Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold
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»Die Achsenmächte hatten die Landung in Nordafrika nicht erwartet, obgleich sie seit dem Waffenstillstand mit Frankreich 1940 ein solches Unternehmen der Alliierten immer befürchteten«, schreibt Herbert Michaelis, »und wurden daher völlig überrascht, obwohl Warnungsmeldungen eingegangen waren. Da die deutschen U-Boote die zahlreichen alliierten Invasionskonvois nicht bemerkt hatten beziehungsweise die Schiffsansammlung in Gibraltar für die Vorbereitung eines Geleitzuges nach Malta hielten, den sie im westlichen Mittelmeer abzufangen hofften, konnten diese ungehindert die afrikanischen Häfen erreichen.«
Am Anfang der ersten gemeinsamen Landeoperation hatte bei den Alliierten die Zwietracht gestanden. Stalin drängte immer mehr auf die Errichtung einer zweiten Front. Er ging so weit, über Mittelsmänner in Stockholm Hitler einen Sonderfrieden anzubieten. Noch heute steht nicht fest, ob der rote Diktator die Offerte ernst gemeint hat oder nur seine ungleichen Bundesbrüder erpressen wollte.
Wie immer war Roosevelt nur zu geneigt, »Uncle Joe« entgegenzukommen. Er wollte deshalb die Invasion auf dem europäischen Kontinent bereits im Jahre 1943 riskieren. Churchill war dagegen: Er hielt diesen Zeitpunkt für verfrüht. Er plädierte dafür, in Nordafrika zu landen, um von hier aus Schläge gegen den »weichen Unterleib Europas« zu führen. Erst als der britische Premier ausdrücklich garantierte, daß die Landung in den französischen Kolonien kein Ersatz für die »Operation Round up« – die später unter dem Decknamen »Overlord« gestartet wurde – wäre, stimmten der US-Präsident und sein Berater unter der Maßgabe zu, daß nicht mehr als 250 000 Soldaten benötigt würden.
Es gab eine Reihe von Bedenken, die man nicht von der Hand weisen konnte. Völkerrechtlich gesehen beging Amerika einen glatten Bruch der Neutralität, und viele Politiker und Militärs in Washington waren der Meinung, man solle – Hitler bekämpfend – nicht Hitlers Beispiel in Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Luxemburg folgen.
Ein Fragezeichen war auch das Verhalten der Spanier. Sie hatten sich bislang aus dem Krieg herausgehalten – obwohl General Franco nur mit Hitlers und Mussolinis Hilfe aus dem Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangen war –, aber wie würden sie reagieren, wenn vor ihrer Haustür die Anglo-Amerikaner überfallartig – ohne Erklärung oder wenigstens Entschuldigung – die nordafrikanischen Besitzungen Frankreichs erobern würden?
Auch vom rein strategischen Standpunkt aus war das erste alliierte Landemanöver umstritten. General Montgomery war dabei, ganz Nordafrika von Osten nach Westen aufzurollen. Wenn er erst Rommel bis an die tunesische Grenze zurückgedrängt hatte – womit man mit Sicherheit rechnen konnte ‒, würden den Alliierten ohne Blutvergießen Tunesien, Algerien und Marokko zufallen.
Das Verhalten der Franzosen blieb ein großes Risiko, das nicht genau eingeschätzt werden konnte. In Souveränitätsfragen galten sie von jeher als besonders empfindlich. Man brauchte einen französischen Repräsentanten an der Spitze des Unternehmens, der faszinierend und einflußreich genug war, um seine Landsleute – trotz aller Bedenken, die sie haben mochten – bereits in der ersten Stunde mitzureißen und auf die Seite der Anglo-Amerikaner zu ziehen. Da General de Gaulle bei den meisten Militärs – zu dieser Zeit – noch als umstritten galt, wurde er an der »Operation Torch« nicht beteiligt, ja nicht einmal über sie informiert. Daß die erste Stimme des Freien Frankreichs bei diesem entscheidenden Manöver abgeschaltet worden war, würden die Gaullisten den Anglo-Amerikanern noch lange Zeit verübeln. Es gab beständig Reibereien mit dem aus Lothringen stammenden französischen General, der sich als erster gegen die Vichy-Regierung aufgelehnt hatte, die Churchill nach dem Krieg zu der Bemerkung veranlaßten: »Das schlimmste Kreuz, das ich zu tragen hatte, war das Lothringer Kreuz.«
In dieser Situation erinnerte man sich an den General Henri Giraud, der vor kurzem eine spektakuläre Flucht aus der sächsischen Festung Königstein und damit aus der deutschen Kriegsgefangenschaft geschafft hatte. Heimlich und offen feierten die Franzosen diese Tat, die Vichy offensichtlich ungelegen kam, denn sie verschlechterte die Beziehungen zur deutschen Besatzungsmacht ganz erheblich. Ausliefern an die Deutschen konnte man Giraud nicht: Marschall Pétain versuchte den General zu überreden, freiwillig zurückzukehren. Giraud schwankte tatsächlich einen Moment. Dann gab er Vichys Staatschef sein Wort, künftig auf jede subversive Tätigkeit gegen die Deutschen zu verzichten; so konnte er ein argwöhnisch beobachteter Gast im eigenen Land bleiben.
Giraud schien der rechte Mann zu sein, aber er stellte die Bedingung, die »Operation Torch« – an der nicht ein einziger Franzose teilnahm – zu leiten. Entweder war es ein Mißverständnis, oder die Unterhändler – OSS-Agenten im unbesetzten Frankreich – gingen zunächst auf jede Bedingung ein, um den Umworbenen mit Hilfe eines U-Boots aus Frankreich herauszuschleusen. Es gab die erste Überraschung: Vichy hatte nach der Tragödie von Mers el Kébir den Engländern den Krieg erklärt, und der ehrsüchtige General wollte nicht an Bord eines englischen Schiffes gehen.
Das U-Boot mußte vorübergehend in amerikanische Dienste gestellt werden. Bei der Landung war der Seegang so hoch, daß Giraud ins Wasser fiel und aufgefischt werden mußte. Als man ihn zu Eisenhower in den unterirdischen Befehlsstand Gibraltars brachte, meldete sich der Franzose mit den Worten: »General Giraud ist bereit, die Landeoperation zu leiten.«
Man machte dem Franzosen höflich klar, daß davon keine Rede sein könne. Einer der Offiziere schlug dem US-Oberkommandierenden vor, Giraud nominell zum »Torch«-Leiter zu ernennen, aber das lehnte Eisenhower ab. »Dann wird Giraud nur Zuschauer sein«, entgegnete der Franzose und zog sich in den Schmollwinkel zurück.
»Seine Flucht war eine sportliche Glanzleistung gewesen«, urteilt Raymond Cartier über den General, »aber was seine sonstigen Leistungen während des Zweiten Weltkriegs betraf, mußte er als ein General gelten, der am zweiten Tag schon besiegt und am siebten gefangengenommen worden war.«
Eisenhowers Haltung gegenüber Girauds Selbstüberschätzung und Eitelkeit wurde in Washington – wo man verärgert über die Zeitverschwendung war – gebilligt. Es blieb ohnedies keine Zeit mehr für Eingriffe oder Änderungen: Die Operation war bereits angelaufen, und die »Western Task Force«, ein amerikanischer Mammutkonvoi von 102 Schiffseinheiten, am Morgen des 23. Oktober aus der Casco Bay, Maine, ausgelaufen, begleitet von dem Flugzeugträger »Ranger«, gefolgt von den Trägern »Suwannee«, »Sangamon«, »Santee« und »Chenango« unter General George C. Patton, und die englische »Eastern Task Force« unter Admiral Ryder dampften auf ihre Ziele zu und eröffneten das Feuer auf die überrumpelten Verteidiger. Die französischen Küstenbatterien schossen bereits zurück, bevor sie überhaupt wußten, wer sie im Schlaf überfallen hatte. Der Himmel trug keine Sterne. Die Nacht war wie ein dunkler Vorhang, als die Lichtarme der Scheinwerfer nach den Landungsbooten griffen. Sirenen heulten. Poilus hasteten durcheinander. Verstörte Zivilisten rannten auf die Straßen, mitten in die Einschläge krepierender Granaten.
Nach der ersten Überrumpelung wehrte sich die französische Armee energisch. Blutiger Kampf bei Safi. Wildes Duell im Hafen von Méhadia, 65 Meilen nördlich von Casablanca. Bei Fédala versuchten 200 00 US-Soldaten, auf 15 Transporter verteilt, das Land zu stürmen.
Doch die französische Küstenartillerie hielt sie in Schach. Ihre Granaten detonierten an Bord des Zerstörers »Murphy«, bis die Batterie im konzentrierten Feuer der Invasoren zum Schweigen gebracht wurde.
7 französische Zerstörer griffen die Invasionsflotte an, zerschossen den US-Zerstörer »Ludlow« und drehten erst bei, als die überlegenen US-Kreuzer »Augusta« und »Brooklyn« sie dazu zwangen. In Casablanca wehrten sich die französischen Batterien bis zur letzten Granate; sie hielten dem Feuer der in der Bucht kreuzenden US-Sicherungsgruppe – 1 Schlachtschiff, 2 Kreuzer und 4 Zerstörer – stand.
Das am Cap Hank liegende französische Schlachtschiff »Jean Bart«