Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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der Justizprozeduren in einer geeigneten Situation gegen den politischen Gegner kehrt, seine Schlagkraft vervielfachen.

       4. Erweiterung der Verbotssphäre im politischen Aktionsbereich

      Waren die Fälle Caillaux und Ebert aus Ereignissen hervorgegangen, die in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichten, so wurzelten die schweizerischen und deutschen Fälle aus den fünfziger Jahren, über die nun berichtet werden soll, in der spezifischen Atmosphäre der Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs; sie illustrieren die für diese Periode typische Ausweitung der Staatsschutzgesetzgebung. Nicht notwendigerweise bestimmen indes die Vorschriften des Gesetzes das Vorgehen der Gerichte. Die hier wiedergegebenen Fälle wurden zu einer Zeit vors Gericht gebracht, für die einerseits die Angst vor der kommunistischen Offensive, anderseits die sorgenvolle Reaktion auf ältere und neuere Auswüchse der politischen Justiz im totalitären Herrschaftsbereich charakteristisch war. Da wurde energisch an den neueren gesetzlichen Regelungen festgehalten, die unter anderem eine Überwachung verdächtiger Auslandsbeziehungen der Staatsbürger erlauben, zugleich aber die Möglichkeit, politisch frei schwebenden oder peripheren Gegnern den politischen Aktionsraum zu sperren, mit einer gewissen Reserve behandelt oder nur mit Beklemmungen ausgenutzt. Nur mühsam ließen sich diese beiden Tendenzen im Gleichgewicht halten.

      a) Freiheit der Forschung stößt auf Schranken

      Die Stellung eines kleinen Staates in einer Welt von Riesen und weitgespannten übernationalen politischen Bewegungen ist im günstigsten Fall höchst unbehaglich. Sie verschlechtert sich unvermeidlich, wenn ein Krieg ausbricht und der Zwerg darauf besteht, neutral und unabhängig zu bleiben. Ein machtstrotzender Nachbar kann den Druck auf den kleinen Staat vermehren und seine Gefügigkeit trotz aller Neutralität erzwingen, indem er über die Grenze hinweg Kräfte mobilisiert, die ihm freundlich oder gar verehrungsvoll gegenüberstehen. Vom Giganten bedrängt, wird der neutrale Zwerg in die Alternative hineingetrieben, physisch vernichtet zu werden oder moralisch zu kapitulieren. Seine Staatsmänner müssen dann zwischen Mord und Selbstmord lavieren und sich auf Kompromisse und Demütigungen einlassen.

      Während des Krieges war patriotisches Verhalten für die meisten Schweizer das Gegebene und Selbstverständliche. Nur am Rande der Gesellschaft gab es kleine nazifreundliche Gruppen; in dem Maße, wie der außenpolitische Druck zunahm, gewannen sie einigen Anhang unter Menschen, die sich weniger aus Überzeugung als aus Opportunitätsgründen anzupassen bereit waren. Solange noch die Gefahr der Invasion drohte, konnte gegen diese durchsichtige Neigung, sich für den Fall der Katastrophe ein schützendes Obdach zu sichern, kaum viel unternommen werden. Umso dringlicher schien radikales Durchgreifen, nachdem der Krieg vorüber war; die moralische Norm patriotischen Verhaltens sollte – zum Teil wenigstens – nicht mehr in Notverordnungen der Exekutive, sondern in Vorschriften der ordentlichen Gesetzgebung verankert werden. Der dringende Wunsch, die Schweiz aus internationalen Verwicklungen herauszuhalten, verflocht sich gewissermaßen mit dem moralischen Verlangen, die Grundsätze patriotischen Verhaltens zu zwingenden Geboten zu machen.

      Der große Fall, an dem sich die neue Bestimmung zu erproben hatte, kam 1952, als der Bundesrat die erforderliche Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens vor dem Bundesstrafgericht gegen Professor André Bonnard, Dozent für griechische Literatur an der Universität Lausanne, erteilte. Kein eingeschriebenes Mitglied der (kommunistischen) Schweizer Arbeiterpartei, hatte sich Bonnard seit einiger Zeit bei verschiedenen von kommunistischer Seite geförderten Aktionen betätigt, war unter anderem Präsident des schweizerischen Zweiges der Weltfriedensbewegung. Am 12. Mai 1952 hatte ihn der französische Physiker Fréderic Joliot-Curie, Sekretär des Weltfriedensrates (Sitz Prag), brieflich aufgefordert, Material über das in der Schweiz residierende Internationale Komitee vom Roten Kreuz zu beschaffen. Besonders wurde um Angaben gebeten, aus denen sich der Charakter des Komitees als einer privaten schweizerischen Gruppe, enge Beziehungen zwischen den führenden Personen des Komitees und bestimmten Bank- und Industrieinteressen und die Größe der englisch-amerikanischen Beiträge erkennen ließen. Der Grund lag auf der Hand und wurde auch nicht verschwiegen. Das Rote Kreuz hatte sich (was Bonnard selbst angeregt hatte) erboten, die Beschwerden Nord-Koreas über die angebliche Verwendung bakteriologischer Waffen durch die Amerikaner unparteiisch zu untersuchen. Nord-Korea hatte mit Unterstützung der Sowjetunion das Angebot verworfen, und jetzt musste bewiesen werden, dass das mit gutem Grund geschehen war.

      Ein Teil des angeforderten Materials war nicht schwer zusammenzutragen. Offizielle Angaben stellte die Verwaltung des Roten Kreuzes selbst einem der beiden

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