Sonst brichst du dir das Herz. Susanne Mischke
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sonst brichst du dir das Herz - Susanne Mischke страница 7
Sie hielten vor einem quadratischen Haus mit flachem Dach. Es stand in einer Reihe mit anderen, nahezu identischen Häusern entlang der Straße. Die Gebäude waren durch Garagen miteinander verbunden, sodass es aussah wie eine Kette aus großen und kleinen Würfeln. Auf der anderen Straßenseite bot sich ein ähnliches Bild.
Das also war Rom.
Alessandro stieg aus, nahm ihre Tasche, durchquerte mit drei Schritten den Vorgarten. Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, rief er mit übertriebener Fröhlichkeit: »Amore, wir sind da!«
Amore war im Obergeschoss gewesen und kam nun die Stufen herab wie ein Filmstar eine Showtreppe.
»Das ist Adriana, meine Frau.«
Adriana. Stark geschminktes Spitzmausgesicht, perfekte Fingernägel, knallrotes Kleid. Eine Kaskade blondierten Haars floss ihr über die Schultern, an den Ohren baumelten Gehänge aus Metall, die an Fischköder erinnerten.
Alessandro drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Seine Haltung hatte plötzlich etwas Unterwürfiges.
»Du bist also Valeria«, sagte Adriana und die Winkel ihres pinkfarbenen Mundes zogen sich an unsichtbaren Schnüren nach oben, während der Rest des Gesichts von diesem Lächeln unberührt blieb. Ihre Augen, zwei harte schwarze Kiesel, taxierten Valeria wie ein streunendes Tier, das ihr Mann irgendwo aufgelesen und ins Haus geschleppt hatte.
Drei Wochen war Valeria nun schon in Rom. Die Ferienzeit ging zu Ende und die Stadt wurde mit jedem Tag voller. Noch voller!, dachte Valeria. Hätte jemand sie gefragt, wie sie Rom fand, so hätte sie spontan geantwortet: laut. Auch heiß und staubig, aber vor allen Dingen laut.
Es war Nachmittag und Valeria betrachtete gedankenverloren die Horde papageienbunt gekleideter Kleinkinder, die auf dem Spielplatz des Parks herumtobten. Immer wieder fanden sie einen Anlass zum Brüllen: aus Begeisterung, aus Protest oder aus keinem ersichtlichen Grund. Auf den Bänken ringsherum saßen ihre Mütter und Großmütter und riefen den Kleinen Anweisungen, Ermahnungen und leere Drohungen zu. Gleichzeitig schnatterten sie entweder miteinander oder in ihre Mobiltelefone. Hunde kläfften, Jogger hechelten vorbei. Den Hintergrund der Geräuschkulisse bildete das permanente Rauschen des Straßenverkehrs, durchbrochen von Autohupen und dem Knattern der Roller und Mopeds, deren Abgaswolken bis in den Park geweht wurden. Sogar die Vögel lärmten hier mehr als zu Hause; Spatzen zankten sich krakeelend um die Krümel unter den Bänken, Krähen räumten Papierkörbe aus und verteidigten krächzend ihre Beute, Möwen bettelten klagend um Futter.
Adriana hatte vorgeschlagen, in den Park zu gehen, der nicht weit von ihrer Straße entfernt lag. Wegen »der Ruhe und der frischen Luft«.
Sehnsüchtig dachte Valeria an zu Hause. Zugegeben, auch dort war es selten völlig still. Vom Tal drangen Hundegebell und Glockengeläut herauf, die Hühner glucksten und knarzten vor sich hin oder verkündeten euphorisch gackernd, dass sie gerade ein Ei gelegt hatten, und die Zikaden konnten unter manchen Bäumen einen solchen Krach machen, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Und wenn Rosa erst die Motorsense anwarf, war es endgültig vorbei mit dem Frieden. Aber dennoch war das kein Vergleich zu dem permanenten Lärmteppich, der den ganzen Tag über dieser Stadt lag.
Im Haus zu bleiben, hätte jedoch auch nichts gebracht. Die Wände des Würfels waren lächerlich dünn, nirgendwo entging man dem Gekeife Adrianas, dem Quengeln und Toben der Kinder und erst recht nicht dem Fernseher. Das riesige Monstrum, das im Wohnzimmer an der Wand hing, lief quasi ständig. Zu Beginn ihres Aufenthaltes hatte auch Valeria viele Stunden davor verbracht, weil sie nicht gewusst hatte, was sie sonst mit sich anfangen sollte.
Inzwischen hielt sie sich lieber in dem kleinen, schlauchförmigen Gästezimmer auf, in dem sie untergebracht war. Dies geschah hauptsächlich, um Adriana aus dem Weg zu gehen. Die Launen der Hausherrin waren unberechenbar: Mal war sie die Freundlichkeit in Person, aber schon im nächsten Augenblick konnte sie sich über irgendeine Kleinigkeit mordsmäßig aufregen, herumkreischen und mit den Türen knallen. Ihre Tochter, die sechsjährige Chiara, war in vielen Dingen eine Miniatur ihrer Mutter: ein altkluges, vorlautes Gör, das sich pausenlos mit ihrem Aussehen beschäftigte und die Posen der Stars aus dem Fernsehen vor dem Spiegel nachahmte. Betrat man ihr Zimmer, wurde man von einer rosaroten Flutwelle fortgerissen. Valeria kam dennoch gut mit ihr aus, denn sie verfügte über ein wirksames Druckmittel: Chiara liebte es, wenn Valeria ihr vorlas oder Geschichten erzählte, während sie selbst dabei einem pinkfarbenen Pony die Mähne kämmte. Um in diesen Genuss zu kommen, war sie bereit, gegenüber Valeria ihre Launen zu zügeln. Valeria wiederum lernte von Chiara, wie man sich die Nägel lackierte und wie man Fertiggerichte in der Mikrowelle zubereitete. Dann war da noch der dreijährige Moreno: ein zum Anbeißen süßer Wonneproppen mit großen blauen Augen und hellen Wuschellocken. Aber auch er konnte sich lautstark bemerkbar machen, ganz besonders, wenn er sich mit seiner Schwester in die Wolle kriegte. Und das kam mehrmals am Tag vor.
An Valerias erstem Sonntag in Rom hatte Alessandro mit ihr eine Stadtrundfahrt in einem Touristenbus unternommen. Erwartungsgemäß war Valeria überwältigt gewesen vom Übermaß an Zeugnissen der Geschichte und von all dem Prunk in den Museen und Kirchen, allen voran natürlich dem Petersdom. Aber am meisten faszinierte sie die Stadt als solche: der Glanz der vielen Geschäfte, das Gewusel in den Straßen, das Meer von Häusern mit Abertausenden von Fenstern, und dahinter Menschen, so viele Menschen, die alle auf einem Fleck lebten. Natürlich hatte Valeria gewusst, dass Rom über drei Millionen Einwohner hatte, aber bisher war das für sie nur eine abstrakte Zahl gewesen. Mittendrin zu leben und ein Teil dieser Masse zu sein, war verstörend und faszinierend zugleich. Auch wenn es ihr schwerfiel, es zuzugeben: Ein bisschen begann Rom ihr tatsächlich zu gefallen.
Seit der Stadtrundfahrt hatte sie Alessandro jedoch nur noch wenig zu Gesicht bekommen, so als hätten sich mit diesem gemeinsamen Ausflug seine Vaterpflichten erfüllt. Er schien viel zu arbeiten, verließ das Haus früh am Morgen und kam oft spät nach Hause. Dann fielen Adriana und Chiara plappernd über ihn her, während ihm deutlich anzusehen war, dass er eigentlich nur seine Ruhe wollte. Waren Valeria und ihr Vater doch einmal allein, hatten sie sich nicht viel zu sagen.
»Habt ihr immer noch Hühner?«
»Ja.«
»Bringt meine Mutter noch immer ihre Forellen vorbei?«
»Ja. Und Seife.«
Valeria fragte sich, wie viel Alessandro wusste. Rosa würde ihm doch wohl kaum von dem Mann erzählt haben, den sie erschossen hatte. Aber was hatte sie ihm dann gesagt? Irgendeinen Grund für Valerias überstürzte Reise hierher musste sie ihm doch genannt haben. Sie wagte jedoch nicht, Alessandro danach zu fragen.
Denn da war noch etwas anderes: Sosehr Valeria auch in sich hineinhorchte, sie verspürte keine innere Verbindung zu ihrem Vater und auch nicht zu Chiara oder Moreno, ihren Halbgeschwistern. Das machte sie traurig. Traurig und gleichzeitig wütend auf Rosa, die nach Valerias Meinung dafür verantwortlich war.
Trotz der vielen neuen Eindrücke, die Rom für sie bereithielt, war Valerias Heimweh vom ersten Tag an stetig gewachsen, bis sie kurz davor gewesen war, ihre Mutter anzurufen, um sie anzuflehen, wieder nach Hause kommen zu dürfen. Doch ausgerechnet an diesem Abend war Alessandro früher als sonst von der Arbeit gekommen und hatte für Valeria ein Geschenk dabei: seinen alten Laptop, den er für sie hergerichtet hatte. Es ginge nicht an, hatte er gemeint, dass ein Teenager komplett hinterm Mond lebe.
Seitdem war Valeria damit beschäftigt, das World