Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein

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man aus bereits erwähnten Gründen auch Rugby und Football rechnen muss – ist der Ball nur selten frei zu greifen. Weil er sich permanent im festen Griff irgendeines Spielers befindet, ist es in Spielen wie Handball und Football für den Angreifer äußerst schwierig, sich in Ballbesitz zu bringen. Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen: Entweder erlaubt man, dass der Ball demjenigen, der ihn gerade in Händen hält, gewaltsam entrissen wird, oder man verbietet jede Attacke, sobald ein Spieler den Ball sicher unter Kontrolle hat.

      Zur ersten Lösung tendieren Rugby und Football, während Handball und Basketball zum Gegenteil neigen. Die mit beiden Varianten verbundenen Probleme liegen auf der Hand: Erlaubt man eine Attacke auf den Körper des Gegners, ist man sofort mit der Aufgabe konfrontiert, Mittel und Wege zu ersinnen, wie die so herausgeforderte Gewalt wieder eingeschränkt werden kann. Im Rugby und insbesondere im Football mussten daher äußerst genaue und komplizierte Regeln geschaffen werden, um einerseits schwerwiegende Verletzungen zu vermeiden und andererseits zu verhindern, dass jeglicher Spielfluss in einem Tohuwabohu sich raufend ineinander verkeilender Menschen erstickt wird. Verbietet man den Angriff auf den sicher gehaltenen Ball, liegt das Problem darin, wie der für ein Spiel doch notwendige Ballwechsel zwischen den Parteien überhaupt noch möglich bleiben kann. Tatsächlich ist die Eroberung des Balles ein für das Handball- und Basketballspiel uncharakteristischer Vorgang. Beide Spiele sind nahezu reduziert auf die ununterbrochene Abfolge von Versuchen, ein Tor bzw. einen Korb zu erzielen. Bei Treffern und Fehlversuchen wechselt der Ballbesitz automatisch, und da beides so häufig ist, ist das Hin und Her des Spiels nicht abhängig von Fehlern bei der Ballabgabe.

      Die Frage, wie der Ball im Spiel zwischen den Parteien wechseln kann bzw. soll, ist einzig im Fußball befriedigend gelöst. Die Probleme von Spielen wie Football, Handball oder Basketball – Gewalt und Verregelung einerseits, Mangel an Dramaturgie durch die Vielzahl der Treffer andererseits –, werden im Fußball bereits durch das einfache Verbot des Handspiels vermieden. Einzig beim Fußball bleibt der Ball, weil „ungegriffen“, frei und ist dadurch permanent dem „Zutritt“ des Gegners ausgesetzt. Nie kann sich ein Spieler seines Besitzes sicher sein, gleichzeitig muss er aber auch nicht um Leib und Leben fürchten, wenn andere versuchen, ihrerseits den Ball zu erobern. Weil er ein „offenes“ Spiel ist, muss beim Fußball keineswegs jeder Angriff mit einem Torschuss oder einem Treffer abgeschlossen werden, damit der Ball zum Gegner wechselt; und weil er ein in sich diszipliniertes Kampfspiel ist, kann er auf komplizierte Regeln verzichten, die den Einsatz körperlicher Gewalt regeln müssten.

      Es scheint so, als verberge sich hinter der vermeintlichen Insuffizienz des Fußballspiels – schätzungsweise jede zweite Angriffsaktion endet mit einem Fehlpass! – eine geheimnisvolle Spiel-Stärke. Das durch die Ungeschicklichkeit der Füße verursachte extrem hohe Risiko des Ball-verlusts führt dazu, dass dem Fußball eine elementare Unsicherheit und Unkalkulierbarkeit im Ablauf des Geschehens eigen ist, die sich mit kaum einer anderen Mannschaftssportart vergleichen lässt. Aussichtsreich scheinende Angriffe enden plötzlich durch überraschende Fehler oder durch das gelungene Tackling eines Verteidigers, schon wendet sich das Blatt, und der eben noch Angreifende wird kalt von einer Konterattacke erwischt. Gerade diese Unvollkommenheit ist also die Voraussetzung für eine Permanenz der Spannung.

      Nirgendwo sonst wechselt der Ball so oft und oft so überraschend zwischen den Mannschaften, nirgendwo sonst ist der Ablauf eines Spiels so unvorhersehbar. Kurz: Weil der Fuß so unzuverlässig ist, kann der Fußball auf komplizierte Regeln verzichten und gleichzeitig zu einem dramatischen Spiel werden, das sowohl durch rassige Zweikämpfe wie durch ein fließendes Hin und Her der Bewegungen gekennzeichnet ist. Oder, paradox ausgedrückt: Der Erfolg des Fußballspiels beruht zu einem großen Teil auf einem Misserfolg – nämlich dem Misserfolg des menschlichen Versuchs, einen Ball mit dem Fuß zu „greifen“.

      SYSTEME

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      Es kann mit Recht in Frage gestellt werden, ob jede Mannschaft mit System spielt. Fest steht aber, dass jede ein System hat. In den 1970er Jahren begann der Autor dieser Zeilen seine eigene bescheidene Fußballer-Karriere in der C-Jugendmannschaft der Sportvereinigung Nürnberg-Ost im damals festgeschriebenen 4-3-3-System. Wir spielten mit zwei Außenverteidigern (Nummer 2 und 3), einem „Libero“ (Nummer 5) plus Vorstopper (Nummer 4) in der Abwehr, zwei Läufern (Nummer 6 und 8) und einem Spielmacher (Nummer 10) im Mittelfeld, vorne mit zwei Außenstürmern (Nummer 7 und 11) und einem Mittelstürmer (Nummer 9). Eine Zeit lang wurde unser Team von einem älteren Mann trainiert, der in seinen taktischen Vorbesprechungen die Begriffe „Mittelläufer“ und „Halbstürmer“ verwendete. „Du spielst den Mittelläufer“, sagte er zu einem meiner Mitspieler. „Du spielst auf halbrechts“, wies er mich an. Zu einem Dritten sagte er: „Du machst den rechten Läufer!“

      Das war alles etwas verwirrend. Den Mittelläufer konnte man noch identifizieren. „Der meint halt den Libero“, machte man sich klar – auch wenn das Team damals nicht eigentlich mit einem Libero spielte, sondern mit einem Ausputzer, der die Bälle hinten rausschlug und nie die Mittellinie überschritt; aber das war eben die Position Beckenbauers und der spielte „Libero“. Schwieriger war es mit den „Halbstürmern“. Rechts gab es einen Verteidiger, einen Läufer, einen Außenstürmer. Auch die Position des Spielmachers im zentralen Mittelfeld war bereits besetzt. Mir war ziemlich unklar, wo nun ich meinen Platz finden sollte, und ich lief daher mit dem unbestimmten Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, auf den Platz.

      Heute kann ich mir klarmachen, was passiert war. Der Trainer hatte die in den 1970er Jahren übliche Aufstellung des 4-3-3 überlappt mit dem traditionellen 2-3-5-„Pyramiden“-System und dabei Positionen aus beiden Systemen verteilt. Mit diesem alten System war der traditionsreiche Arbeiterverein SpVg (damals TuS) Nürnberg-Ost im Jahr 1932 vor 30.000 Zuschauern in Nürnberg mit einem 4:1 über Cottbus 1893 letzter Meister des Arbeiter-Turn- und Sportbundes geworden. Beim englischen Cupfinale von 1933, als die Spieler erstmals mit Rückennummern aufgelaufen waren, hatte man sie von hinten rechts bis vorne links so durchnummeriert: 2 (rechter Verteidiger), 3 (linker Verteidiger), 4 (rechter Läufer), 5 (Mittelläufer), 6 (linker Läufer), 7 (Rechtsaußen), 8 (Halbstürmer rechts), 9 (Mittelstürmer), 10 (Halbstürmer links), 11 (Linksaußen).

      Damit die Aufstellung des Trainers hätte funktionieren können, hätten wir mit zwölf statt mit zehn Feldspielern antreten müssen: Eben mit allen Positionen des 4-3-3 plus zwei Halbstürmern. Es ist davon aus-zugehen, dass unser Systemtheoretiker zwei Spielern doppelte Positionen gegeben oder aber zwei Positionen schlicht vergessen hat. Da relativ unwahrscheinlich ist, dass zwei Spieler ohne Murren sich auf „Doppelpositionen“ haben aufstellen lassen, muss er wohl zwei Positionen unbesetzt gelassen haben. Welche das waren, kann ich heute nicht mehr sagen. Ganz offensichtlich ist nur, sofern man regulär mit zehn Feldspielern antritt: Man kann nur entweder mit Läufern oder mit Halbstürmern spielen, wenn man zugleich vier Leute in der Abwehr haben will.

      Damals war mir das allerdings nicht auf Anhieb klar. So lief ich also, ein starker Läufer (im leichtathletischen Sinne), auf den Platz und suchte meine Position in Abstimmung mit dem nominierten Läufer. Das Problem löste sich dann überraschend schnell, als der Gegner im Angriff war. Jeder suchte sich einfach seinen Mann, und so kamen wir in der Defensive dann ganz gut zurecht. Wenn wir selbst in Ballbesitz waren, wurde es komplizierter. Da musste man sich von seinem Mann lösen, sich freilaufen, bestimmte Wege gehen, sich anbieten. Und wenn einer vorging, musste er sich mit dem Nachbarn absprechen, damit der sich dann zurückfallen ließ. Wir haben also immer aufeinander geachtet und sind viel gelaufen. Ich weiß nicht mehr, wie das Spiel ausging; nur so viel, dass wir uns jedenfalls nicht dramatisch blamiert haben.

      Eine der Erfahrungen, die ich aus diesem Spiel hätte mitnehmen können, ließe sich so formulieren: Das System ist nicht alles; es kommt vor allem darauf an, wie man sich auf dem Platz bewegt. Das war auch früher schon so, als man nicht, wie die Jugendmannschaft der SpVg Nürnberg Ost, in einem zwei-, sondern in einem

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