Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson
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Hogan war von der primitiven Herangehensweise in Burnley zwar frustriert. Dennoch verließ er Lancashire erst im Alter von 23 Jahren zum ersten Mal, und das auch nur aufgrund finanzieller Differenzen. Fulhams Trainer Harry Bradshaw, den er bei Burnley kurz kennengelernt hatte, lockte ihn fort. Bradshaw verfügte über keinen Hintergrund als Spieler und war eher Geschäftsmann und Funktionär denn Trainer. Nichtsdestotrotz besaß er klare Vorstellungen davon, wie Fußball gespielt werden musste. Da er kein Anhänger des Kick-and-rush war, verpflichtete er eine Reihe von schottischen Trainern, die im Kurzpassspiel geschult waren.
Bradshaws Methode war fraglos erfolgreich. Mit Hogans Hilfe gewann Fulham 1906 und 1907 die Meisterschaft in der Southern League. Nachdem der Verein 1907/08 der zweiten Liga der Football League beigetreten war, erreichte man das Halbfinale des FA-Pokals, wo man schließlich gegen Newcastle United verlor. Bei dieser Gelegenheit spielte der bereits seit einiger Zeit an einer Knieverletzung laborierende Hogan zum letzten Mal für den Klub. Geschäftsmann, der er war, entschied Bradshaw, dass weitere Einsätze ein nicht zu rechtfertigendes Risiko für den Verein darstellten. Kurzzeitig schloss Hogan sich Swindon Town an. Dann aber überzeugten ihn Vertreter der Bolton Wanderers von einer Rückkehr in den Nordwesten, nachdem sie eines Sonntags nach der Abendmesse vor der Kirche auf ihn gewartet hatten.
Seine dortige Karriere verlief indes enttäuschend und endete mit dem Abstieg. Dafür wurde Hogan bei einer während der Saisonvorbereitung durchgeführten Reise in die Niederlande auf das in Europa schlummernde Potenzial und den dort vorhandenen Lernwillen der Spieler aufmerksam. Der englische Fußball mochte Training vielleicht als unnötig abgetan haben – die Niederländer hingegen bettelten geradezu darum. Nach einem 10:0-Sieg über den FC Dordrecht schwor Hogan, eines Tages „zurückzukehren und diesen Jungs beizubringen, wie man vernünftig spielt“.
Dass es tatsächlich so kommen sollte, war auch seiner Freundschaft mit dem aus Redcar stammenden Ingenieur James Howcroft, der als einer der besten Schiedsrichter galt, zu verdanken. Da Howcroft regelmäßig die Leitung von Spielen außerhalb Großbritanniens übernahm, kannte er eine Reihe ausländischer Funktionäre. Eines Abends erwähnte Howcroft Hogan gegenüber, dass Dordrecht einen neuen Trainer suche und darauf hoffe, einen Experten des britischen Spiels zu verpflichten. Hogan ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und bewarb sich. Ein Jahr nach seinem Schwur kehrte er im Alter von 28 Jahren nach Holland zurück, wo man sich auf einen Zweijahresvertrag einigte.
Hogans Spieler waren Amateure, darunter viele Studenten. Dennoch begann er sie einem Training zu unterziehen, wie er es bei britischen Profis für angebracht gehalten hätte. Fraglos förderte er dabei auch die Fitness der Spieler, doch ging es ihm vor allem darum, ihre Ballkontrolle zu verbessern. Seinen eigenen Worten nach wollte er mit seiner Mannschaft „das alte schottische Spiel“ nachbilden und auf „intelligente, konstruktive und fortschrittliche Weise“ spielen lassen. Hogan führte auch theoretische Einheiten ein, in denen er seine Vorstellungen vom Fußball mit Kreide auf einer Tafel erläuterte. Fort an wurde Taktik und Positionsspiel nicht mehr einfach nur spontan auf dem Platz vermittelt, sondern mit Hilfe von Diagrammen in einem Klassenzimmer erklärt.
Hogan war erfolgreich und beliebt – so sehr, dass man ihn um die Betreuung der niederländischen Nationalmannschaft bei einem Spiel gegen Deutschland bat. Dieses endete mit einem 2:1-Erfolg. Da Hogan aber gerade einmal 30 Jahre alt war, überkam ihn das Gefühl, auch als Spieler noch einiges geben zu können. Als sein Vertrag in Dordrecht endete, kehrte er nach Bolton zurück, wo man seine Spielerlaubnis aufrechterhalten hatte. Hogan wirkte dort noch eine Saison lang und leistete seinen Beitrag zum Aufstieg des Teams. Dennoch wusste er, dass seine Zukunft die eines Trainers war. Im Sommer 1912 sah er sich erneut nach einer Anstellung um. Wiederum erwies sich Howcroft als hilfreich, indem er den Kontakt zu Hugo Meisl herstellte, dem großen Pionier des österreichischen Fußballs.
Hugo Meisl wurde 1881 in der böhmischen Stadt Maleschau als Sohn einer bürgerlich-jüdischen Familie geboren. Schon als Kind kam er nach Wien. Er begeisterte sich zunehmend für Fußball und spielte mit begrenztem Erfolg für den Cricket Club. Allerdings sah sein Vater ihn lieber als Geschäftsmann und besorgte ihm einen Arbeitsplatz in Triest. Bald sprach Meisl fließend Italienisch und erwarb auch in anderen Sprachen Grundkenntnisse. Für seinen Wehrdienst kehrte er schließlich nach Wien zurück. Er folgte dem Wunsch seines Vaters, sich eine Stelle bei einer Bank zu suchen, begann allerdings gleichzeitig, für den österreichischen Fußballverband zu arbeiten. Dort war Meisl zunächst vor allem mit der Einwerbung von Geldmitteln betraut. Meisl, wie Hogan ein intelligenter Innenstürmer, hatte jedoch konkrete Vorstellungen vom Fußball und war entschlossen, an der Zukunft des österreichischen Fußballs mitzuarbeiten. So erweiterte sich langsam, aber sicher sein Tätigkeitsfeld. Als er de facto Vorsitzender des österreichischen Verbandes wurde, gab er seine Karriere als Banker schließlich auf.
1912 spielte Österreich in einem von Howcroft geleiteten Spiel 1:1 gegen Ungarn. Enttäuscht über das Ergebnis, fragte Meisl Howcroft, was seine Mannschaft wohl falsch gemacht habe. Howcroft entgegnete ihm, dass Österreich seiner Meinung nach einen geeigneten Trainer bräuchte – jemanden, der die individuelle Technik der Spieler weiterentwickeln konnte, mit anderen Worten: jemanden wie seinen alten Spezi Jimmy Hogan. Ohne viel Federlesens verpflichtete Meisl Hogan und gab ihm einen sechswöchigen Vertrag. Ein Teil von Hogans Engagement bestand darin, mit österreichischen Vereinen zu arbeiten. Vor allem aber sollte er die österreichische Nationalmannschaft auf die Olympischen Spiele 1912 in Stockholm vorbereiten.
Hogans erste Trainingseinheit verlief nicht sonderlich gut. Die österreichischen Spieler konnten ihn nur schwer verstehen und hatten das Gefühl, er konzentriere sich zu sehr auf Grundlagenarbeit. Meisl dagegen war beeindruckt. Er und Hogan unterhielten sich bis tief in die Nacht über ihre Vorstellungen vom Fußball. Aus taktischer Sicht konnten beide am 2-3-5 nichts Fehlerhaftes entdecken – schließlich bildete es seit über 30 Jahren das Fundament des Fußballs. Beide meinten jedoch, dass eine Weiterentwicklung vonnöten sei, weil viele Mannschaften zu unflexibel und somit vorhersehbar agierten. Beide hielten es überdies für notwendig, den Ball die Arbeit machen zu lassen. Rasche Kurzpasskombinationen waren ihrer Meinung nach dem Dribbling vorzuziehen und die individuelle Technik entscheidend – allerdings nicht für jene kurvenreichen Sololäufe, die einmal das Markenzeichen des südamerikanischen Fußballs werden sollten. Stattdessen ging es um die sofortige Ballkontrolle bei der Annahme eines Passes und die damit verbundene Möglichkeit einer schnellen Weitergabe. Hogan legte außerdem Gewicht auf lange Pässe, mit denen die gegnerische Verteidigung durcheinandergebracht werden sollte – vorausgesetzt, die Bälle wurden nicht einfach nach vorne gehauen, sondern genau gespielt. War Meisl ein Romantiker, war Hogan im Grunde genommen ein Pragmatiker. Nicht irgendwelche weltfremden Glaubenssätze hatten ihn zu einem Missionar des Passspiels macht. Hogan war einfach nur der Meinung, dass Ballbesitz das beste Mittel sei, um Fußballspiele zu gewinnen.
Österreich verpasste Deutschland in Stockholm eine 5:1-Packung, schied dann aber im Viertelfinale nach einem 3:4 gegen die Niederlande aus. Dessen ungeachtet blieb Meisl weiterhin von Hogan überzeugt. Als der Deutsche Fußball-Bund ihn um eine Empfehlung bei Hogan bat, bot er diesem lieber selbst einen Job an. Meisl beauftragte ihn mit der Vorbereitung Österreichs auf die Olympischen Spiele 1916. „Mein dunkles, finsteres und industriell geprägtes Lancashire zu verlassen und ins lebenslustige Wien zu kommen, war, wie ins Paradies einzutreten“, sagte Hogan. Er arbeitete zweimal in der Woche mit der Olympiaauswahl und trainierte in der übrigen Zeit mit den besten Vereinsmannschaften der Stadt. Am Ende war er so gefragt, dass er seine Einheiten beim Wiener FC morgens um halb