Boccaccio reloaded. Centino Scrittori
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Mein Kopf schwirrt von den ganzen Gedankengängen, die ich in den letzten Tagen immer wieder habe. Die Ungewissheit macht sich in mir breit. Wie sieht meine Zukunft aus, kann ich mein Abitur zum geplanten Zeitpunkt machen, wird es später möglich sein zu reisen, kann mein Papa irgendwann sein Café wieder öffnen? In meiner Brust spüre ich einen schweren Druck und ich bin erleichtert, als mein Papa uns zum Essen ruft und ich meinem Gehirn eine kleine Auszeit geben kann. Abends liege ich in meinem Bett. Ich bin total erschöpft und meine Gedanken kreisen immer noch wie verrückt. Mein Handy vibriert. Es ist eine Nachricht von meiner Mutter. Sie schreibt mir, dass sie heute nicht nach Hause kommen wird. Auf der Arbeit ist super viel los und sie haben gerade einen neuen Patienten reinbekommen, der noch dringend versorgt werden muss. Sie sagt, sie hofft, dass es mir gut geht und ich mir nicht zu viele Gedanken mache. Zuletzt wünscht sie mir noch eine gute Nacht. Ich schaue in den wolkenlosen Himmel über mir und ohne dass ich es zunächst bemerke, laufen mir langsam Tränen über meine Wangen.
10 Jahre später, es ist Abend und ich liege im Bett. Ich bin nun schon 27 Jahre alt. Ich schaue in den Himmel, schaue in die wolkenlose Nacht.
Am Himmel leuchten die Sterne hell und ich bin irgendwie dankbar, dankbar für die Krise, diesen Ausnahmezustand damals während der Corona-Pandemie. Und ich bin damit nicht allein. Wenn man sich an das Jahr 2020 zurückerinnert, sind das zwar nicht unbedingt schöne Dinge, die einem in den Sinn kommen, aber die meisten von uns empfinden eine gewisse Dankbarkeit. Das soll jetzt nicht falsch rüberkommen, wir sind ganz sicher nicht dankbar für die vielen Todesopfer, die das Virus gefordert hat, dennoch hat sich die Welt seit der Pandemie verändert und zwar, im Gegensatz zu den Krisen vorheriger Zeiten, sichtlich zum Guten. Die Menschen haben in der Quarantäne viel dazugelernt und haben die Dinge, die für sie zuvor ganz normal und alltäglich waren, angefangen stärker wertzuschätzen. Viele Leute haben ihr Leben entschleunigt und den Fokus wieder auf die für sie und die Gemeinschaft wichtigen Dinge im Leben gerichtet. Übermäßiges Konsumverhalten, Vielfliegerei und Massentourismus haben stark abgenommen. Die Menschen hinterfragen ihr Tun mehr und machen sich Gedanken darüber, warum sie auf dieser Erde sind und wie ein sinnvolles Leben aussehen kann. Die meisten Menschen sind bedachter und liebevoller in ihrem Handeln geworden. Sie sind sich bewusster über dieses Geschenk, leben zu dürfen. Auch die Wirtschaft hat sich verändert. Themen wie Nachhaltigkeit sind in den Vordergrund gerückt, wohingegen schlechte Arbeitsbedingungen nur noch sehr selten sind. Der Klimawandel wurde verlangsamt und die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels bis 2050 ist heute sehr realistisch.
Vieles hat sich verändert und obwohl es niemand geglaubt hat, hat sich Vieles zum Guten gewendet. Das Jahr 2020 wird in den Geschichtsbüchern zwar immer für schlimme Ereignisse stehen, aber auch für Hoffnung, neue Möglichkeiten und Zukunft.
(Helena Schoen)
Neunte Geschichte
„Wow, wir sollten wirklich hoffen, dass dieses Virus die Menschen bedachter und liebevoller macht“, sagt ein Mädchen in meinem Alter. Die Geschichte hat uns alle zum Nachdenken angeregt. Nach ein paar Minuten macht sich eine etwas unbehagliche Stille breit, deshalb fängt eine rothaarige Frau an, eine Geschichte über eine weitere Virusinfektion zu erzählen.
Heute war ich an der Reihe, zu dem kleinen Einkaufsladen unseres Dorfes zu gehen, um die wichtigsten Lebensmittel, die meine Familie und ich brauchten, zu besorgen. Seitdem das ganze Land von einer sehr gefährlichen Virusinfektion befallen ist, steht auch unser Dorf unter Quarantäne. Das heißt, dass hier niemand rein-, geschweige denn rauskommt. Dies ist auch der Grund, weswegen immer nur eine Person aus dem Hausstand raus darf, und daher wechselten wir uns regelmäßig mit dem Einkaufen ab. Bevor ich mich auf den Weg machte, zog ich mich dick an und setzte mir vorsichtshalber einen Mundschutz mit integriertem Filter auf, um einer Infektion zu entkommen. Ich ging zu unserer Haustür, als ich meine Mutter hinter mir noch rufen hörte: „Pass auf dich auf, Schatz, und vergiss bitte nicht, einen neuen Mundschutz aufzusetzen.“ Ich verabschiedete mich und sagte, dass ich mir bereits einen neuen genommen hätte. So öffnete ich die Tür, schloss sie hinter mir und sofort spürte ich, wie die kühle Luft mich umhüllte. Ich atmete tief ein, denn ich war seit Tagen nicht mehr draußen und genoss die frische Luft wie nie zuvor.
Ich lief los und auf meinem Weg zu Tommys Einkaufsladen sah ich erstaunlich viele Menschen, die, mit geknicktem Kopf nach unten, alle mit derselben Geschwindigkeit wie Zombies durch die Straßen liefen. Es dämmerte schon und daher jagten mir die emotionslosen, fahlen und müde wirkenden Gesichter Angst ein. Ein älterer Herr ging gerade an mir vorbei und raunte mir mit rauer und kratziger Stimme zu: „Rette und verschanz dich zuhause, solange du noch kannst.“ Daraufhin hustete er laut und ich ging schnell weiter. Es war weit und breit keine Panik mehr zu spüren, wie noch vor ein paar Wochen, allerdings wusste ich nicht, ob mir dieser Zustand besser gefiel. Vor ein paar Monaten noch hätte ich niemals mit so einer großen Ausbreitung der Krankheit gerechnet, schließlich ist die Viruserkrankung mittlerweile zu einer weltweiten Pandemie geworden und hat somit auch unser Dorf befallen.
Jetzt kam ich am Friedhof vorbei und mir verschlug es mit einem Mal die Sprache, ich blieb stehen und schlug die Hand vor mein Gesicht. Ich sah einen riesigen Wagen, der mich an einen Film über die Pest im Mittelalter erinnerte, den wir einmal im Geschichtsunterricht geschaut haben und der mich damals schon teilweise verstört hat. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas selbst einmal sehen würde. Denn der Wagen war nicht das Verstörende, sondern die tausend leblosen Körper, die darauf gestapelt waren und gerade mit weiteren Autos und weiteren Wagen auf den Friedhof einbogen. Ein Leichenwagen also, wie er auch zu Zeiten der Pest benutzt wurde. Ich wusste, dass unser großer Friedhof der einzige in unserer Umgebung war, aber dass so viele Menschen an dem Virus starben und ausgerechnet hier beerdigt werden müssen, war mir vorher nicht bewusst. Ich ging weiter und versuchte, das, was ich gesehen hatte, zu vergessen.
Als ich bei Tommys Einkaufsladen ankam, hörte ich schon von draußen ein lautes Geschrei. Daher beschleunigte ich meine Schritte. Die Tür zum Einkaufsladen öffnete automatisch und ich sah, wie zwei ältere Männer sich um die letzten drei Packungen Toilettenpapier stritten. Zwischen den beiden stand Tommy, der Inhaber des Ladens, der kläglich versuchte, die beiden Streithähne auseinanderzuzerren. Ich eilte sofort hin und schaffte es, mit Tommy die beiden Männer zu trennen und zu beruhigen. Tommy ergriff sofort das Wort und gab ihnen laut zu verstehen, dass sie sich in seinem Laden gefälligst zusammenreißen und nicht egoistisch sein sollen, denn schließlich brauchen auch andere Leute noch Toilettenpapier. Dabei fiel mir auf, dass der eine Herr schon vier Packungen Toilettenpapier in seinem Einkaufswagen liegen hatte und außerdem noch jede Menge Konserven, Nudelpackungen und Mehl. Ein Hamsterkäufer also. Ich hatte mir schon in den letzten Wochen Gedanken zu dem Thema „Hamsterkäufe“ gemacht und verstehe einfach nicht, warum die Menschen so egoistisch sein müssen, den anderen einfach alles vor der Nase wegzukaufen. Die Supermärkte und Einkaufsläden werden sowieso nicht schließen, also warum muss man denn dann den ganzen Laden leerkaufen? Während ich so darüber nachdachte, klärten die beiden Männer und Tommy alles und die beiden Kunden zischten mit ihren Einkaufswagen davon.
Tommy bedankte sich daraufhin bei mir, dass ich ihm geholfen hatte, die beiden Männer zu trennen, und erst jetzt fiel mir auf, wie müde und kaputt Tommy auf mich wirkte. Er hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und sein sonst so herzliches Lächeln war nicht mehr zu sehen. Tommy erzählte mir, dass er in den letzten Tagen schlecht geschlafen habe, da die Leute wie verrückt seien und ihn die ganze Situation unheimlich deprimiere. Es sei schließlich nicht