in Betracht, die der BGH jedoch für die inhaltgleiche Vorgängernorm alten Rechts (§ 852 Abs. 3 a.F.) verneint, weil § 717 Abs. 2 eine Risikohaftung für erlaubtes Verhalten begründe[126].

      15.61

      Aus § 717 ergibt sich kein allgemeiner Grundsatz, dass die Vornahme einer unberechtigten Zwangsvollstreckung den Gläubiger auch ohne Verschulden schadensersatzpflichtig mache (s.a. Rn. 5.22). Vielmehr sind bezüglich einer entsprechenden Anwendung des § 717 folgende Fallgruppen zu unterscheiden:

      15.62

      Eine entsprechende Anwendung ist vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen,

- wenn ein vorläufig vollstreckbarer Beschluss über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs im Verfahren der Rechtsbeschwerde aufgehoben wird (§ 1065 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 717);
- wenn sich die Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch ein Schiedsgericht als von Anfang an ungerechtfertigt erweist (§ 1041 Abs. 4);
- wenn ein unter dem Vorbehalt der Entscheidung über die Aufrechnung ergangenes Urteil im Nachverfahren aufgehoben wird (§ 302 Abs. 4 S. 3, 4);
- wenn ein unter dem Vorbehalt der Rechte im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess ergangenes Urteil im Nachverfahren aufgehoben wird (§ 600 Abs. 2 i.V. mit § 302 Abs. 4 S. 3 und 4);
- wenn sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist (§ 945; dazu unten Rn. 52.31 ff., 54.23 ff.);
- wenn die Vollstreckung eines ausländischen Titels zu Unrecht erfolgte[127].

      15.63

      § 717 ist wegen der Gleichheit der Interessenlage entsprechend anzuwenden, obwohl das im Gesetz nicht besonders zum Ausdruck gekommen ist,

- wenn ein Kostenfestsetzungsbeschluss[128] oder ein in § 794 Abs. 1 Nr. 3 genannter Beschluss[129] vollstreckt und dann aufgehoben wird;
- wenn eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs (§ 304) aufgehoben wird und damit auch das bereits vollstreckte Urteil über den Betrag hinfällig wird[130];
- wenn ein Zwischenurteil nach § 280, in dem eine prozesshindernde Einrede verworfen wurde, aufgehoben wird und damit auch das bereits vollstreckte Urteil über die Hauptsache hinfällig wird.

      15.64

      Nicht entsprechend anwendbar

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