NECROSTEAM. Группа авторов

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mit sich ringen, um die Worte über die Lippen zu bringen, und als er sie schließlich äußerte, verschluckte das Heulen des arktischen Windes sie beinahe: »Wolfe, alter Freund … ich weiß nicht weiter.«

      Mit einem Mal schienen alle Dämme Loxleys zu brechen. All die aufgestaute Frustration und Enttäuschung brachen sich mit ungebändigter Gewalt Bahn. Entgeistert sahen Kalliope und ich zu, wie er aufsprang, wetternd und zeternd. Auf und ab hetzend, raufte er sich die Haare, packte in seinem Zorn eine der Urnen und schleuderte sie mit aller Kraft gegen einen Felsen. Das Klirren, mit dem das Gefäß zu Bruch ging, hallte unnatürlich laut durch die plötzliche Stille. Selbst der Wind schien zu verstummen. Loxley, die Fäuste geballt und die Zähne gefletscht, starrte böse in Richtung der Scherben. Und stutzte. In diesem Moment sah ich es auch.

      Ein sanftes, für das bloße Auge kaum wahrnehmbares Leuchten ging von der Stelle aus, an der die Überreste der Urne gelandet waren. Ein türkisfarbenes Glitzern hing in der Luft. Vorsichtig näherten wir uns den Bruchstücken. Wir beide kannten die Form und Farbe der Kristallpartikel, die dort langsam in die kalte Nachtluft aufstiegen.

      Zum zweiten Mal an jenem Tag sah ich Loxley auf die Knie fallen. Aber diesmal schienen seine Beine aus Erleichterung, aus erlöster Glückseligkeit nachzugeben. Loxley ließ die Finger durch den Kristalldunst gleiten. Dann schaute er zu mir auf. Seine blauen Augen leuchteten, und mich beschlich der Verdacht, dass sie ein sanfter, türkiser Schimmer erhellte.

      Entsetzt griff ich nach seiner Hand. Und spürte, dass mir der Mensch, mit dem ich so viel durchgestanden hatte und der mir so vertraut war, in ebenjenem Moment entglitt. Diese Reise hatte zunächst an seinem alten Selbst genagt, dann hatte sie begonnen, immer größere Stücke seines Geistes abzubeißen – und drohte nun, ihn gänzlich aufzufressen.

      Doch mir blieb keine Wahl, als zu nicken und ihm zu folgen, als er mit schrillem Lachen hervorstieß: »Cambridge, Wolfe! Die Lösung lag die ganze Zeit vor unserer Nase, aber ich Tor habe es nicht erkannt! Auf nach Cambridge!«

      Die Heimreise nach England verbrachten wir in bleischwerem Schweigen. Kalliope mied sowohl mich als auch Loxley. Letzterem sah sie nicht mehr in die türkisblauen Augen, seit wir die Arktis verlassen hatten. Sie fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Nähe, schien jedoch aus Treue an seiner Seite bleiben zu wollen.

      Wir erreichten das letzte Ziel unserer Odyssee am Silvesterabend des Jahres 1859. Der Anblick, der sich uns bot, als die riesenhafte Masse Cambridges endlich am Horizont erschien, hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Es war ein klarer Tag, und wir konnten weit landeinwärts blicken, dorthin, wo eine blaugrüne Kuppel aus Dunst und Rauch die Silhouette Cambridges verhüllte. Schon aus hundert Meilen Entfernung konnte man sie sehen: die Horden. Unzählige Gestalten entströmten der Stadt, doch anfangs ließ sich unmöglich erkennen, worum es sich dabei handelte.

      Als wir zum Landeanflug auf Cambridge ansetzten und in den Sinkflug gingen, wurde offenbar, was es mit diesen Flüchtlingskolonnen auf sich hatte: Die Glut der untergehenden Sonne spiegelte sich feurig in zahllosen metallenen Gesichtern. Tausende und Abertausende von Automaten marschierten zügigen Schrittes die Landstraßen entlang. In alle Richtungen zogen sie aus, schneller und ausdauernder, als es ein Mensch vermocht hätte. Sie trugen nichts bei sich als die Uniformen, die ihnen ihre Meister auf die kalten Leiber hatten schneidern lassen.

      Der Marsch der Uhrwerksmenschen hatte trotz seiner unerbittlichen Gleichmäßigkeit etwas Gehetztes. Verstohlen beobachtete ich, wie Kalliopes Augen den schier endlosen Zügen ihrer Brüder und Schwestern folgten, bis sie am Horizont verschwanden. Eine innere Unruhe schien sie befallen zu haben, doch wie so oft schwieg sie nur, wandte sich ab und begann, den Kurs unseres Schiffes gemäß Loxleys Anweisungen zu korrigieren.

      Wir tauchten in die Dunstschwaden über Cambridge ein und stellten zu unserer Überraschung fest, dass dort vermeintlich alles seinen normalen Gang zu gehen schien. Einzig einige Fabrikarbeiter und Polizisten bemühten sich vergeblich, die eigenartige Flucht der Automaten aufzuhalten. Niemand sonst schenkte ihnen Beachtung. Ebenso wenig wie den Kristallen, die in ihrer Größe um ein Vielfaches gewachsen zu sein schienen und so hell glühten wie nie zuvor. Im widerlichen, blendenden Licht der Partikel verloren die Gebäude der Stadt jegliche Kontur und Tiefe. In meiner Wahrnehmung bestand Cambridge nur noch aus sattem Türkis und tiefstem Schwarz. Der unerschütterlichen Kalliope gelang es dennoch spielend, unser Schiff zum Lufthafen zu lenken und uns sicher zu Mutter Erde zurückzubringen.

      Loxley wurde auf den letzten Metern zunehmend fahrig. Immer wieder brachen einzelne Worte aus ihm hervor, die keinerlei Sinn ergaben. Mir brach das Herz, als ich zusehen musste, wie mein genialer Freund vor meinen Augen scheinbar den Verstand verlor. Als wir auf dem Boden aufsetzten, warf er sich gegen die Außentür der Kabine, riss sie fast aus den Angeln, und stolperte mit zitternden Knien hinaus in die Silvesternacht.

      Er lief in einer unmenschlichen Geschwindigkeit voran. Warum Kalliope und ich ihn nicht einfach ziehen ließen, vermag ich nicht mehr zu sagen. Vermutlich folgten wir ihm aus dem verzweifelten, hilflosen Wunsch heraus, ihn irgendwie zur Vernunft bringen zu können, wenn wir ihn nur einholten. Wie getrieben hetzte Loxley immer tiefer in das Herz der Altstadt.

      Meine Lungen brannten in der kalten Abendluft, und die seltsam verzerrten Umrisse der Gebäude um mich her gaben mir das Gefühl, durch einen Albtraum zu rennen. Mauern und Laternen flogen an mir vorbei, geisterhafte Schemen in purem Türkis. Irgendwann verlor ich jedes Gefühl in meinen Beinen und kannte nur noch das blinde Vorwärts. Das Leuchten wurde heller und heller, je weiter wir in das Zentrum der Stadt vordrangen. Und dann blieb Loxley plötzlich stehen.

      Vor uns erhob sich der Turm der Round Church, einer der bekanntesten und schönsten Kirchen Cambridges. Zumindest hatte ich das bis zu jenem Abend geglaubt. Als Loxley aber das Portal öffnete und in die glitzernde Helligkeit eintrat, die sich dahinter auftat, fiel mir nach all den Jahren plötzlich der wahre Name der Round Church wieder ein: Church of the Holy Sepulchre. Kirche des Heiligen Grabes.

      Obwohl mein Herz in meiner Brust hämmerte, als wolle es durch meine Rippen brechen, folgte ich Loxley, Kalliope an meiner Seite. Als sie meine Hand ergriff, spürte ich die Schwingungen, die ihren so zarten und zugleich starken Körper durchliefen. Wir durchschritten das Portal, wenngleich alles in uns sich dagegen sträubte, uns anflehte, stehen zu bleiben, dem Grauen, das dort drinnen wartete, den Rücken zuzukehren.

      Im Inneren der Kirche schlängelten sich Adern pulsierender, türkiser Energie durch Mauerwerk, Boden, Wände, Decke. Ein Pochen wie das tiefe, langsame Schlagen eines gewaltigen Herzens dröhnte uns in den Ohren. Es mischte sich mit einem schrillen, wahnsinnigen Keckern. Entsetzt realisierte ich, dass es von Loxley kam. Er kauerte in der Mitte des Runds aus Säulen, das der Kirche ihren Beinamen eingebracht hatte.

      Dort entsprangen die gleißend hellen Lichtadern. Vor Loxley formten sie etwas, das mein einfältiger Verstand nur als eine Art runder Tür im Boden zu interpretieren vermochte. Umgeben von Schriftzeichen, die keiner irdischen Sprache angehörten, bestand sie zur Gänze aus türkisfarbenem Kristall. Wie hypnotisiert starrte ich auf das pochende, lebendige Licht im Inneren, das nicht von unserer Welt sein konnte, und spürte den Sog, der mich zu ihm hinzog. Doch Kalliopes Hand hielt mich in dieser, unserer Realität fest.

      Als Loxley die Hand ausstreckte, um die übernatürliche Tür zu öffnen, entrang sich der Automatin ein hoher, klagender Schrei. Im nächsten Augenblick riss sie an meinem Arm, zerrte mich fort. Ich stemmte mich mit aller Macht dagegen. Tief in mir sehnte sich etwas danach, zu sehen, was sich hinter jener Tür verbarg. Alle anderen Teile meines betäubten Bewusstseins jedoch brüllten in Schmerz und Angst auf, und sie waren es, die mich nach heftigem Kampf schließlich Kalliopes Drängen nachgeben ließen. Ich stolperte und fiel, als sie mich mit sich zog.

      Und sah gerade in dem Moment auf, in dem Loxley das Tor zu einer anderen Welt öffnete.

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