Sonst brichst du dir das Herz. Susanne Mischke
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Adriana seufzte, lehnte sich zurück und kreuzte ihre langen Beine mit den hochhackigen Sandaletten. Das Ganze höre sich ja nicht gerade nach einer alles verzehrenden Leidenschaft an, schlussfolgerte sie scharfsinnig. Aber Valeria sei ja noch so jung und habe alle Zeit der Welt.
Die nickte und hoffte, dass Adriana nun endlich zufrieden sein würde. Ihr Blick wanderte über die Sträucher und Rasenflächen des Parks. Wie sattgrün das Gras war, trotz der Hitze, die auch jetzt, in den ersten Septembertagen, noch immer über der Stadt hing wie ein feuchtwarmes Tuch. Die Clique junger Leute, die Valeria vorhin aufgefallen war, brach gerade auf. Einer der Jungs schüttelte die Decke aus, auf der sie gelegen hatten, und faltete sie zusammen, der andere sammelte die Eistüten ein und trug sie artig zum nächsten Papierkorb.
Adriana nahm jetzt ihre Diven-Sonnenbrille ab und schaute Valeria von der Seite an, mit einem Ausdruck, als hätte sich plötzlich etwas Entscheidendes an ihr verändert. »Hast du dich eigentlich je gefragt, wieso du Alessandro kein bisschen ähnlich siehst?«
Valeria, überrumpelt vom abrupten Themenwechsel, verneinte. Es war nicht ganz die Wahrheit, aber Adriana war nicht die Person, mit der sie darüber reden wollte. Außerdem gab es im Moment Interessanteres: Die vier kamen den Weg entlang. Obwohl die zwei Jungs recht gut aussahen, hingen Valerias Augen wie gebannt an einem der Mädchen. Luisa, durchfuhr es sie wie ein Blitz.
Nein, sie träumte nicht. Das Mädchen sah wirklich aus wie Luisa, ihre Schattenschwester. Ihr Gang war geschmeidig, ihre Haltung aufrecht, das Kinn hatte sie selbstbewusst nach vorn gereckt. Sie trug ein blau-weiß geringeltes T-Shirt, enge Jeans und flache Sneakers, an einem Schulterriemen hing eine große braune Ledertasche. Eine Studentin? Allerdings waren ja noch Ferien, fiel Valeria ein.
»Verzeih mir, Valeria, wenn ich so offen bin. Ich möchte dich natürlich nicht verletzen und eigentlich wäre das ja die Aufgabe von Alessandro. Aber du weißt ja, wie feige Männer in solchen Dingen sind ...«
Das Mädchen im Ringel-T-Shirt hatte die Sonnenbrille aufgesetzt und ging jetzt in Begleitung der anderen an Valeria vorbei. Sie schien Valeria nicht zu bemerken, obwohl diese nur wenige Meter von ihr entfernt auf der Bank saß. Unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen, starrte sie der Erscheinung nach. Dabei versuchte sie, Adrianas Geschwätz neben sich auszublenden, während sie in Gedanken das Mädchen, das sich nun Meter für Meter von ihr entfernte, anflehte: Dreh dich um! Dreh dich bitte, bitte noch einmal um!
»… weiß nicht, warum dir deine Mutter dieses Märchen erzählt hat, da musst du sie selbst fragen …«
Die vier näherten sich der Stelle, an der der Weg einen Knick machte und hinter Büschen verschwand. Nur mit Mühe widerstand Valeria dem Drang, aufzustehen und ihnen nachzulaufen.
»… wollte vielleicht nur, dass du einen Vater hast, so wie andere Kinder auch …«
Ich sehe Gespenster, sagte sich Valeria. Wahrscheinlich sehne ich mich nur nach einer vertrauten Person, deshalb sehe ich in einer Wildfremden meine Schattenschwester Luisa.
Kurz vor der Wegbiegung angelangt, blieb das Mädchen unvermittelt stehen, wandte sich mit einer schnellen Bewegung um, nahm die Sonnenbrille ab und schaute Valeria direkt ins Gesicht. Für ein, zwei Sekunden begegneten sich ihre Blicke und die Welt schien den Atem anzuhalten. Valeria hörte weder das Kindergeschrei noch das Vogelgezwitscher oder das, was Adriana sagte. Dann hob das Mädchen lässig die Hand, winkte, lächelte und drehte sich mit einer kleinen, anmutigen Pirouette wieder um. Mit federnden Schritten, die kaum den Boden zu berühren schienen, folgte sie ihren Freunden, die schon weitergegangen waren.
»… und solltest den Tatsachen ins Auge sehen. Ich jedenfalls kann nicht so tun, als wärst du … Valeria? Wo willst du hin?«
Valeria war aufgestanden und schaute wie gebannt auf die Wegbiegung, hinter der Luisa – denn es war Luisa gewesen, da bestand nicht der leiseste Zweifel – verschwunden war.
»Lauf nicht weg, bitte«, drang Adrianas Stimme zu ihr durch. »Ich wollte dich nicht verletzen, aber jemand musste dir doch reinen Wein einschenken. Valeria?«
»Ist schon gut«, sagte Valeria und setzte sich wieder hin.
Die Lärmschwaden des Tages hatten sich verzogen. Schatten krochen über den Rasen und die Konturen der Büsche lösten sich auf und nahmen andere Gestalten an. Das zarte Blau des Himmels verwandelte sich in einen purpurnen Sonnenuntergang.
Die Kinder und ihre Mütter waren längst vom Spielplatz verschwunden, Jogger und Hundebesitzer drehten ihre letzten Runden.
Eine Clique halbwüchsiger Jungs hockte auf den Bänken und Spielgeräten. Sie rauchten und steckten kichernd die Köpfe über ihren Handys zusammen. Kalt leuchtende Vierecke in der Dämmerung. Zwischendurch glotzten sie zu Valeria hinüber, die auf der anderen Seite des Spielplatzes saß, auf ihrer angestammten Bank unter der Platane. Sie sollte nach Hause gehen, ehe es dunkel wurde. Adriana und Alessandro hatten sie mehrmals davor gewarnt, sich bei Dunkelheit im Park aufzuhalten. Aber was hieß denn schon dunkel?
So nachtschwarz wie in den umbrischen Bergen wurde es in der Stadt sowieso nie. Und was bedeutete überhaupt nach Hause? Hier war nicht ihr Zuhause. Genau genommen hatte sie gar keines mehr.
Plötzlich war die Einsamkeit da, wie ein alter, ungebetener Freund. Sie hatte es neulich vor Adriana nicht zugeben wollen, aber es hatte Tage gegeben, da vermisste sie – ja, wen oder was eigentlich? Freunde. Irgendwelche Freunde, so wie diese Jungs da drüben Freunde hatten, mit denen man herumalbern konnte. Zwar kannte Valeria die wenigen Jugendlichen aus dem Dorf und diese kannten sie, weil sie einigen von ihnen Nachhilfe gegeben hatte. Aber Valeria war immer eine Außenseiterin gewesen. Das Mädchen vom Berg hatte nie richtig dazugehört.
Die Tatsache, dass Alessandro nicht ihr Vater war, hatte Valeria nicht allzu sehr schockiert. Ein Teil von ihr war sogar froh darüber gewesen, denn jetzt wusste sie wenigstens, dass sie ihrer inneren Stimme trauen konnte, die zu Alessandro stets hartnäckig geschwiegen hatte. Wirklich erschüttert hatte sie dagegen die Lüge ihrer Mutter. Wenn Rosa schon bei etwas so Wichtigem gelogen hatte, was durfte man ihr dann überhaupt noch glauben? Und wer war in Wirklichkeit ihr Vater, warum machte sie daraus ein Staatsgeheimnis? Valeria hätte gerne mit jemandem darüber geredet – ausgenommen Adriana oder Alessandro. Mit Mr Wilson vielleicht oder, noch besser, mit Mrs Wilson. Die hätte bestimmt einen guten Rat aus den Zeitschriften, die sie stapelweise las, für sie gehabt. Oder wenigstens ein paar tröstende Worte bei einer Tasse Tee. Ob sie die beiden wohl jemals wiedersehen würde?
Ein frischer Luftzug wehte über die Rasenfläche. Eigentlich angenehm nach der Hitze des Tages, dennoch zog Valeria ihre Strickjacke enger um den Körper. Die Jungs hatten angefangen zu tuscheln und schauten jetzt immer öfter zu ihr rüber. Zeit, den Rückweg anzutreten. Es war sowieso idiotisch, hier jeden Abend zu sitzen und auf dieses Mädchen zu warten, das Luisa so irritierend ähnlich sah. Seit drei Tagen machte sie das, sehr zum Ärger von Adriana, die die quengelnden Kinder wieder allein ins Bett bringen musste, und auch Alessandro hatte schon seine Besorgnis geäußert. »Es