Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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Verordnung Nr. 58-1298 vom 23. Dezember 1958, Journal Officiel de la République Française, Jahrgang 90, S. 11761 (Nr. 300, 24. Dezember 1958).

      Kapitel III

      Der politische Prozess

      »Laßt uns die Übel der Stadt auf den Mönch abwälzen und sie damit alle loswerden!«

      Bernardo Rucellai über Savonarola

      Dies Kapitel fängt mit einer Klarstellung an. Gibt es einen Unterschied zwischen der gerichtlichen Erledigung gewöhnlicher Strafrechtsfälle und dem politischen Prozess? Und wenn ja, was ist es, wodurch sich die beiden Arten von Prozessen voneinander unterscheiden? Zunächst wird eine Antwort auf diese Fragen skizziert.

      Sodann werden an Hand von drei historischen Episoden die Hauptkategorien der politischen Prozesse veranschaulicht. Im Vordergrund stehen: 1. Der Prozess, in dem eine mit politischer Zielsetzung verübte kriminelle Tat abgeurteilt und die Verurteilung des Täters um bestimmter politischer Vorteile willen angestrebt wird; 2. Der klassische politische Prozess, mit dem das herrschende Regime das politische Verhalten seiner Widersacher als kriminell zu brandmarken trachtet, um sie auf diese Weise von der politischen Bühne zu entfernen; schließlich 3. Der gleichsam abgeleitete politische Prozess, in dem zur Diskreditierung des politischen Gegners Delikte eigener Art herhalten müssen: Beleidigung oder Verleumdung, Meineid, Ungebühr vor Gericht.

      Aus der oft behaupteten Notwendigkeit verschärften Schutzes der Staatssicherheit und aus der zunehmenden Vernachlässigung der im 19. Jahrhundert für die Rechtsprechung maßgeblichen Unterscheidung der inneren und der äußeren Bedrohung des Staates sind mehrere neue Typen von Delikten hervorgegangen. Die Probleme, die daraus entstehen, werden anschließend an einigen Gerichtsfällen aus der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland illustriert.

      Aus früheren Zeiten kennen wir bereits den politischen Prozess, der außerhalb der Domäne des Rechtsstaatlichen liegt: Seine traditionellen Kennzeichen sind die Missachtung der prozessualen Rechte des Angeklagten und der Versuch, tatsächlich Geschehenes so umzubiegen oder zu entstellen, dass es sich propagandistisch ausschlachten lässt. Es wird gezeigt werden, dass sich auch noch dieser Prozess von einigen uns aus der Gegenwart vertrauten Varianten des bis ins Extrem verfeinerten Schauprozesses sehr erheblich unterscheidet.

      Im modernen Schauprozess wird das, was wirklich vorgefallen ist, im günstigsten Fall als »Aufhänger« benutzt: Um das verzerrte Faktische rankt sich eine allumfassende didaktische Sage. Wie das gemacht wird, soll einmal an den aufgegebenen Plänen des Dritten Reiches für die Inszenierung eines Prozesses Grünspan, zum andern an der Verwendung der äußeren Form des Gerichtsverfahrens für die Konstruktion einer erdichteten Ersatzwirklichkeit dargetan werden, wie sie im Sowjetbereich vor allem in der Ära Stalin nach den jeweiligen Bedürfnissen des Regimes praktiziert wurde.

      Zum Schluss muss die Frage aufgeworfen werden, wovon die Aussichten eines Regimes abhängen, mit einem Prozess politische Wirkungen zu erzielen, die über die Beseitigung des Gegners hinausgehen. Damit hängt die Frage zusammen, in welchem Maße ein politischer Prozess dazu beitragen kann, dem allgemeinen Bewusstsein eine bestimmte Interpretation der Vergangenheit einzuprägen und sie haften zu lassen.

       1. Kriminalprozess und politischer Prozess

      Sowohl die Staatsgewalt als auch einzelne Gruppierungen von Staatsbürgern haben sich in der Neuzeit immer wieder, welches Rechtssystem auch gelten mochte, darum bemüht, die Unterstützung der Gerichte zu mobilisieren, um das politische Machtgleichgewicht zu konsolidieren oder zu verschieben. Verkleidet oder unverkleidet werden politische Fragen in den Gerichtssaal gebracht; sie müssen aufgenommen und auf der Waage des Rechts gewogen werden, mögen die Richter auch noch so sehnlich wünschen, solchen Komplexen aus dem Wege zu gehen. Politische Prozesse sind unausweichlich.

      Das hört sich wie eine Binsenwahrheit an. Dennoch möchte so mancher Jurist schlankweg bestreiten, dass es so etwas wie einen politischen Prozess geben könne. Zu behaupten, dass das Ding existiere und oft weittragende Auswirkungen habe, heißt für diese Jünger des unbefleckten Rechts, die Integrität der Gerichte und das Ethos des Juristenberufes in Frage zu stellen. Allen Ernstes meinen diese Schildknappen der Unschuld, dass, wo Achtung vor dem Gesetz bestehe, Strafverfolgung nur dem drohe, der etwas getan habe, was nach den geltenden Gesetzen strafbar sei; wer beschuldigt werde, sich gegen das Gesetz vergangen zu haben, werde nach feststehenden Regeln abgeurteilt, die genau vorschrieben, wie in den vorgebrachten Anschuldigungen Wahres von Unwahrem zu trennen sei; dass sich politische Motive oder Hinterabsichten dazwischenschalten könnten, werde durch allgemein anerkannte altehrwürdige prozessuale Normen verhindert, nach denen sich die Rechtspflege unter zivilisierten oder, wie man heute zu sagen pflegt, freien Völkern richte. (Wie zweideutig solche Grundbegriffe der heutigen politischen Systeme sind, weiß jeder, der sich für Meinungsbildungsvorgänge und politische Semantik interessiert: Ursprünglich auf die demokratische Struktur politischer Gebilde gemünzt, will der Ausdruck »freie Völker« heute nur noch sagen, dass man dem Sowjetblock nicht untertan sei; er bezeichnet nicht mehr Freiheit von jeder Despotie im Innern noch Freiheit von fremden Ketten jeder Art. Jenseits der Grenzscheide weist der tautologische Begriff »Volksdemokratie« zu einem wirksamen Schutz der Volksrechte oder der demokratischen Freiheiten nur eine negative Beziehung auf.)

      In den Augen des naiven Juristen besteht kein grundlegender Unterschied zwischen einem Mordprozess um den unaufgeklärten Tod einer Arztfrau in Cleveland und der Aburteilung des Mordes an einem prominenten Politiker in Kentucky, der auf dem Höhepunkt wütender Wahlkämpfe erschossen worden ist; zwischen einem Meineidsverfahren um Zeugenaussagen bei einer Alimentenklage und einem solchen, bei dem Aussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss über Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu regimefeindlichen Organisationen unter die Lupe genommen werden; zwischen einer Klage wegen übler Nachrede, die abschätzige Äußerungen über die Kreditwürdigkeit eines Konkurrenten zum Gegenstand hat, und der Verleumdungsklage

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