Sonst brichst du dir das Herz. Susanne Mischke

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Sonst brichst du dir das Herz - Susanne Mischke

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Aber unter der Aufsicht ihres Lehrers war die Sache naturgemäß nicht allzu reizvoll gewesen und der gute Mr Wilson war selbst eher ein staunender Gast in der digitalen Welt. Doch Alessandros Bemerkung hatte etwas in ihr ausgelöst. Sie hatte beschlossen, den Aufenthalt in Rom als Chance zu betrachten, sich mit einigen grundlegenden Dingen des modernen Lebens vertraut zu machen. Vielleicht würden aus den »ein, zwei Monaten« ja noch mehrere werden. Dann müsste sie wohl oder übel ab dem Herbst hier zur Schule gehen. Eine geradezu ungeheuerliche Vorstellung. Aber immerhin vorstellbar. Zumindest nicht mehr ganz so beängstigend wie noch vor Wochen.

      Sogar Adriana hatte zwischenzeitlich die Vorteile von Valerias Aufenthalt zu schätzen gelernt, besonders, seit sie wieder angefangen hatte, halbtags in der Redaktion einer Zeitschrift zu arbeiten, deren Hauptanliegen es war, Klatsch über Prominente zu verbreiten. Denn Valeria ließ sich hervorragend als Haushaltshilfe und Babysitterin einsetzen: Mein Gott, du kannst tatsächlich Brot backen? – Ach bitte, lies doch den Kindern was vor, ich brauche nur eine Minute Ruhe! Gegenüber den Nachbarinnen hatte Adriana sogar behauptet, Valeria sei ein Au-pair-Mädchen. Es müsse ja nicht die ganze Welt von Alessandros früherem Fehltritt erfahren, hatte Adriana Valeria erklärt. Es mache ihr doch nichts aus?

      »Nein«, hatte Valeria geantwortet.

       Wem würde es schon etwas ausmachen, als Fehltritt bezeichnet zu werden?

      Normalerweise schickte Adriana Valeria mit den Kindern allein in den Park, denn sie verließ das Haus nur, um entweder zu arbeiten oder ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, dem »Shoppen«. Daher fragte sich Valeria, warum sie heute mitgekommen war.

      Beide saßen angespannt auf der schattigen Bank und sahen Chiara beim Schaukeln zu. In ihrem weiten Kleid flog das Kind wie ein rosa Schmetterling vor und zurück. Moreno hockte derweil im Sandkasten und buddelte ein Loch.

      »Wie ist das eigentlich so, das Leben in den Bergen?«

      »Ruhig«, antwortete Valeria.

      »Ich meine, wie hält man das aus, immer in dieser Einsamkeit?«

      »Ich fand es nie einsam.«

      »War dir nicht furchtbar langweilig?«

      »Nein. Ich hatte entweder Unterricht oder ich musste im Gemüsegarten helfen, die Hühner füttern, Holz stapeln, Obst ernten und einkochen … Es gibt immer etwas zu tun.« Ich höre mich an wie Rosa, dachte Valeria und fügte hinzu: »Wenn es regnete, habe ich viel gelesen und außerdem war ich oft im Wald unterwegs.«

      »Unterwegs? Wo denn? Alessandro hat mir erzählt, dass da weit und breit nichts ist. Das nächste Dorf ist angeblich fünf Kilometer weit weg.«

      »Ja und?«, erwiderte Valeria. »Das läuft man doch in einer knappen Stunde.«

      »Du bist dorthin gewandert?«

      So, wie Adriana es sagte, hörte es sich an, als wäre es völlig abgedreht, fünf Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Für Adriana war es das wahrscheinlich auch. Valeria erklärte, sie sei oft und gerne in der Gegend herumspaziert, habe Pilze gesammelt – oder Beeren, Kräuter und wilden Spargel – oder sich einfach irgendwohin gesetzt, um ins Weite zu schauen und dabei die Gedanken schweifen zu lassen.

      »Du warst ganz allein in den Wäldern unterwegs?«, fragte Adriana mit ungläubigem Entsetzen. »Hast du wenigstens ein Handy dabeigehabt?«

      »Es gibt dort kein Netz.«

      Adriana riss nur stumm die Augen auf und schüttelte dann den Kopf.

      Jetzt besaß Valeria ein Handy. Alessandro hatte ihr sein altes Gerät überlassen. Falls sie mal verloren gehe, hatte er mit ernster Miene gemeint, als er ihr gezeigt hatte, wie es funktionierte.

      »Gab es wenigstens einen Fernseher?«, wollte Adriana wissen.

      Valeria nickte, verschwieg aber, dass der Empfang nur gut war, wenn das Wetter mitspielte. Man versäume dabei nicht viel, hatte Rosa stets betont.

      »Hast du es denn nie vermisst, mit anderen Kindern … ich meine, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein?«

      Valeria beobachtete vier junge Leute, die in einiger Entfernung auf einer Decke saßen und Eis aus Pappbechern aßen. Eines der Mädchen sah aus wie … nein, das konnte nicht sein, sie musste sich irren. Sie schaute weg und bemerkte Adrianas fragenden Blick. »Entschuldige, was hast du gesagt?«

      Adriana wiederholte ihre Frage.

      »Ich treffe doch Gleichaltrige«, sagte Valeria und setzte hinzu: »Zweimal die Woche gebe ich bei uns im Dorf Nachhilfe in Französisch, Englisch und Mathe. Auch für Leute in meinem Alter. Abiturienten.«

      Adriana vergaß, den Mund zu schließen.

      »Glaubst du mir nicht?«, erkundigte sich Valeria. Dachte Adriana etwa, sie hätte eine geistig minderbemittelte Hinterwäldlerin vor sich, nur weil man ihr erst hatte beibringen müssen, wie man ein Handy bediente?

      »Doch, doch. Ich meine nur …« Adrianas Gesichtsausdruck wurde ernst, als sie sagte. »Weißt du, Valeria, nicht jeder, der intelligent ist, findet sich auch im Leben gut zurecht. Dafür braucht es … Erfahrungen. Und ich frage mich, wie man so leben kann, so wie du und deine Mutter all die Jahre. Vielleicht findet sie das für sich gut, aber das kannst du doch auf die Dauer nicht wollen, oder?«

      Valeria nickte, aber sie schwieg. Adriana hatte – absichtlich oder nicht – einen wunden Punkt getroffen. In den vergangenen Monaten hatte Valeria häufiger über ihr Leben nachgedacht, über ihre Zukunft. Ganz besonders, seit Mr Wilson sie immer wieder gedrängt hatte, das Abitur zu machen. Er würde sie im nächsten Frühjahr zu den Prüfungen anmelden, sie würde das locker schaffen, er habe da gar keine Bedenken. Man müsse das nur ihrer Mutter beibringen. Andererseits würde Valeria ja im nächsten Jahr achtzehn und damit volljährig. Mit dem Abitur in der Tasche könnte sie studieren, was sie wolle, hatte Mr Wilson versichert. Denn wozu hätte er sie sonst jahrelang unterrichtet? »Du bist sehr klug, dir stehen alle Türen offen.«

      Aber genau darin lag das Problem. Valeria wusste nicht, was sie wollte, und das betraf nicht nur das Studienfach, sondern ihr ganzes Leben. Vielleicht hatte Adriana recht. Vielleicht musste sie wirklich mehr von der Welt sehen, um herauszufinden, was sie interessierte.

      »Und was macht die Liebe?«

      »Was?«, fragte Valeria, aus ihren Gedanken gerissen.

      »Die Liebe«, wiederholte Adriana und knuffte Valeria in die Seite. »Los, raus mit der Sprache. Wer ist er, wie heißt er?«

      Valeria sandte einen Blick in das Geäst der Platane, in deren Schatten sie sich niedergelassen hatten. Reichte es nicht, wenn sie Chiara Geschichten erzählte?

      »Manchmal«, begann sie, »lassen Jäger bei uns ihre Autos stehen und gehen von da an zu Fuß auf die Pirsch. Hinterher sitzen sie dann auf der Bank, unter dem Maulbeerbaum, und trinken ein Glas Wein. Die letzten paar Mal hat einer von ihnen seinen Neffen mitgebracht. Er heißt Lorenzo und studiert in Mailand.«

      »Und?«, fragte Adriana, offenbar nach einer kleinen Romanze lechzend.

      »Nichts und«, sagte Valeria.

      »Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Ist er hübsch? Bist du verliebt in ihn?«

      »Ich

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