Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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Sieg fortzuführen.

      Die wachsende außenpolitische Spannung verschärfte die innenpolitischen Schwierigkeiten der Regierung. Die Allparteienkoalition der Union Sacrée, die es der Regierung in den Anfangsphasen des Weltkonflikts ermöglicht hatte, dem Druck der normalen parlamentarischen Auseinandersetzungen auszuweichen, war faktisch auseinandergefallen. Das für die Nivelle-Offensive verantwortliche Kabinett wurde von allen Seiten torpediert: Von innen von Kriegsminister Paul Painlevé (1863 - 1933), der nach links tendierte und die Einbeziehung der Sozialisten forderte, und von außen von Georges Clemenceau (1841 - 1929), der sich zum Siegesapostel aufgeworfen hatte und immer größere Kriegsanstrengungen verlangte. Clemenceau, der jahrzehntelang als Bannerträger der Linken gegolten, viele konservative Regierungen gestürzt, manchen Rechtspolitiker ruiniert und immer wieder Verschwörungen der Militärs gegen die Republik angeprangert hatte, war in den Kriegsjahren zu einer Politik der Allianz mit dem Militär umgeschwenkt und nun eifrig bemüht, monarchistische und ultranationalistische Anschläge auf die Republik zu vertuschen.

      Im August 1917 gelang es Clemenceau, den Innenminister Louis Malvy (1875 - 1929) aus dem Amt zu vertreiben: Er hatte monarchistischen Umtrieben zu eifrig nachgespürt und nicht genug nationale Siegesbegeisterung an den Tag gelegt; später sollte ihm wegen Landesverrats der Prozess gemacht werden. Im September hatte das Kabinett keine parlamentarische Mehrheit mehr. Painlevé, der eine neue Regierung (ohne Sozialisten) bildete, hatte aus den allerletzten Ereignissen nicht genug gelernt: auch er enthüllte eine monarchistische Verschwörung unter Armeeoffizieren. Weitere Enthüllungen dieser Art, schloss Clemenceau, würden der Moral der Nation abträglich sein; im November erreichte er den Sturz des Kabinetts Painlevé.

      Darüber, was nun geschehen sollte, gingen die Meinungen der führenden politischen Gruppierungen weit auseinander. Einig war man sich darüber, dass defätistische Kampagnen, die von undurchsichtigen Journalisten und Finanzagenten mit deutscher Unterstützung betrieben wurden, mit polizeilichen und gerichtlichen Mitteln unterbunden werden sollten. Über Krieg und Frieden dagegen konnte man sich nicht einigen. Immer von neuem wurden von neutralen Ländern und von den schwächeren Partnern des feindlichen Mächteblocks, namentlich von Österreich, Friedensfühler ausgestreckt. Wie sollte man sich dazu verhalten? Die Anhänger des Krieges bis zum siegreichen Ende, die Clemenceau mit einer beharrlichen und rücksichtslosen Propaganda- und Intrigenoffensive unermüdlich antrieb, konnten sich auf den Präsidenten der Republik Raymond Poincaré (1860 - 1934) stützen; das militärische Kommando war fest in den Händen Ferdinand Fochs (1851 - 1929); im Parlament stand hinter ihnen eine lose Koalition der Mitte und der Rechten. Diese Gruppen betonten vor allem die gegenüber den Verbündeten eingegangenen Verpflichtungen und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens aller Ententemächte; ihre Abneigung gegen Friedensinitiativen wurde dadurch bestärkt, dass sich die österreichische Regierung wenig geneigt zeigte, sich ein für alle Mal von ihrem deutschen Bundesgenossen zu trennen.

      Am Gegenpol, namentlich unter den verschiedenen Linksgruppen, kam zur starken Enttäuschung über den endlosen und ausweglosen Stellungskrieg die wachsende Unzufriedenheit mit der Bevormundung durch England und mit dem Übergewicht der Engländer in der militärischen Führung.

      In Russland hatte Lenin die Macht an sich gerissen und sein Land aus dem Krieg herausgezogen. Wilson schien diplomatischen Friedensvorbereitungen Sympathien entgegenzubringen. Ein Friedensschluss durch Verhandlungen schien sich in der Ungewissheit des Jahres 1917, in dem alles vertagt und hinausgezögert wurde, als die willkommenste Lösung anzubieten.

      Doch waren die Gruppen, die zu einem solchen Vorgehen neigten, weder untereinander einig noch endgültig zu einer Politik bereit, die bis dahin stets als Landesverrat gebrandmarkt worden war. Sollten sie gemeinsam agieren, so mussten sie sich von einer starken politischen Persönlichkeit von großem Ansehen und großer Werbekraft führen lassen. Der umsichtige Mathematiker Painlevé war nicht der Mann der Stunde; ebenso wenig war es der große Rhetoriker Aristide Briand (1862 - 1932), obschon er sich als Ministerpräsident und Lenker der Außenpolitik manche Verdienste erworben hatte. Ein einziger Politiker kam als Kristallisationspunkt für eine Friedenskoalition in Frage: Joseph Caillaux. Vielen drängte sich, als das Kabinett Painlevé zu Fall kam, die Alternative Caillaux als unausweichlich auf. Fast sah es so aus, als gebe es nur eine Wahl: Entweder Clemenceau, der Hohepriester des Sieges, oder Caillaux, Symbol der Verständigung. Caillaux hatte sich aus der aktiven Politik am Vorabend des Krieges zurückgezogen, aber man kannte ihn: Er kritisierte die Sinnlosigkeit des Krieges, er war vor dem Krieg für eine deutsch-französische Annäherung eingetreten, und er verfügte über mannigfache politische und finanzielle Beziehungen in allen Hauptstädten der Welt.

      Wenigstens zeitweilig begruben die alten Feinde Poincaré und Clemenceau die Streitaxt, um vereint gemeinsame Feinde zu schlagen. Der Tiger trat an die Spitze der Regierung. Sogleich wurden Pläne entworfen, Caillaux nicht nur eine Niederlage in der parlamentarischen Ebene zuzufügen, sondern ihn auch buchstäblich zu vernichten. Er sollte vor Gericht gestellt und als schlechter Patriot, als schnöder Verräter an der Nation entlarvt werden. Damit hoffte man alle Friedensinitiativen und alle defätistischen Neigungen tödlich zu treffen. Wer dabei die treibende Kraft war, ist nicht ganz geklärt. Dass Poincaré von tiefem Hass gegen Caillaux erfüllt war, war kein Geheimnis. Zwei Jahrzehnte später sollte Caillaux von Georges Mandel, Clemenceaus politischem Testamentsvollstrecker, Dokumente aus dem Privatarchiv des Tigers überreicht bekommen, die Poincaré als den Initiator und Planer der Ächtungsaktion hinstellten. Wie dem auch sei: Caillaux, der die Chancen für einen wirksamen politischen Eingriff in der damaligen Situation äußerst skeptisch beurteilte, deutete seine Bereitschaft an, von der politischen Bühne ganz abzutreten und sogar für eine Zeitlang ins Exil zu gehen. Aber damit wäre Poincarés und Clemenceaus großer Plan hinfällig geworden. Das Anerbieten wurde zurückgewiesen, und bei der Abgabe der Regierungserklärung vor der Kammer am 20. November 1917 gab Clemenceau bekannt, dass das neue Kabinett beschlossen habe, gegen Caillaux ein Strafverfahren einzuleiten. Am 11. Dezember wurde die Kammer ersucht, Caillaux’Immunität aufzuheben. Und am 14. Januar 1918 wurde Caillaux verhaftet.

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