Fahlmann. Christopher Ecker

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Fahlmann - Christopher Ecker

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– – – where’s the kindheit hin

      Klammheimlich hatte sich in diese Zeilen eine gehörige Portion Ernsthaftigkeit eingeschlichen. Ich sah mich in meinem ehemaligen Kinderzimmer auf dem Bett liegen, the kindheit’s gone, ich rauche eine melancholische Zigarette, asche in den Bettkasten, aha, dort hinten sitzt Achim, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er in eine Zitrone gebissen, aber der Feigling hat ja darauf bestanden, nicht als Co-Autor genannt zu werden … schwester inge! ihr busen! … ich bemühte mich, das bezieht sie jetzt natürlich auf sich, die wirkliche Inge im Publikum nicht anzusehen … ihr busen! … scheiße … das machte meinen schönen Plan zunichte … schwester inge! … ihre Hand auf meinem Oberschenkel … ihr busen! … graue Adern marmorieren die blasse Haut ihres zerkratzten Handrückens … schwester inge! … man denkt sich nichts Böses, und scha-matz! steht man bis zum Hals im Fett … zügig:

      toodeln wir monde – – – padam!

       den nachthimmel in flammen

       hinauf und hinab (zoosh dich, marie!)

       pompoms seid ihr am cheerleader-bürzel

       hussa! kreuzt die quere!

       rauscht die nacht!

       ich bin nur ein mond auf der walz

      deine kleine raupe

      Der Schwung des Vortrags riss mich mit. Wie auf Schlittschuhen glitt ich über eine Eisfläche, an deren Unterseite sich leidende Tiefseefische mit geplatzten Lungen pressten. Risse überzogen das Eis, ich wich in eleganten Hopsern nashorngroßen Löchern aus, doch da kippte die Eisplatte, die an einem Scharnier befestigt war, und ich raste kopfüber an der zur Unterseite gewordenen Oberseite entlang, die Lungen voller Eiswasser, die Augen brennend vom Salz. Nach der mond-schein-parade blätterte ich in willkürlicher Betriebsamkeit durch das Buch, machte fünfzig Minuten voll und las zum Abschluss einen Text aus dem Zyklus um Walg Nastranz, einem Zyklus, der in jenen quälenden Stunden entstand, wenn ich am Schreibtisch saß und nichts Brauchbares zustande brachte …

      Brahnet obs, Walg Nastranz!

      Glinko fretsch parantz nobbicht, emblus kalber, norrigt: «Wolpriert Nastranz, waha, fin gräbbt ober dens sockelt – irf wahlperint nog brobbart.»

      «Quanu?», Ertzpil nagrat.

       «Ohkars fretsch, Nastranz fretsch», wahat Glinko glibbil.

       «Dakat», Ertzpil fropft urf bem kambil nogit.

       Glinko nurrbig fralt; Nastranz sembelg tiskut.

      Angespannte Gesichter. Niemand lachte.

      «Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!»

      Und dann kamen die Fragen …

      «Wo bekommen Sie Ihre Ideen her?»

      Die lass ich mir von einem Versandhaus aus den Staaten schicken, grölte eine erschreckend vulgäre Stimme in meinem Inneren, aber ich antwortete brav: «Das fällt mir einfach so ein.»

      «Was ist die Botschaft Ihrer Gedichte?»

      Pro Rohkost, contra Hitler! «Die Texte sind die Botschaft», sagte ich.

      «Also beziehen Sie sich auf Marshall McLuhan?»

      «Ja.» Ich hörte den Namen zum ersten Mal.

      «Arbeiten Sie an einem neuen Buch?»

      Scheiße, Scheiße, Scheiße … «Ja.»

      «Handelt es sich wieder um Gedichte?»

      Gott bewahre! «Nein.»

      In dieser Art ging es weiter, bis Großvater sich erhob und ein ostentatives Ächzen von sich gab, für das ich ihn hätte umarmen können. Man griff nach Jacken und Handtaschen, in der letzten Reihe erhoben sich zwei ältere Damen, ich steckte Brahnet obs, Walg Nastranz! in die Brusttasche des Flanellhemds, versenkte schWEINe-essIG in der Jutetasche, Feierabend. Nach einer Lesung sind die ersten Schritte in den Raum hinein die schlimmsten: Der Schüler, der sich an der Tafel zum Gespött der Klasse gemacht hat, geht an seinen Platz zurück. Freundliche Menschen verwandelten in einer faszinierend spielerischen Choreographie meinen Tisch in eine Theke und erklärten: «Wir dürfen Ihnen die Flasche leider nicht mitgeben.» Also schlenderte ich mit einem durchsichtigen Plastikbecher hinaus in den Flur zur kniehohen Metallsäule des Aschenbechers, trank warmes Bier, rauchte, hielt nach offenen Hosenläden Ausschau, wären Sie so freundlich, eine Dame mit lilagetöntem Haar wollte mein Buch signiert haben, ich ließ sie mein Bier halten und schenkte ihr einen zitternden Fahlmann. Achim war unauffindbar, die hübsche Vierzehnjährige war verschwunden, andere Frauen, Frauen, wo sind bloß die ganzen anderen Frauen hin, Polkinger beschallte die Anwesenden mit einer kritischen Beurteilung der deutschen Gegenwartsliteratur, wieso muss der Künstler überhaupt zahlen, ich erstand ein zweites Bier, Sauladen, Inge kam auf mich zu, lächelnd, einen Becher Sekt in der Hand.

      Sie trug ein verwaschenes, schulterfreies Sweatshirt, Sommersprossen sprenkelten die helle, milchig weiße Haut der Schultern, schwester inge! ihr busen! – bei jeder Bewegung schlingerten ihre, verzeihen Sie mir die Offenheit, geilen Möpse unter dem Stoff. Die Uni, Professor Capart, wir tauschten Belanglosigkeiten aus, Inge ist zu aufgeräumt, um die Busen-Passage auf sich bezogen zu haben, dachte ich erleichtert und fing gerade an, mir Hoffnungen auf einen großartigen Abend zu machen, ich bin verheiratet, wir müssen deshalb zu dir gehen, da gesellte sich der Kerl mit dem Dreitagebart zu uns, der während der Lesung neben ihr gesessen hatte, und legte den Arm besitzergreifend um ihre Taille. Der Angeber hatte die Hemdsärmel bis zur Mitte des Bizeps hochgekrempelt. Sein Hosenladen stand nicht offen. Wieso schaut er mich so merkwürdig an? Darf man denn hier niemandem auf den Latz kucken? Meine Freundin kennt den Kerl. Nur deshalb bin ich hier. Ich musste seine Stimme hören. «Wie fandst du die Gedichte?», fragte ich beiläufig. Er zuckte mit den Achseln. «Nicht so toll?», kombinierte ich beherzt. Inge bedachte mich mit einem entschuldigenden Lächeln.

      Danach lief ich in unbeholfenen Achtern zwischen den Leuten umher (Mein Publikum! Mein Publikum!), kippte ein drittes Bier, rauchte weitere Zigaretten und fühlte mich ähnlich verloren wie Onkel Jörg, als er mich zur Verleihung der Van-Hoddis-Medaille nach Berlin begleitet hatte. Ich gab unverfängliche Antworten auf dumme Fragen, begrüßte Bekannte meiner Mutter, wieso ist sie eigentlich nicht, als wären wir allerbeste Freunde, hätte ruhig kommen können, Großvater, wenigstens einem hats gefallen, bedankte sich für den «dreifachen Struebing» und fragte: «Wie fühlst du dich jetzt? Nach der Lesung?»

      Ich antwortete: «Spitzbergen.»

      Moment, Moment, lassen Sie mich weitermachen! Das wollte ich gerade erklären! Im Wohnungsflur, gegenüber des Garderobenspiegels (Afrika und Europa verschwanden, wenn man sich Mitesser ausdrückte), hing eine Weltkarte. Ich hatte sie ursprünglich für Jens aufgehängt, aber eines Tages begann ich, jedes Land, das eine vertrauenswürdige Person bereist hatte (womit der Beweis für die Existenz glaubwürdig erbracht war), mit einem Kreuz zu versehen. Mutter flog mit einem Bekannten nach La Palma, brachte Fotografien mit, ein Fläschchen Sand – ich malte ein Kreuz auf die Islas Canarias (Esp.). Länder, die ich selbst bereist hatte, z. B. Frankreich oder Schweden, versah ich mit zwei Kreuzen. Mein Problem hieß Spitzbergen. Schon als ich die Weltkarte an die Wand geheftet hatte, war mir Spitzbergen zu groß erschienen. Es lag zu weit nördlich. Selbst die Form war fragwürdig, unpassend, und bald war mein Zweifel an der Existenz Spitzbergens ein Familienscherz geworden. Bestärkt in diesem künstlich erzeugten Spleen hatte mich ein Interview mit Philip K.

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