Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Material als wenig beweiskräftig erwiesen hatte, persönlich bemühen. Aus Publikationen des Roten Kreuzes, Handbüchern der Aktiengesellschaften und polemischen Schriften sozialistischer Autoren ermittelte er die finanziellen und wirtschaftlichen Positionen und Interessen führender Mitglieder des Internationalen Komitees; ebenso stellte er fest, dass beim Komitee im Zweiten Weltkrieg unter anderem auch Beiträge aus Deutschland und Japan eingegangen waren.

      Er gab die Ergebnisse seiner Recherchen zur Post und machte sich auf, eine Tagung der Weltfriedensbewegung in Ost-Berlin zu besuchen. Als er am 30. Juni 1952 auf sein Flugzeug wartete, wurde er von der Polizei angehalten und sein Gepäck durchsucht. Beschlagnahmt wurden Notizen für eine Rede über Abrüstung, europäische Vereinigung, Haltung der schweizerischen Öffentlichkeit und Beziehungen zwischen dem Roten Kreuz und der Genfer Finanzaristokratie. Zu der geplanten Rede hatte Bonnard eine Einleitung ausgearbeitet, in der er sagte, er habe das Internationale Komitee vom Roten Kreuz lange bewundert, sei aber nach gründlichem Studium zu dem Schluss gekommen, dass Nord-Korea mit seiner ablehnenden Haltung recht habe.

      Erst im März 1954, nach einer Voruntersuchung von fast einundzwanzig Monaten, kam der Fall zur Verhandlung. Der Tatbestand war kaum umstritten. Die von der Verteidigung geladenen Zeugen, französische und belgische Kollegen Bonnards aus dem Weltfriedensrat, priesen die Friedensarbeit der Organisation. Ähnlich äußerte sich der Angeklagte; er erklärte mit Nachdruck, dass weder seine allgemeine Haltung noch seine Tätigkeit zu der geringsten Kritik Anlass gebe. Die Anklagebehörde beantragte drei Monate Gefängnis für Bonnard und acht Tage Gefängnis für den mitangeklagten Sekretär des schweizerischen Zweiges der Weltfriedensbewegung; die in der Materialbeschaffung weniger tüchtige Mitarbeiterin sollte freigesprochen werden, aber einen Teil der Prozesskosten tragen.

      So extrem sich das Gericht in der Auslegung des »Nachrichtendienstes« für ausländische Auftraggeber zeigte, so vorsichtig war es in der Bemessung der Strafen: Der Hauptangeklagte wurde zu fünfzehn Tagen, der mitangeklagte Sekretär der Weltfriedensbewegung zu acht Tagen Gefängnis, die Mitarbeiterin nur zur Tragung der Kosten verurteilt. Dazu wurde die Vollstreckung der Strafe gegen Bonnard ausgesetzt. Bonnard, sagte das Gericht, habe kein Zeichen der Reue an den Tag gelegt, denn hätte er das getan, so hätte er seiner Rechtfertigung, dass er nur von seinen Rechten Gebrauch gemacht habe, den Boden entzogen; anderseits brauche nicht angenommen zu werden, dass er in seinem unrechtmäßigen Tun verharren werde: Sei er einmal verurteilt, so werde er vielleicht in sich gehen und sich zu besserem Verhalten durchringen. Des Gerichts resignierende Urteilsbegründung sagte nicht, dass das Gesetz, nach dem es Recht sprach, widersinnig sei, und es ist nicht einmal sicher, dass die Richter sich dessen bewusst waren. Aber ein anderer Schluss konnte aus dem Sachverhalt schwerlich gezogen werden.

      Keine klare Äußerung deckte indes den Kern des Staatssicherheitsproblems auf, wie es gerade die kleine Schweiz betrifft. Der Grundsatz der Neutralität mag als bequeme Faustregel im Alltag gelten und sich vielleicht sogar in einer wirklich bedrohlichen Situation behaupten. Aber die Neutralität des offiziellen Staatsgebildes kann nicht auch das Denken des einzelnen Staatsbürgers neutralisieren. Der Drang, nach den Geboten der eigenen politischen Einsicht Partei zu ergreifen, kann sehr wohl stärker sein als alle Vorsicht. Menschen handeln nach Maßgabe ihrer Erkenntnisse und werden, wenn das ihren Zielen dienlich ist, den Ergebnissen des eigenen Nachdenkens gestatten, die Staatsgrenzen zu überschreiten. Das wird auch dadurch kaum verhindert werden können, dass man diesen Grenzübertritt »Nachrichtendienst« oder »Verbindung mit fremden Mächten« nennt.

      b) Politik ohne Bindungen oder verbotene Verbindungen?

      Vergleicht man die Sicherheitsprobleme der Schweiz mit denen Nachkriegsdeutschlands, so möchte man die Schweizer Sorgen als beruhigend unkompliziert abtun. Seit langem behauptet sich das Staatsgebilde der Schweiz als besonders beständig und innerlich stabil; in jedem Streit um die nationale Treue seiner Staatsbürger geht es nur um das Ausmaß, in dem sie den seit einiger Zeit gesteigerten Prioritätsansprüchen der Eidgenossenschaft Anerkennung schuldig sind. Dagegen stellten die Probleme nationaler Bindung und staatsbürgerlicher Treue in Deutschland schon in der Zeit von 1945 bis 1949 ein wirres Knäuel dar. Das geeinte Reich war mit dem verlorenen Krieg dahin. Vier fremde Mächte hatten die Souveränität übernommen und lokale Regierungen eingesetzt, die gleichsam ihrer Lehnshoheit unterstanden. Für die Beziehungen des einzelnen deutschen Bürgers zu seinen neuen, provisorischen Souveränen galt keine feste traditionelle Verhaltensnorm. Angst und Hoffnung, Privatinteresse und Unterwürfigkeit lagen im Wettstreit mit starkem politischem Verantwortungsgefühl und dem Verlangen nach neuem, unabhängigem nationalem Dasein. Gelegentlich klingt noch diese wirre Zeit in Beleidigungsklagen an, und die Streitparteien finden sich denn auch oft genug bereit, das Unentwirrbare auf sich beruhen zu lassen. Wenn man die Maßstäbe von heute an die chaotischen Verhaltensweisen einer Zeit anlegen muss, in der es anerkannte und erkennbare nationale Normen nicht gab, hat man nicht viel davon, dass man die Gerichte bemüht.

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