Fahlmann. Christopher Ecker

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Fahlmann - Christopher Ecker

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Gummisohlen. Alle sahen ihm nach. Alle bis auf Großvater. Der sah mich an. Aber das merkte ich erst, nachdem ich Inge lange angesehen hatte. Ich spürte, wie ich rot wurde. Die Quietschsohlen schlossen die Tür von außen. Übermorgen würden mir zwei bis drei Textsäulen verraten (auf denen das grobgerasterte Tympanon meines verdutzten Gesichts thronte), ich sei ein «Klangkünstler», ein «Wortartist» – etwas anderes fiel den Ärschen nicht ein! Natürlich beruhigte es mich, dass keiner merkte, was für einen Unfug ich hier zum Besten gab, aber irgendwie kränkte es auch mein Selbstverständnis als Schriftsteller – für den Bruchteil einer Sekunde flaniere ich die Strandpromenade eines britischen Seebades entlang. Noch einmal zum Mitschreiben: Einerseits genoss ich es, öffentlich lesen zu dürfen und sogar Geld dafür zu bekommen, andererseits hasste ich es, das öffentlich zu lesen, was ich lesen musste: kurhotel «thoelke» und Konsorten. Und noch einmal zum Auswendiglernen: Selbstverständlich erfüllte es mich mit Stolz und Genugtuung, dass man mich für einen Schriftsteller (Seebad! Seebad!) hielt, aber doch nicht wegen eulenkidnapping im schmackelwald! Die ganze Chose wird noch vertrackter, wenn man bedenkt, dass meine guten Texte allesamt ungelesen zurückkamen. Schickte ich sie an einen Verlag, wartete ich monatelang auf Post. Das Warten machte mich derart wahnsinnig, dass ich die Absagen regelrecht herbeisehnte. Ja, Sie haben richtig gehört! Ich hoffte auf Absagen, damit diese dem fürchterlichen Warten ein Ende bereiteten. Einmal hatte ich ein Haar von Susanne ins Manuskript gelegt, und als es zurückkam, lag das Haar noch immer zwischen den Seiten zehn und elf. Formbriefe!

       Ich bekam fast nur Formbriefe. Seltener, aber das war weitaus schlimmer, lag ein persönliches Anschreiben bei. Die Schwäche Ihrer Erzählungen ist, dass sie zu schwer beladen sind. Wie viele junge Debütanten bemühen Sie sich … der Text scheint mir über weite Strecken hinweg sprachlich noch nicht ausgereift … leider sehen wir keine Möglichkeit … haben Sie vielen Dank für Ihr Angebot. Wir haben Ihr Manuskript sorgfältig geprüft, konnten uns aber leider … Reibekäse … wünschen Ihnen in einem anderen Verlag den erhofften Erfolg … entschuldigen Sie die späte Antwort … passt nicht ins Programm … habe Ihr Manuskript selbstverständlich gründlichst gelesen … bitte Sie um Verständnis, dass ich bei der großen Anzahl von Einsendungen … Reibekäse, Reibekäse, Reibekäse … in anrührender Unbeholfenheit versuchen die kreisrunden Glasabdrücke die olympischen Ringe nachzubilden … Molli knallt zwei Humpen auf den Kneipentisch … über einen Zeitraum von eineinhalb Wochen hatten Achim und ich ein ganzes Notizbuch vollgesaut. Die Mehrzahl der Einträge war beschämend pubertär, aber einiges schien mir hinreichend witzig zu sein, also überarbeitete ich die Texte und tippte sie ab. Achim bekam eine Kopie zum Geburtstag, dann verlor ich das Interesse an den Gedichten, die sich daraufhin, lichtscheu, wie unernste Gedichte nun einmal sind, in den letzten Winkel der Nachttischschublade zurückzogen. Ich verlor das Interesse, bis ich eines Abends die Originale kurzentschlossen in einen Umschlag stopfte und mit einem größenwahnsinnigen Begleitbrief an den elitärsten Verlag schickte, der mir in den Sinn kam. Brächte Achim das Gespräch auf unsere Scherzgedichte, könnte ich nun amüsiert behaupten: «Die Gedichte? Achim, du glaubst es nicht! Die hab ich an einen Verlag geschickt, und die Dümmlinge haben alles für bare Münze genommen!» Aber nicht genug, dass die Dümmlinge alles für bare Münze nahmen, sie waren auch ganz versessen darauf, ein Buch daraus zu machen, ein lustiges Taschenbuch, aus dem ich jetzt all den ernsten «Onkel» Richards und «Tante» Monikas das nächste Gedicht der mond-schein-parade vorlesen musste:

      im untersten rausch

       durch den eierwald taumeln

       bei rümmelsborn (hurra!)

       kreuzt die spur des fischhufers

       hep! schwammenwald, steh kopf!

       steh kopf, schwammenwald!

       très joli! pierre oiseau:

       chanteur de blues

      (carte visite)

      Mit verklärtem Gesichtsausdruck improvisierte ich:

      und von nun an war er bester alles

      Ich machte eine Pause und setzte noch einen drauf:

      seltsam aber so steht es geschrieben

      Bezaubernd, die Kleine in der dritten Reihe, aber Inge ist auch nicht übel, und bedeutungsschwer:

      – – – in der weltmaschine!

      Außer mir wussten nur drei Menschen, wie schWEINe-essIG entstanden war: Susanne, Großvater und natürlich Achim, der seinen Wunsch, nicht als Co-Autor genannt zu werden, längst bereute. Wir wären sehr daran interessiert, Ihr Buchprojekt in Angriff zu nehmen. Den Brief in Händen kam ich ins Schlafzimmer gestürzt und hatte Susanne geweckt, die samstags immer bis in die Mittagsstunden schlief, um sich von der durchtanzten Freitagnacht zu erholen. «Das hast du nun davon!», sagte sie, nachdem ich ihr den Sachverhalt in groben Zügen erläutert hatte. «Ich muss es veröffentlichen», sagte ich. Susanne umfasste ihre bloßen Knie. «Du wirst dich mit diesem Quatsch lächerlich machen!» – «Ich weiß nicht, wer sich lächerlicher machen wird, der Verfasser, die Leser oder der Verlag. Ich denke nur, dass es sehr dumm von mir wäre, ein Angebot dieses Verlags auszuschlagen.» – «Sie werden sich alle schlapplachen!» – «Lies dir doch erst einmal den Brief durch!» Susanne überflog die Zusage. «Was sind das für Menschen?», fragte sie. Ich hob die Arme in einer Geste fröhlicher Resignation, die ich mir von Stan Laurel abgekuckt hatte. «Was», fragte sie, «verstehen die unter metatextuellen Kondensaten?» – «Das wissen nur die Götter!»

      Am selben Nachmittag war ich zu Großvater gefahren. «Da habt ihr ihnen ja», lachte er, «ein gigantisches Kuckucksei ins Nest gelegt.» Freudlos bemerkte ich: «Aber es wird kein Kuckuck schlüpfen.» Großvater widersprach heftig: «Du hast zumindest einen Fuß in der Tür, und da dieser Verlag, völlig zu Unrecht, wie ich finde, hierzulande ein großes Ansehen genießt, handelt es sich um einen mächtig großen Fuß! Aber auch», fügte er munter hinzu, «um eine mächtig große Tür.» Ich schätzte seine schrulligen Bemerkungen. Hatte ich als Kind das Wochenende bei ihm verbracht, standen wir vorm Schlafengehen oft auf dem Balkon, bewunderten den Nachthimmel, und ich ließ mir erklären, dass manche Sterne leuchteten, obwohl sie schon vor Jahrzehnten verglüht seien. «Und du wirst auch erst in einigen Jahren wissen», schloss Großvater heiter, «ob ich heute Nacht wirklich neben dir auf dem Balkon gestanden habe.» Darüber lachte ich als Kind, aber heute war Großvater immerhin einundachtzig. Irgendwann würde ich tatsächlich feststellen, dass er nicht mehr da war und sich unbemerkt zurückgezogen hatte. Erst würden die Erinnerungen an ihn schwächer werden, und dann würde ich es nicht einmal mehr merken, dass ich ihn vergessen hatte: Dann wäre er einfach fort. Zusammengesunken hockte er auf dem Stuhl, den Kopf gesenkt. Es bedeutete mir viel, dass er die Strapaze auf sich genommen hatte, zur Lesung zu kommen. Im Gegensatz zu Winkler, den meine Lesungen nicht interessierten. Auch Vater hätte niemals eine Lesung von mir besucht. Er hatte ja nicht einmal zur Abifeier mitkommen wollen. «Da sind zu viele Leute, die ich nicht kenne», meinte er, und so hatte Großvater meine Mutter begleitet. Sie im Abendkleid, er in seinem besten Anzug, und noch heute schäme ich mich für die peinigende Furcht, meine Klassenkameraden könnten in dem alten Mann meinen Vater vermuten. Um Großvater eine Freude zu machen, begann ich das nächste Gedicht mit einem flotten:

      struebing struebing struebing

      Und los gings:

      im wartezimmer des dottore

       riskator einer dicken lippe

       dann einen ausgehöhlten kürbis als hut

       am steuer des edeka-lkws

       the kindheit’s gone

       where’s the kindheit hin

      

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