Boccaccio reloaded. Centino Scrittori
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Boccaccio reloaded - Centino Scrittori страница 15
(Aaron Holzhäuer)
Zweite Geschichte
„Oh wow, das war wirklich eine spannende Geschichte“, sage ich und auch die Anderen scheinen ziemlich aufgebracht. Ein Mädchen, das mir in den letzten beiden Tagen noch nicht wirklich aufgefallen ist, sagt schüchtern: „Kann ich vielleicht die nächste Geschichte erzählen?“ Natürlich stimmen alle zu. Sie nennt ihre Geschichte „Auf der Flucht mit nur 51/2“ und beginnt.
Mein Name ist Greta. Ich bin 15 Jahre alt und lebe in Berlin. Ich wohne mit meinem Vater im Prenzlauer Berg in einer Wohnung. Für mich ist es normal, dass ich ein Dach über dem Kopf habe oder mir immer etwas aus dem Kühlschrank nehmen kann, wenn mir danach ist. Mein Kleiderschrank platzt aus allen Nähten, aber dennoch kann ich mir immer neue Klamotten kaufen. Ich habe ein Zuhause, in dem ich mich wohl und geborgen fühle und wohin ich immer wieder zurückkehren kann. Jedoch gilt das, was für mich selbstverständlich ist, nicht für jeden. Viele Menschen mussten aus den verschiedensten Gründen fliehen oder müssen es heutzutage immer noch. So hatte es auch meine Oma getroffen, die im Zweiten Weltkrieg ihr Zuhause unfreiwillig, mit nur fünfeinhalb Jahren verlassen musste. Das hat sie mir darüber erzählt:
„Ich wohnte mit meiner Familie in Schlesien. Es war im Januar 1945. Ich weiß noch ganz genau, wie wir an einem Sonntagmittag mit der ganzen Familie, bestehend aus Uroma, Oma, Opa, Mutter und Onkel, Klöße und Rouladen aßen, als russische Soldaten in unser Haus gestürmt kamen. Ihre Gewehre richteten sie auf uns. Wir mussten alles sofort stehen und liegen lassen und durften nur kurz ein paar Kleinigkeiten zusammenpacken. Alle Schlesier wurden vertrieben. Nun begann die Flucht Richtung Westen, ins Ungewisse. Wir waren lange unterwegs, meistens zu Fuß. Manchmal war auch ein Pferdegespann unsere Rettung. Ich war noch so klein, dass ich nicht verstanden habe, warum wir nicht nach Hause konnten. Ich weinte und schrie, doch das hat meiner Mutter keine bessere Laune gemacht. Meine Beine taten mir schrecklich weh, auch wenn ich oft getragen wurde, weil ich zu langsam für die Anderen lief. Das viele schutzlose und ziellose Laufen endete oft mit Erschöpfung und leerem Magen. Geschlafen haben wir sehr oft in Scheunen im Stroh. Wir haben tagelang nicht genug, bis gar kein Essen bekommen. Der Hunger war unser ständiger Begleiter. Es gab immer wieder Bauern, die uns kein Essen geben oder uns nicht bei sich schlafen lassen wollten. Einige wollten einen Gegenwert, wie Bettwäsche, Besteck oder Schmuck, doch den konnten wir ihnen nicht bieten. Uns blieb nichts anderes übrig, als zu betteln. Es gab zum Glück auch immer wieder Menschen, die uns ein wenig abgaben, worüber wir mehr als glücklich waren. Doch da Essen allgemein sehr knapp war in der Zeit, gab es viele Tage ohne auch nur einen Bissen Brot oder einen Schluck Wasser.
Wir waren zu sechst unterwegs: meine Uroma, Oma, Opa, Mutter, Onkel und ich. Mein Vater war nicht dabei, weil er schon lange davor als Soldat in den Krieg geschickt worden war. Meine Uroma machte es uns auch nicht besonders leicht, da sie Alzheimer hatte und immer wieder in ihrer Verwirrung weglief. Die Suche nach ihr hat meinen Onkel oft Stunden und viele Nerven gekostet.
Ganz besonders erinnere ich mich noch an das durchdringende Heulen der Sirenen, die die Bomberflieger ankündigten. Dieses Geräusch werde ich wohl nie vergessen. Auch wenn ich noch sehr jung war, spürte ich deutlich die Angst und Furcht, die dieser Klang in mir und jedem Einzelnen auslöste. Wenn sich ein Bunker in der Nähe befand, waren wir froh und versuchten so schnell wie möglich dort unterzukommen. Meine Mutter packte mich immer fest an meinem Arm, damit ich in den Menschenmassen nicht verlorenging. Die Bunker waren beängstigend eng und stickig. Man konnte die Angst, Panik und Unsicherheit in den Augen der Leute sehen. Man hörte, wie die Bomben den Boden trafen und alles zerstörten, und jeden Moment hätte eine Bombe über uns einschlagen können und alles wäre zugeschüttet gewesen. Das Einzige, was wir machen konnten, war hoffen, dass es bald vorbeiging. Doch die Zeit in den Bunkern schien endlos langsam zu vergehen. Und draußen lauerte der Tod. Sobald es eine längere Zeit ruhig war, begannen die Leute nach rechts und links zu den Anderen zu gucken und abzuwägen, ob man es jetzt wieder wagen konnte rauszugehen. Denn wenn man zu früh rausging, kann sich jeder ausmalen, was hätte passieren können.
Als wir draußen waren, ging der Marsch gleich wieder los. Laufen, laufen und immer weiterlaufen. Unser Weg führte durch die verschiedensten Städte und Dörfer, doch wir fanden keine Unterkunft, es schien alles hoffnungslos. Unterwegs geschahen schreckliche Dinge, die ich selbst meinem Erzfeind nicht wünsche. Eines Nachts bekam ich mit, wie russische Soldaten anfingen, meine Mutter zu belästigen. Die Anderen schliefen seelenruhig und ich war zu jung, um zu verstehen, was da gerade vor sich ging, und selbst wenn, hätte ich nichts gegen drei große, starke Männer tun können. Ich musste also zusehen, wie meine Mutter vor meinen Augen von ihnen vergewaltigt wurde. Dieses Bild werde ich wohl nie mehr los. An einem anderen Tag wollten Soldaten meinen Opa erschießen, doch er hatte es irgendwie geschafft, dass sie es ließen. Die Angst war immer da.
Nach vielen weiteren Irrwegen bekamen wir dann endlich ein Zuhause in Gebelzig bei Görlitz, es war inzwischen April 1945. Die Wohnung hatte zwar nur ein Zimmer und eine Küche und wir schliefen zu sechst auf zwei Strohsäcken, doch in diesem Moment erschien es mir wie ein Paradies. Wir waren überglücklich, endlich ein Dach über dem Kopf zu haben und alle mehr oder weniger heile hier angekommen zu sein. Die Dorfbewohner waren allerdings nicht so begeistert über unsere Ankunft wie wir. Es war anfangs sehr schwer in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, doch irgendwann gelang auch das und ich fand sogar Freunde zum Spielen.“
Als meine Oma mir all das erzählt hatte, war ich sehr berührt und auch traurig darüber, was sie alles hatte durchmachen müssen. Und umso mehr weiß ich es nun zu schätzen, wie behütet und friedlich ich bisher aufgewachsen bin und dass es nicht selbstverständlich ist. Während meine Oma mit noch nicht einmal sechs Jahren schon solche Strapazen und Leid erleben musste, konnte ich einfach unbeschwert ein Kind sein und mit meinen Freunden spielen. Ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass meiner Oma so etwas passiert ist. Daran merke ich, dass man einem Menschen nicht ansehen kann, was er schon alles durchgemacht hat. Ich bin froh, dass meine Oma, trotz – oder vielleicht auch durch – all die schwierigen Erlebnisse aus der Zeit von Krieg, Flucht und Vertreibung zu so einem liebevollen und großzügigen Menschen geworden ist.
(Greta Riedel)
Dritte Geschichte
„Dass man so etwas in einem so jungen Alter erleben muss… wirklich eine Schande!“, merkt die ältere Dame an. Ein alter Herr meldet sich stolz zu Wort: „Eine Geschichte aus dieser Zeit habe ich auch beizusteuern!“ Gespannt hören alle anderen zu.
Heute möchte ich eine Geschichte erzählen. Sie basiert auf einer wahren Begebenheit und spielt sich im Zweiten Weltkrieg ab. In dieser Geschichte geht es um Krieg, um Vertreibung aus der eigenen Heimat und um Flucht im eigenen Land. Es soll in dieser Geschichte die damalige Flüchtlingssituation dargestellt werden und der Hass, der den Flüchtlingen schon damals, obwohl man aus dem gleichen Land kam, entgegengebracht wurde. Alles begann 1937 mit der Geburt eines Kindes, in der Stadt Danzig. Bis 1940 verbrachte ich ein unbeschwertes Leben, mein Vater war Uhrmacher und meine Mutter kümmerte sich als Hausfrau um den Haushalt und arbeitete dazu in einer Fabrik, in der Blechkonserven hergestellt wurden.
Doch in meinem dritten Lebensjahr brach der Zweite Weltkrieg aus. Mein Großvater und Vater wurden eingezogen und mussten im Krieg für die Deutschen kämpfen. Zwar sind die Erinnerungen heute ein bisschen verschwommen, da ich damals noch relativ jung war, aber trotzdem kann ich mich noch gut an die darauffolgenden, schrecklichen fünf Jahre Krieg erinnern, die ich miterleben musste. Da Danzig erst zum Deutschen Reich gehörte, aber dann nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag zu einem Freistaat erklärt wurde, hatte Deutschland von Anfang an ein großes Interesse an Danzig. Das lag aber auch daran, dass in Danzig überwiegend