Politische Justiz. Otto Kirchheimer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Politische Justiz - Otto Kirchheimer страница 37

Автор:
Серия:
Издательство:
Politische Justiz - Otto Kirchheimer

Скачать книгу

und sie durch seine Haltung während des Krieges vertieft, und während seiner Tätigkeit als Reichspräsident wurde er zum Mittelsmann zwischen den Politikern der Republik und den Generalen und Bürokraten der alten Zeit, die ihn als Schirmherrn und als Schachfigur benutzten. Sind seine gewaltigen Anstrengungen, die Weimarer Republik zu einem lebensfähigen politischen Gebilde zu machen, damit zu abschätzig beurteilt? Gewiss: Hätte Ebert den Vorzug gehabt, nicht im Deutschland der zwanziger, sondern im England der vierziger Jahre zu wirken, so hätte er mit Auszeichnung die Rolle eines Ernest Bevin (1881 - 1951) bewältigen und zum Vollstrecker und Symbol der dauernden Verbindung der endlich als gleichberechtigt anerkannten Volksmassen mit der staatlichen Organisation werden können. In Bevins von Erfolg gekrönter Karriere gibt es mancherlei, was die Geschichte nachsichtig belächelt: eine gewisse Gespreiztheit und Affektiertheit, die unverbesserliche Neigung, sich von einer »fachlich geschulten« Ministerialbürokratie imponieren und an der Nase herumführen zu lassen, ja überhaupt alles, was zum schwierigen Aufstieg eines Politikers aus den unteren Gesellschaftsschichten gehört, wenn er von gleich zu gleich mit den alten herrschenden Schichten umgehen will, deren Beifall und Billigung er sucht, weil er glaubt, das sei für die Erfüllung seiner eigenen geschichtlichen Sendung unerlässlich. All diese Dinge, die die Geschichte dem Erfolgreichen verzeiht, werden zur Tragödie, wenn das Unterfangen mit völligem Fehlschlag endet.

      So verschieden die Historiker Eberts Rolle auch beurteilen mögen, eins scheint über jeden Zweifel erhaben: Ebert war genau das, was man in den ersten zwei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts unter einem deutschen Patrioten verstand. Im Kriege stand er in der ersten Reihe der sozialistischen Politiker, die ohne jeden Hintergedanken den Sieg der deutschen Sache ersehnten. Erst verhältnismäßig spät, zu Beginn des Sommers 1917, kam er – wie auch die meisten Politiker des deutschen Bürgertums – zu der Einsicht, dass man im allergünstigsten Fall gerade noch einen Kompromissfrieden erhoffen könne, der Deutschland, ginge alles mit rechten Dingen zu, die Erhaltung des Status quo brächte. Keineswegs schwächte diese für ihn deprimierende Erkenntnis den Eifer, mit dem er sich abmühte, das Staatsschiff im Innern vor dem Kentern zu bewahren. Dazu warf er alle Machtmittel in die Waagschale, über die er als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei und einer ihrer einflussreichsten parlamentarischen Vertreter verfügte, obgleich damit die Kluft zwischen breiten Schichten der Arbeiterklasse und der Politik der sozialdemokratischen Führung immer weiter aufgerissen wurde. Unvermeidlich kam das Eberts ehemaligen Parteifreunden zustatten, die die Disziplin der alten Partei nicht mehr gelten ließen und nun dabei waren, eine Konkurrenzorganisation aufzubauen. In den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellte die neue Organisation, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, die Mobilisierung der Massen für den bald möglichen Abbruch des Krieges.

      Kaum war 1919 der Versailler Friedensvertrag unterschrieben worden, als auch schon die Behauptung – von der extremen Rechten und manchen Gruppen der gemäßigten Rechten lanciert – in Umlauf kam, dass der Krieg hätte gewonnen werden können, wenn nicht landesverräterische Unruhen, Streiks und defätistische Strömungen dem tapferen Heer einen »Dolchstoß in den Rücken« versetzt hätten; nur dadurch sei die Revolution ausgelöst, die Niederlage verursacht worden. Für diesen Ausgang des Krieges wurde die gesamte Linke ohne Unterschied der Parteischattierungen verantwortlich gemacht.

      Die Geschichtsepisode, um die sich der Ebert-Prozess drehte, hatte der Legende von der auf dem Felde der Ehre siegreichen, aber von Landesverrätern hinterrücks erdolchten deutschen Armee einen ihrer wichtigsten Bausteine geliefert. Ende Januar 1918 waren in zahlreichen Metallbetrieben und anderen Arbeitsstätten der Kriegsindustrie in vielen wichtigen Industriezentren Deutschlands und Österreichs Streiks ausgebrochen. Die Streikenden hatten auf eigene Faust, ohne Unterstützung oder Billigung der Gewerkschaften, Streikleitungen gebildet und politische und wirtschaftliche Forderungen aufgestellt. Einerseits riefen sie nach einem Frieden ohne Annexionen und nach Heranziehung von Arbeitervertretern zu den Friedensverhandlungen: eine überaus populäre Forderung in den Tagen, an denen in Brest-Litowsk über die kaum verschleierten deutschen Ansprüche auf große Teile früher russischen Gebiets erbittert gerungen wurde. Anderseits verlangten sie eine bessere Lebensmittelversorgung, Einschränkung der Befugnisse der Militärgewalt im Innern des Landes, insbesondere in den Betrieben, und entschiedene Demokratisierung des öffentlichen Lebens. Gerade die Demokratisierung war ein brennendes Problem, denn die in Preußen herrschenden Kreise bekämpften wütend jeden Versuch, das ungerechte preußische Dreiklassenwahlrecht zu beseitigen.

      Die aktivsten Elemente der Streikleitungen standen in organisatorischer Verbindung mit der sozialistischen Linken, die sich von der offiziellen Sozialdemokratie getrennt hatte. Was sie forderten, drückte indes keinen besonderen Parteistandpunkt aus, sondern entsprach in der Hauptsache dem, was die große Mehrheit der Bevölkerung dachte. Ebenso wie die Gewerkschaftsführung wurde der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei vom Ausbruch des Streiks am 29. Januar überrascht und in gewissem Sinne überwältigt; von den Berliner Streikenden aufgefordert, Delegierte in die elfköpfige Streikleitung zu entsenden, beschloss der Parteivorstand, der Einladung Folge zu leisten.

      Die Einladung war ohnehin nicht ohne Schwierigkeiten zustande gekommen. Als Wortführer der Unabhängigen Sozialdemokraten, die in der Streikleitung bereits vertreten waren, trat Georg Ledebour (1850 - 1947) mit Vehemenz gegen die Heranziehung der Mehrheitspartei auf; nicht zu Unrecht befürchtete er, dass sich die Bereitschaft zu Kompromissen mit den Behörden in einer so erweiterten Streikleitung stärker bemerkbar machen werde. Für den Augenblick lag aber der Delegiertenversammlung der Streikenden mehr daran, der Streikbewegung einen möglichst breiten politischen Widerhall zu verschaffen; sie entschied sich gegen Ledebour. Zu den drei Abgesandten des sozialdemokratischen Parteivorstandes gehörte auch Ebert. Der Streik, der in seinen letzten Stadien in Berlin allein über eine halbe Million Menschen in den Kampf hineingezogen hatte, wurde nach fünftägiger Dauer abgebrochen. Unter dem Druck der Obersten Heeresleitung (Ludendorff) und auf Anraten der Berliner Polizeibehörde hatte die Regierung den Belagerungszustand verhängt, auf Grund eines Gesetzes von 1851 außerordentliche Kriegsgerichte, gegen deren Urteile (auch wenn es Todesurteile waren) Berufung nicht möglich war, errichtet und Verhandlungen mit den Streikenden abgelehnt.

      Die recht weitschweifigen Zeugenaussagen konzentrierten sich auf zwei miteinander verflochtene Fragen: 1. Welche Beweggründe hatten den sozialdemokratischen Parteivorstand veranlasst, sich an der Streikleitung von 1918 zu beteiligen? 2. Wie hatte sich Ebert in der Streikleitung und namentlich in einer Massenversammlung der Streikenden, die am 31. Januar 1918 in Treptow im Freien abgehalten wurde, verhalten?

      Das große Zeugenaufgebot zerfiel in vier deutlich unterscheidbare Gruppen. Zur ersten gehörte die treue Mannschaft sozialdemokratischer Funktionäre, darunter auch der längst nicht mehr radikale frühere USPD-Parlamentarier und Streikleitungsteilnehmer Wilhelm Dittmann

Скачать книгу