Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein
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Erste Aufgabe eines Trainers ist es, unter den ihm zur Verfügung stehenden Spielern die richtige Mischung auszuwählen. Jeder muss überlegen, wie er die ihm zur Verfügung stehenden individuellen Qualitäten am wirkungsvollsten einsetzen kann.
Frankreichs Nationaltrainer Aimé Jacquet hatte 1998 das Glück, eine „Weltauswahl“ präsentieren zu können. In der „Équipe tricolore“, die mit prickelndem Champagner-Fußball den Weltmeistertitel errang und dabei nicht nur die französischen Fans begeisterte, fanden sich sehr talentierte Spieler unterschiedlichster Herkunft zusammen. Um den „Urfranzosen“ Didier Deschamps bildeten Spieler wie Lilian Thuram und Thierry Henry (Guadeloupe), Patrick Vieira (Senegal), Marcel Desailly (Ghana), Zinedine Zidane (Algerien), Youri Djorkaeff (Armenien) und Christian Karembeu (Neu-Kaledonien) ein multikulturelles Team. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, als sei diese Mischung ein Geheimrezept für zauberhaften Fußball. Das französische Team vereinigte viele Qualitäten, die aber natürlich ursächlich nichts mit der ethnischen Herkunft der Spieler zu tun hatten. Entscheidend war die Kombination der Fähigkeiten und Charaktereigenschaften der einzelnen Spieler.
„Elf Kämpfer“, sagte die Trainer-Ikone Hennes Weisweiler, „wachsen ebenso wenig zu einer guten Mannschaft wie elf Techniker.“ Jeder Trainer muss aus technisch versierten, robusten, schussstarken, schnellfüßigen, konditionsstarken, spontanen und intelligenten Spielern eine richtige Mischung formen und sie in den Mannschaftsteilen einsetzen, wo ihre Stärken am besten zur Wirkung kommen. Der ehemalige deutsche Bundestrainer Helmut Schön schwor auf eine Kombination von drei Elementen: auf Spieler, die dafür sorgen, dass sich die Mannschaft diszipliniert und nach System auf dem Platz bewegt (das ordnende Element), auf Individualisten, die mit spontanen Aktionen überraschende Akzente setzen können (das spielerische Element), sowie auf „Männer mit Herz“, die immer Dampf machen und nie aufgeben (das kämpferische Element). Aber nicht nur die Vereinigung der Eigenschaften von Denkern, Musikern und Kriegern ist wichtig. Zu einem funktionierenden „Rezept“ gehören noch weitere Zutaten, etwa die Ergänzung der Tugenden von alten Spielern (Übersicht, Erfahrung) durch die Vorzüge junger Talente (Unbekümmertheit, Tatendrang). Zudem muss die Mischung nicht nur spielerisch, sondern auch „seelisch“ stimmen. Nur wenn die geistige und psychische Zusammen-Stimmung passt, wenn ausgleichende und aggressive Typen ein leistungsförderndes Klima schaffen, wird eine Mannschaft stark. Trotz der enormen Bedeutung, die der mannschaftlichen Geschlossenheit zukommt, gibt oft erst ein Quäntchen individuelles Rebellentum den Ausschlag zum Sieg. Nicht selten sind es gerade die unangepassten, unbequemen und eigenwilligen Ausnahmespieler à la Maradona, die den entscheidenden Schlussstein im Spielerpuzzle setzen.
In früheren Zeiten gab es in jeder Mannschaft eine klare Hierarchie: Bei dem in den 1920er Jahren dominierenden 1. FC Nürnberg gab es als spielbestimmende Figur den Mittelläufer Hans Kalb, dem der konditionsstarke Läufer „Bumbes“ Schmidt zur Seite stand; in der berühmten Gladbacher Mannschaft der 1970er Jahre hielt dem Regisseur Günter Netzer das „Laufwunder“ Hacki Wimmer den Rücken frei; im Weltmeister-Team von 1974 ließ sich der Libero Franz Beckenbauer von seinem „dritten Fuß“ Georg Schwarzenbeck die Gegner weghauen. Nicht alle Spieler einer Mannschaft, so lässt sich daraus schließen, müssen „geniale“ Fußballer sein, denn nicht immer, so Cesar Luis Menotti, der argentinische Weltmeister-Trainer von 1978, ist der „bessere Spieler auch der wertvollere für das Team“. Deswegen war es keineswegs unwichtig, dass Helmut Schön, der dem armen Schwarzenbeck zunächst noch die Tür zur Nationalmannschaft verschlossen hatte – „mit so einem lachen einen doch alle aus“ – später zur Einsicht und mit einem siamesischen „Schwarzenbeckenbauer“ zum WM-Titel kam.
Besonders in deutschen Mannschaften war das Spezialistentum ausgeprägt und die Rollenzuteilung streng. Chefs waren die Spielmacher im Mittelfeld, anerkannt waren die „Bomber“ in der Sturmmitte, bewundert wurden die Dribbelkönige und Flankengötter auf den Flügeln. Der Rest waren die Helfer, die Lungen, die Wasserträger, die Männer fürs Grobe, die den Machern, Vollstreckern und den „Künstlern“ zu dienen hatten. Solche Hierarchien scheinen heute weitgehend aufgelöst. Eine klare Trennung zwischen Arbeitern und Kreativen gibt es nicht mehr. Zwar wird in Deutschland noch diskutiert, ob eine Mannschaft einen „Kommandeur“ benötigt, doch in anderen Ländern ist die Vorstellung, dass es „Führungsspieler“ gibt, die durch entsprechende „Komplementärspieler“ ergänzt werden müssen, schon lange zu den Akten gelegt. Heutige Autoren betonen unermüdlich, moderne Teams seien funktionierende Kollektive, die keinen eigentlichen Chef mehr benötigten. Je nach Spielsituation nehme immer wieder ein anderer Spieler eigenverantwortlich den Dirigentenstab in die Hand und gebe den Takt an. Trotzdem gibt es aber wohl immer noch kleine Unterschiede.
Die Feststellung, im modernen Fußball hätten totale Spezialisten nichts mehr zu suchen, ist sicher richtig. Die Zeit, in der es noch reine Stürmer und reine Verteidiger gab und in der ein Mann wie der Argentinier Stabile, dessen Fähigkeiten einzig auf Schnelligkeit und Schusskraft beruhten, zum Torschützenkönig einer WM (1930) werden konnte, sind heute vorbei. Damals waren die Argentinier noch mit der Taktik zum Erfolg gekommen, dass die in der Ballführung perfekten Spieler den Gegner an sich zogen und dann mit dem schnellen Pass in die so entstandenen Lücken den „Abwehr-Filtrierer“ („El Filtrador“) Stabile bedienten. Heute wird jedem Spieler eine außergewöhnliche Vielseitigkeit abgefordert. Während beim Football Spieler eingewechselt werden, um nur eine einzige spezielle Aktion auszuführen, ist der moderne Fußballspieler im Verlauf eines Matches gezwungen, die unterschiedlichsten Aufgaben zu erfüllen: Ein Verteidiger muss auch stürmen können, ein Stürmer muss auch verteidigen können, im Mittelfeld muss die kreative und athletische Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werden.
Angefangen habe dieses moderne Spiel, so wird allenthalben erzählt, mit dem „totalen Fußball“ der Niederländer in den 1970er Jahren. Dieses Team war, trotz der überragenden Figur Johan Cruyff, ein Kollektiv, in dem jeder Spieler prinzipiell jede Position ausfüllen konnte. Aber das Kollektiv hatte auch einen Kopf. Cruyff stand wie ein Feldherr dazwischen, korrigierte die Positionen und zeigte Laufwege an. In seiner Funktion für das Team hätte er von dem bulligen Neeskens wohl kaum adäquat ersetzt werden können. Und nicht nur die Leichtigkeit und Finesse, auch die Führungsstärke eines Zinedine Zidane war im französischen Weltmeister-Team genauso unersetzbar wie es heute ein Michael Ballack in der deutschen Nationalmannschaft ist. Beide Beispiele zeigen aber zugleich, dass der Star im klassischen Sinn, der für sich Sonderrechte beansprucht, ausgedient hat. Beide sind herausragende Einzelspieler, ordnen sich jedoch ins Kollektiv ein. Sie wissen, dass sich nicht das Spiel der Mannschaft auf sie, sondern dass sie sich auf das Spiel der Mannschaft einstellen müssen. Kein Team kann sich mehr primadonnenhafte und lauffaule Stars leisten, die aus der Gesamtdisziplin ausscheren.
Grundelement des gelungenen Zusammenspiels sind einstudierte Spielzüge. Gute Mannschaften zeichnen sich immer dadurch aus, dass die Spieler ihr Handeln aufeinander abstimmen können, dass jeder Spieler weiß, wie sich die anderen verhalten, wie sie sich bewegen und wie sie den Ball spielen werden. Im Fußballsport ist Eingespielt-Sein eine Macht, und dementsprechend resultiert aus fehlendem Verständnis fußballerische Ohnmacht. Fehlt das Zusammenspiel, so kommt es zu sinn- und fruchtlosen Einzelaktionen und vielen Ballverlusten, weil sich die Mitspieler nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort befinden. Sinnvolle Spielzüge können nur dann herauskommen, wenn die Individuen sich „verstehen“, wenn sie in der Lage sind, sich wechselseitig in die Erwartungen und Absichten der anderen einzufühlen. Jede Handlung eines Spielers, so der Philosoph und Psychologe George Herbert Mead, „wird von der Annahme über die voraussichtlichen Handlungen der anderen Spieler bestimmt. Sein Tun und Lassen wird durch den Umstand kontrolliert, dass er gleichzeitig auch jedes andere Mitglied der Mannschaft ist, zumindest insoweit, als diese Haltungen seine eigenen spezifischen Haltungen beeinflussen.“ Wenn Spieler in der Lage