Fahlmann. Christopher Ecker
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Da draußen ist gar nichts. Außer man entschließt sich, dorthin zu fahren, und in diesem Fall bauen sie alles schnell auf, die ganze Szenerie, die Gebäude und die Menschen, gerade noch rechtzeitig, dass man sie (die ganze Szenerie, die Gebäude und die Menschen nämlich) sehen kann. Sie (ignorieren sie den Falschbezug!) müssen wirklich sehr schnell arbeiten. Der Interviewer weiß nicht, ob ihn Dick auf den Arm nimmt, aber ich vermute, dass Dick das selbst nicht wusste. Das Publikum soll genauso wenig wissen wie ich selbst, ob ich Spaß mache oder es ernst meine, offenbarte Salvador Dalí einmal, und ich glaube heute, dass es sich mit meinem Spitzbergen-Tick ähnlich verhielt. Natürlich zweifelte ich nie wirklich daran, dass sich dort oben im Polarmeer ein Archipel befand, das aus den vier großen Inseln Spitzbergen, Nordostland, Edgeinsel und Barentsinsel sowie zahlr. kleineren Inseln bestand, auch zweifelte ich nicht im geringsten daran, dass dieses Archipel 1194 von Wikingern entdeckt und 1596 von W. Barentsz wiederentdeckt wurde (im Unterschied zu diesem niederländischen Seefahrer und Kartographen fand ich mein Spitzbergen zwischen Spitzahorn [Acer platanoides] und Spitzbogen), aber gerade weil Spitzbergen (zus. mit der Bäreninsel das norweg. Verw.-Geb. Svalbard) in keinem Lexikon fehlte, gefiel ich mir in der Rolle des Mittelpunkts einer geographischen Verschwörung. Richtig, Euer Ehren! Spitzbergen ist eine Metapher für die, geschwollen ausgedrückt, Vergeblichkeit allen menschlichen Trachtens.
«So schlimm war es doch gar nicht», meinte Großvater.
«Ich hab im Keller lesen müssen. Und keiner hat gelacht.»
«Ich habe gelacht. Was macht eigentlich dein Roman?»
«Der schneckt so vor sich hin.»
Großvater nahm die Brille ab, um damit in der Luft herumzufuchteln, was er nur tat, wenn ihm etwas besonders zu Herzen ging. «Das Tempo spielt doch keine Rolle! Das einzige, was zählt, ist, ob das Buch gut oder schlecht wird.» Er setzte die Brille wieder auf. «Wird es denn gut?»
«Da fragst du den Falschen. Mal halte ich es für extrem schlecht, dann wieder erfüllt mich ein fast peinlicher Stolz. Vielleicht liegt das daran, dass ich viel zu gut über meine eigenen Tricks und Schwächen Bescheid weiß, um mich noch selbst täuschen oder begeistern zu können. Ich finde das, was ich schreibe, weder spannend noch überraschend, obwohl ich die Leser damit fesseln und überraschen will. Ich schreibe eine Passage, die witzig sein soll, aber bereits beim Überarbeiten geht sie mir auf den Keks und kommt mir dumpf und abgeschmackt vor. Und ich wiederhole mich! Ich sage nur: Lieblingswörter! Manche verwende ich so exzessiv, dass ich das Knochenkotzen kriegen könnte. Und der Satzbau! Der ähnelt sich immer. Schreiben ist ein Herumpuzzeln mit Teilen, die man nur undeutlich sieht, ein Jonglieren mit glitschigen Puzzlestücken, die einfach nicht zusammenpassen wollen. Aber ich übertreibe. Ein überschätzter SF-Autor hat den Schriftsteller mal mit einem Tänzer in einem chinesischen Papierdrachen verglichen. Alle sehen einen wunderschönen Drachen durch die Straßen ziehen, aber der Tänzer im Inneren des Drachens sieht lediglich das Holzgestänge, das unbemalte Papier, das Pappmaché und den Arsch des Vordermanns.» Mister Mundgeruch steuerte auf uns zu, ich lächelte mild und drückte ihm, ehe er Verdacht schöpfen konnte, mein Tütchen hosentaschenwarmer Eukalyptusbonbons in die Hand. Abermals bewegten sich alle durch den Raum wie die allegorischen Figuren einer barocken Rathausuhr. Großvater trieb davon. Polkinger schob sich mir in den Weg und erklärte, mein größtes Talent sei das ironische Zitat. Es gibt außer dem Motto kein einziges Zitat in dem Gedichtband, du Kretin! «Mir hat Ihre Lesung gut gefallen.» Suuuper! «Wie schade, dass ich nicht kommen konnte», hörte ich Professor Capart ausrufen, und wieder geriet der Raum in Bewegung. Mein Publikum glitt wie auf Schienen dahin – and I awoke and found me here on the cold hill’s side.
Immer öfter stand ich alleine da, alleine im Raum, erschrak, wieso stehe ich alleine da, alleine im Raum, gab mir einen Ruck, Mut, Mut, näherte mich einem diskutierenden Grüppchen, der Paristeil ist der Hit, und prahlte, mit meinem Jugendfreund Marcus Schlumpf-Fallen im Wald gebaut zu haben. «Kleine, mit Reisig abgedeckte Gruben auf den mutmaßlichen Handelswegen der Schlümpfe.» Staunen. «Die Schlümpfe habens übrigens in sich!», erzählte ich einem irritierend aufmerksamen Herrn. «Sie tragen die Phrygiermütze der Jakobiner und dazu kurze Hosen. Sansculotten, Sie verstehen! Kennen Sie die Geschichte dieser Mütze? Das Antike Phrygien ist Ihnen doch sicherlich ein Begriff. Die Astronomen im Land des sagenhaften Königs Midas trugen gegerbte Stier-Hodensäcke auf dem Kopf. Aber jetzt muss ich mir noch ein Bier holen.» Je später es wurde, desto häufiger zog ich mich mit einem «Bester Alles!» aus Gesprächen zurück, die sich wie eine Schlinge um mein Denken zu legen drohten, manchmal rief ich aus: «Seltsam, aber so steht es geschrieben!» und, wenn ich mich recht entsinne, erzählte ich sogar Witze. Ein Ameisenbär geht ins Bordell, die Frau sitzt gerade in der Badewanne, da klopft der Klempner an der Tür. Und Bier. Viel Bier. Bier macht alles einfacher. Bier ist der flüssige Gott. Das ist heute auch noch so. Mit einem kleinen Unterschied. Damals musste ich, wenn ich zu viel getrunken hatte, auf der Couch schlafen und mich mit der Katzendecke zudecken. Heute kann ich so viel saufen, wie ich will, und keiner macht mir Vorhaltungen. Filmriss. Eine durchsichtige Jasmin setzte sich neben mich auf die Rückbank des Taxis. «Sie werfen ja gar nichts mehr ein», hatte sie bei meinem letzten Besuch in der Bäckerei Gallinger gesagt. Wir betrachteten die verplombte Sammelbüchse auf dem Tresen. «Das hab ich völlig vergessen!» Ich schlug einen scherzhaften Ton an: «Irgendwas muss mich hier wohl teuflisch ablenken.» Sie verstand nicht, ich sah an ihr vorbei in die Backstube: Unter riesigen Nudelhölzern hing ein kreisrundes Mehlsieb, das ein Draht-X in vier gleiche Teile schnitt; in einem Metalltrog lauerte eine zähe, klebrige Teigmasse; geräuschlos schloss jemand die Backstubentür von innen. Liebe Jasmin!, schrieb ich nach der Lesung heillos betrunken am Wohnzimmertisch.
Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie nicht. Ich weiß nur, wie Sie aussehen – in dieser gequälten Art ging es weiter, bis der Brief in dem markerschütternden Aufschrei gipfelte: Was für ein Mensch bist Du? Für mich unbemerkt war ich beim Schreiben zum Du übergegangen, egal, ich faltete das Blatt, küsste es und steckte es in einen frankierten Umschlag. Darauf schrieb ich: Jasmin Rimbach und die Adresse, die Heinz mir besorgt hatte. Und was für ein Mensch war ich? Ich klappte das Notizbuch auf und schrieb: Ich bin ein peinlicher Wichtigtuer, der jedem erzählt, der Große Schlumpf sei die Apotheose der Französischen Revolution. Ich bin einer, den das Urteil zweier Unbekannter auf einer VHS-Toilette an den Rand des Wahnsinns treiben kann. Jemand, der Inge gerne einer vielleicht noch minderjährigen Bäckereimieze glühende Liebesbriefe schreibt. Nein, ich würde den Brief nicht abschicken, durfte es nicht tun, auf gar keinen Fall. Ich legte mich auf die Couch, war hundemüde, aber kaum hatte ich mir Oms Decke bis zum Kinn hochgezogen, sah ich Großvater verloren inmitten meines Publikums sitzen und war wieder hellwach. Wieso hatte ich mich nicht länger mit ihm unterhalten? Und wieso hatte ich ihn mitten im Gespräch stehen lassen? Irgendwie machte ich alles falsch. Und natürlich warf ich den Brief am nächsten Tag in den Briefkasten.
6Heinz hatte dem Sattel der Vespa einen Müllsack übergestülpt: eine schlaffe Mütze, deren Zipfel traurig bis zum Hinterrad hinabhing. Trübes Unterwasserlicht erfüllte den Hof. Das Notizbuch lag auf der Fensterbank, daneben bewunderte eine dampfende Tasse ihr Spiegelbild, das unter einem beschlagenen Fleck auf der Scheibe schwamm und gelegentlich empor zu meinem durchscheinenden Gesicht schwebte. Hinter Phantomtasse und Phantomgesicht schraffierte schräger Regen den Luftquader zwischen Haus und Beerdigungsinstitut. Heinz und Onkel Jörg waren nicht zu beneiden! Den Kopf gesenkt, damit ihnen der Regen nicht in die Augen schlug, luden sie leere Särge in den Transit, fuhren davon, kamen wieder, trugen volle Särge ins Lager, und jedes Mal, wenn das Knirschen der Autoreifen ihr Kommen ankündigte, trat ich einen Schritt in den Raum zurück: Um diese Zeit brauchte mich niemand am Küchenfenster zu sehen. In drei Stunden käme Jens aus der Schule, und noch immer hatte ich mich nicht dazu aufraffen können, nach oben zu gehen und mit dem Schreiben zu beginnen. Das lag an diesem Morgen natürlich an den Nachwehen der Lesung.
Vorhin, nach dem