der Erkenntniß und Einsicht erreicht hätten, von welcher aus sie nun fast mitleidig auf Kants mühsälige Vorarbeit zu ihrer Herrlichkeit herabsähen: sie also wären erst die eigentlich großen Philosophen. Was Wunder, daß die jungen Leute, – ohne eigenes Urtheil und ohne jenes, oft so heilsame Mißtrauen gegen die Lehrer, welche nur der exceptionelle, d. h. mit Urtheilskraft und folglich auch mit dem Gefühl derselben, ausgestattete Kopf schon auf die Universität mitbringt, – eben glaubten, was sie vernahmen, und folglich vermeinten, sich mit den schwerfälligen Vorarbeiten zu der neuen hohen Weisheit, also mit dem alten, steifen Kant, nicht lange aufhalten zu dürfen; sondern mit raschen Schritten dem neuen Weisheitstempel zueilten, in welchem demgemäß, unter dem Lobgesang stultifizirter Adepten, jetzt jene drei Windbeutel successiv auf dem Altar gesessen haben. Nun ist aber leider von diesen drei Götzen der Universitätsphilosophie nichts zu lernen: ihre Schriften sind Zeitverderb, ja, Kopfverderb, am meisten freilich die Hegelschen. Die Folge dieses Ganges der Dinge ist gewesen, daß allmälig die eigentlichen Kenner der Kantischen Philosophie ausgestorben sind, also, zur Schande des Zeitalters, die wichtigste aller je aufgestellten philosophischen Lehren ihr Daseyn nicht als ein lebendiges, in den Köpfen sich erhaltendes, hat fortsetzen können; sondern nur noch im todten Buchstaben, in den Werken ihres Urhebers, vorhanden ist, um auf ein weiteres, oder vielmehr nicht bethörtes und mystifizirtes Geschlecht zu warten. Demgemäß wird man kaum noch bei einigen wenigen, älteren Gelehrten ein gründliches Verständniß der Kantischen Philosophie finden. Hingegen haben die philosophischen Schriftsteller unserer Tage die skandalöseste Unkenntniß derselben an den Tag gelegt, welche am anstößigsten in ihren Darstellungen dieser Lehre erscheint, aber auch sonst, sobald sie auf die Kantische Philosophie zu sprechen kommen und etwas davon zu wissen affektiren, deutlich hervortritt: da wird man denn entrüstet, zu sehn, daß Leute, die von der Philosophie leben, die wichtigste Lehre, welche seit 2000 Jahren aufgestellt worden und mit ihnen fast gleichzeitig ist, nicht eigentlich und wirklich kennen. Ja, es geht so weit, daß sie die Titel der Kantischen Schriften falsch citiren, auch gelegentlich Kanten das gerade Gegentheil von dem sagen lassen, was er gesagt hat, seine termini technici bis zur Sinnlosigkeit verstümmeln und ohne alle Ahndung des von ihm damit Bezeichneten gebrauchen. Denn freilich, mittelst eines flüchtigen Durchblätterns der Kantischen Werke, wie es solchen Vielschreibern und philosophischen Geschäftsleuten, welche zudem vermeinen, das Alles längst hinter sich zu haben, allein zusteht, die Lehre jenes tiefen Geistes kennen zu lernen, geht nicht an, ja, ist ein lächerliches Vermessen; sagte doch Reinhold, Kants erster Apostel, daß er erst nach fünfmaligem, angestrengtem Durchstudiren der Kritik der reinen Vernunft in den eigentlichen Sinn derselben eingedrungen wäre. Aus den Darstellungen, die solche Leute liefern, vermeint dann wieder ein bequemes und nasegeführtes Publikum in kürzester Zeit und ohne alle Mühe Kants Philosophie sich aneignen zu können! Dies aber ist durchaus unmöglich. Nie wird man ohne eigenes, eifriges und oft wiederholtes Studium der Kantischen Hauptwerke auch nur einen Begriff von dieser wichtigsten aller je dagewesenen philosophischen Erscheinungen erhalten. Denn Kant ist vielleicht der originellste Kopf, den jemals die Natur hervorgebracht hat. Mit ihm und in seiner Weise zu denken, ist etwas, das mit gar nichts Anderm irgend verglichen werden kann: denn er besaß einen Grad von klarer, ganz eigenthümlicher Besonnenheit, wie solche niemals irgend einem andern Sterblichen zu Theil geworden ist. Man gelangt zum Mitgenuß derselben, wenn man, durch fleißiges und ernstliches Studium eingeweiht, es dahin bringt, daß man, beim Lesen der eigentlich tiefsinnigen Kapitel der Kritik der reinen Vernunft, der Sache sich ganz hingebend, nunmehr wirklich mit Kants Kopfe denkt, wodurch man hoch über sich selbst hinausgehoben wird. So z. B., wenn man ein Mal wieder die Grundsätze des reinen Verstandes durchnimmt, zumal die Analogien der Erfahrung betrachtet und nun in den tiefen Gedanken der synthetischen Einheit der Apperception eindringt. Man fühlt sich alsdann dem ganzen traumartigen Daseyn, in welches wir versenkt sind, auf wundersame Weise, entrückt und entfremdet, indem man die Urelemente desselben jedes für sich in die Hand erhält und nun sieht, wie Zeit, Raum, Kausalität, durch die synthetische Einheit der Apperception aller Erscheinungen verknüpft, diesen erfahrungsmäßigen Komplex des Ganzen und seinen Verlauf möglich machen, worin unsere, durch den Intellekt so sehr bedingte Welt besteht, die eben deshalb bloße Erscheinung ist. Die synthetische Einheit der Apperception ist nämlich derjenige Zusammenhang der Welt als eines Ganzen, welcher auf den Gesetzen unsers Intellekts beruht und daher unverbrüchlich ist. In der Darstellung derselben weist Kant die Urgrundgesetze der Welt nach, da, wo sie mit denen unsers Intellekts in Eins zusammenlaufen, und hält sie uns, auf Einen Faden gereiht, vor. Diese Betrachtungsweise, welche Kanten ausschließlich eigen ist, läßt sich beschreiben als der entfremdeteste Blick, der jemals auf die Welt geworfen worden, und als der höchste Grad von Objektivität. Ihr zu folgen gewährt einen geistigen Genuß, dem vielleicht kein anderer gleich kommt. Denn er ist höherer Art, als der, den Poeten gewähren, welche freilich Jedem zugänglich sind, während dem hier geschilderten Genusse Mühe und Anstrengung vorhergegangen seyn müssen. Was aber wissen von derselben unsere heutigen Professionsphilosophen? Wahrhaftig nichts. Kürzlich las ich eine psychologische Diatribe von einem derselben, in der viel von Kants synthetischer Apperception (sic) die Rede ist: denn Kants Kunstausdrücke gebrauchen sie gar zu gern, wenn auch nur, wie hier, halb aufgeschnappt und dadurch sinnlos geworden. Dieser nun meynte, darunter wäre wohl die angestrengte Aufmerksamkeit zu verstehn! Diese nämlich, nebst ähnlichen Sächelchen, machen so die Favoritthemata ihrer Kinderschulenphilosophie aus. In der That haben die Herren gar keine Zeit, noch Lust, noch Trieb den Kant zu studiren: – er ist ihnen so gleichgültig, wie ich es bin. Für ihren verfeinerten Geschmack gehören ganz andere Leute. Nämlich was der scharfsinnige Herbart und der große Schleiermacher, oder gar Hegel selbst gesagt hat, – das ist Stoff für ihre Meditation und ihnen angemessen. Zudem sehn sie herzlich gern den Alleszermalmer Kant in Vergessenheit gerathen, und beeilen sich, ihn zur todten, historischen Erscheinung zu machen, zur Leiche, zur Mumie, der sie dann ohne Furcht ins Angesicht sehn können. Denn er hat im allergrößten Ernst dem jüdischen Theismus in der Philosophie ein Ende gemacht; – welches sie gern vertuschen, verhehlen und ignoriren, weil sie ohne denselben nicht leben, – ich meyne nicht essen und trinken, – können.
Nach einem solchen Rückschritt vom größten Fortschritt, den jemals die Philosophie gemacht, darf es uns nicht wundern, daß das angebliche Philosophiren dieser Zeit einem völlig unkritischen Verfahren, einer unglaublichen, sich unter hochtrabenden Phrasen versteckenden Rohheit und einem naturalistischen Tappen, viel ärger, als es je vor Kant gewesen, anheim gefallen ist. Da wird denn z. B. mit der Unverschämtheit, welche rohe Unwissenheit verleiht, überall und ohne Umstände von der moralischen Freiheit, als einer ausgemachten, ja, unmittelbar gewissen Sache, desgleichen von Gottes Daseyn und Wesen, als sich von selbst verstehenden Dingen, wie auch von der Seele als einer allbekannten Person geredet; ja sogar der Ausdruck angeborene Ideen, der seit Locke’s Zeit sich hatte verkriechen müssen, wagt sich wieder hervor. Hieher gehört auch die plumpe Unverschämtheit, mit der die Hegelianer, in allen ihren Schriften, ohne Umstände und Einführung, ein Langes und Breites über den sogenannten Geist reden, sich darauf verlassend, daß man durch ihren Gallimathias viel zu sehr verblüfft sei, als daß, wie es Recht wäre, Einer dem Herrn Professor zu Leibe gienge mit der Frage: Geist? wer ist denn der Bursche? und woher kennt ihr ihn? ist er nicht etwan bloß eine beliebige und bequeme Hypostase, die ihr nicht ein Mal definirt, geschweige deducirt, oder beweist? Glaubt ihr ein Publikum von alten Weibern vor euch zu haben? – Das wäre die geeignete Sprache gegen einen solchen Philosophaster.
Als einen belustigenden Charakterzug des Philosophirens dieser Gewerbsleute, habe ich schon oben, bei Gelegenheit der synthetischen Apperception, gezeigt, daß, obwohl sie Kants Philosophie, als ihnen sehr unbequem, zudem viel zu ernsthaft, nicht gebrauchen, auch solche nicht mehr recht verstehen können, sie dennoch gern, um ihrem Geschwätze einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, mit Ausdrücken aus derselben um sich werfen, ungefähr wie die Kinder mit des Papa’s Hut, Stock und Degen spielen. So machen es z. B. die Hegelianer mit dem Worte Kategorien, womit sie eben allerlei weite allgemeine Begriffe bezeichnen; unbekümmert um Aristoteles und Kant, in glücklicher Unschuld. Ferner ist in der Kantischen Philosophie stark