die Beine gespreizt. Niemand sah ihm an, daß er vor Erwartung nahezu barst.
Zwölf Uhr.
Jeder in der breiten Mainstreet wußte es.
Hier und da wurden die Uhren gezogen. Und dann wisperte, flüsterte, tuschelte und hechelte es von allen Seiten, lauter und lauter sprachen die Menschen.
Mitten in dem aufkommenden Lärm stand der Mann, einsam, mitten auf der Mainstreet.
Wynn Chesterton war auf die Treppe zu seinem Office getreten und versuchte über die Köpfe der Menschenmenge hinwegzublicken.
Vier Minuten nach zwölf.
Da schob sich drüben vor Bakers Saloon ein untersetzter Mann in den dreißiger Jahren durch die Leute auf die Straße.
Er hatte einen neuen grauen Hut auf dem Kopf, trug einen hellgrauen, ziemlich neuen Anzug und hochhackige Schuhe. Unter dem Rock blickten auf beiden Schenkeln die Halfter schwerer Revolver.
Der Mann kam bis auf zwanzig Schritte an Wyatt heran. Da blieb er stehen.
Mitten auf der Mainstreet.
Sein Gesicht war bleich, pergamentfarben. Seine Augen pulvergrau und lauernd.
Alle Geräusche waren plötzlich wieder verstummt.
War das Silk Cassedy, der Bandit?
Wyatt blickte dem Mann gelassen entgegen, ohne die Arme auseinanderzunehmen. Erst nach einer vollen Minute fragte er. »Was wollen Sie, Mann?«
Der andere senkte den Kopf beim Sprechen. Er hatte eine unangenehm näselnde Stimme. »Ich bin Rob Gettaway. Ich komme für Cassedy!«
Wyatt nahm die Arme von der Brust und stemmte sie in die Hüfte. »Ah, für Silk Cassedy?«
»Ja«, wiederholte der Mann, und ein maskenhaftes Lächeln verschob seinen Mund in die Breite.
»Und dazu haben Sie vier Minuten gewartet?«
»Was heißt das?« fragte Gettaway scharf zurück.
»Sie haben gewartet, ob sich Cassedy nicht doch meldete.«
»Richtig, denn ihn hatten Sie ja gefordert!«
»Und da wollen Sie mich glauben machen, er hätte Sie geschickt?«
»Ich will Sie das nicht glauben machen, Earp. Es ist so.«
»Hören Sie, Mann – ich bin für Sie nicht Earp, sondern Mr. Earp!«
Wieder zerknitterte das künstliche Lächeln des Pergamentgesichts.
Wyatt machte eine verabschiedende, wenig freundliche Geste mit dem linken Handrücken. »Verschwinden Sie, Mann!«
Gettaway blieb stehen.
»Sie sollen verschwinden!« herrschte Wyatt ihn an.
»Ich will mich mit Ihnen schießen!« stieß der Fremde jetzt ganz plötzlich hervor.
Wyatt lachte hart auf. »Genauso hab’ ich mir das gedacht! Ein Revolverschwinger! Mann, ich bin Constabler und jage einen Verbrecher. Ich habe ihn öffentlich gefordert – nicht aber einen Appell an alle Schießer in Wyoming losgelassen.«
»Sie kneifen also?« fragte der Mann kalt.
Wyatt kam mit großen Schritten auf ihn zu. »Es gelingt Ihnen nicht, mich zum Schießen zu reizen, Freund! Geben Sie sich also gar keine Mühe. Sie sind ein Revolvermann und haben von dem Duell gehört. Vielleicht hat Ihnen auch jemand was über mich geflüstert, aber Sie haben Pech gehabt und den Ritt umsonst gemacht. Ich schieße mich nicht zum Vergnügen mit jedem Coltschwinger. Verstanden?«
Wyatt drehte sich um und ging die Straße hinunter.
Das Gesicht des Durchschauten war wächsern geworden. Er stieß den Kopf vor und schrie: »Earp, zieh!«
Wyatt ging seelenruhig weiter.
Plötzlich krachte ein Schuß.
Die Kugel zerfetzt den rechten Stiefelabsatz des Constablers. Da blieb Wyatt stehen und wandte sich langsam um, ging zurück, auf den steif und breitbeinig Dastehenden zu, holte aus und versetzte ihm eine solche Ohrfeige, daß er in den gelben Staub der Straße rollte und wie gepudert aussah, als er sich unter dem johlenden Gelächter der Menge erhob.
Und doch sollten all diejenigen, die sich schon enttäuscht von dieser faden Vorstellung und verärgert über den weiten Ritt abwenden wollten, noch reichlich auf ihre Kosten kommen.
Gettaway sprang auf. »Earp!« geiferte er. »Zieh deinen Colt, sonst reiße ich dir den anderen Stiefelabsatz auch auseinander.«
Wyatt drehte sich ganz langsam um. Er kniff das linke Auge zu. Seine Geduld ging zu Ende. Trotzdem rief er noch leutselig zurück: »Ein Paar neue Schuhe könnte ich gut gebrauchen, Coltmann!«
»Zieh!«
Wyatts Linke hing über dem Buntline-Revolver. Plötzlich hatte er ihn in der Hand, ließ die Rechte mit einer kaum wahrnehmbaren Schnelligkeit darüber sausen und gab sechs Schüsse in die Luft ab.
Gettaway hatte auch den Revolver in der Hand. Aber er starrte offenen Mundes seinen Gegner an.
Nicht eine einzige Kugel war auch nur in Yardweite in seine Nähe gekommen.
»He, Kunstschütze aus Missouri! Wohin hast du denn geballert!« bellte er Wyatt zu.
Der lud bedächtig den Colt auf. »Hm. Zunächst mal habe ich mich mit den sechs Buchstaben des Wortes Office auf dem Schild Sheriff-Office begnügt. Die nächsten Kugeln sitzen garantiert unter deinem Hut, Gettaway!«
Der Sheriff hob den Kopf. Also hatte er doch richtig gehört. Nur gesehen hatte er noch nichts.
Dafür sah er aber jetzt. Ganz deutlich und klar. Zwei Yards schräg über ihm hing quer zur Straße das kleine Schild »Sheriff-Office.« Mitten in jedem Buchstaben des Wortes Office klaffte ein kugelrundes Loch.
Jetzt sahen es auch die Nahestehenden. Alles drängte heran.
Gettaway zwängte sich durch die Gaffer und starrte mit ungläubigen Augen auf das Schild.
»Hey…«, sagte er nur, schob seinen Colt schnell wieder zurück ins Halfter und verschwand eilig in der Menschenmenge.
Wyatt stapfte mit gesenktem Kopf zu seinem Pferd, stieg auf und ritt durch eine Nebengasse davon.
Das vielbewunderte Schild hing noch lange Jahre über dem Sheriff-Office, und Wynn Chesterton erzählte jedem, der es wissen wollte, die Geschichte von den sechs Zauberkugeln.
*
Der einsame Reiter, der über die mit ersten Reif bedeckten Weiden nach Norden ritt, war unsagbar müde geworden.
Nachdem er absolut ungewollt auf eine handfeste und eindeutige Weise dafür gesorgt hatte, daß sein Namen noch in hundert Jahren in der
