Die Kinder von Teheran. Mikhal Dekel
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Wenn die Juden – oder überhaupt die „Buchbesitzer“ – im Koran oder seinen Kommentaren erwähnt werden, so geschieht dies manchmal mit feindseliger Ablehnung, manchmal aber auch mit einem Aufruf zur Toleranz. Grundlegend jedenfalls ist – zumindest in den Schriften der „imamitischen“ oder „Zwölfer“-Schiiten – die Überlegenheit der Schia und ihrer Gläubigen über alle anderen Religionen und deren Anhänger, nicht-imamitische Muslime eingeschlossen.20 Wer von den Nichtmuslimen sich mit seinem untergeordneten Status abfinden konnte, genoss unter dem Schutzschirm des Islam ein gewisses Maß an Rechtssicherheit. Im Gegenzug mussten diese Dhimmis aber auch Bedingungen erfüllen, Vorschriften einhalten und Gesetze akzeptieren, die ihre Unterwerfung deutlich zum Ausdruck brachten: „Juden dürfen kein frisches Obst kaufen“; „wenn ein Muslim einen Juden verflucht, soll der Jude schweigen und den Kopf neigen“; „wer aber einen Juden tötet, der soll gegen die Zahlung eines geringen Blutgeldes freikommen“; und so weiter.
Auch beim Handel mit Juden galten Beschränkungen, so etwa beim Kauf von Schuhen „und anderen ähnlichen Dingen“, die aus Leder gemacht waren. Insbesondere war es den Dhimmis streng verboten, einen Muslim zu verletzen; sich „Gräuel“ zuschulden kommen zu lassen (etwa, indem sie in der Öffentlichkeit Wein tranken); Bauwerke zu errichten, die jene der Muslime überragten; und so weiter.21 Die Vorschriften variierten und wurden in den verschiedenen Städten und Regionen des weitgehend dezentral gegliederten Iran unterschiedlich gehandhabt. Und sie galten, meistens zumindest, nicht nur für Juden, sondern für alle Dhimmis.
In dem Bericht über ihre Reisen durch den Iran in den 1880er-Jahren beschreibt die englische Entdeckerin und Naturkundlerin Isabella L. Bird, wie die „Juden von Hamadan [einer Stadt etwa 300 Kilometer nordwestlich von Teheran] tagein, tagaus getreten und geschlagen und auf der Straße angespien werden“, weil man sie „für noch unwerter als die Hunde hält“.22 Und der Historiker Bernard Lewis bemerkt anlässlich seiner Beschreibung der harschen Lebensumstände der Juden im Osmanischen Reich, dass diese „verglichen mit den Juden im Iran“ noch immer „wie im Paradies lebten“.23 Eine gewisse Besserung setzte 1906 ein, als durch eine Verfassungsrevolution im Iran sämtliche religiösen Minderheiten, auch die Juden, endlich das volle Bürgerrecht erhielten; aber in der Mahalleh-ye Juhunda, dem „Jüdischen Viertel“ von Teheran, das von den Juden selbst schlicht „Mahalleh“ genannt wurde, blieben die Lebensbedingungen miserabel. „Ich habe die Mahalleh gesehen“, sollte der aus Polen geflohene Dr. Hirschberg über seinen Besuch dort im Jahr 1942 schreiben, „ihre bettelarmen Bewohner, ihre heruntergekommenen Häuser, die beinahe im Boden versinken, ihre niedrigen Türen, durch die man nur eintreten kann, wenn man sich fast bis zum Boden bückt. Man hat mir gesagt, sie seien absichtlich so gebaut worden – um die Selbstverteidigung zu erleichtern, wenn es einmal zu Übergriffen kommt … Viele Familien hausten in Kellerlöchern, richtiggehenden Höhlen, ohne Licht noch Luft. Kränkliche, bleiche Kinder, die an allen Arten von Ausschlag und Hautkrankheiten zu leiden schienen, schauten uns Besucher neugierig an.“24
Doch es gab auch andere, wie ich herausfand, die in wachsender Zahl auch außerhalb der Mahalleh zu wohnen begannen, unter ihnen ein junger Arzt, der sich bei seiner Behandlung der Flüchtlinge noch vor Jahresfrist eine tödliche Krankheit zuziehen wird. Dr. Ruhollah Sapir war Internist und 31 Jahre alt, obwohl seine bereits recht hohe Stirn ihn älter aussehen ließ. In Gruppenfotos, die man in den Büchern zur Geschichte der iranischen Juden finden kann, trägt er stets einen modisch geschnittenen grauen Anzug mit schwarzer Krawatte. Er war gerade auf Visite im Darmangah-e Mahalleh („Mahalleh-Hospital“), als er von den polnischen Flüchtlingen hörte, die in Bandar Pahlavi angekommen waren und sich auf dem Weg nach Teheran befanden. Dr. Sapir war 1910 geboren, gerade einmal vier Jahre nach der rechtlichen Emanzipation der iranischen Juden. Er wuchs hinein in eine Welt, in der alles von der aufblühenden Ideologie der Verwestlichung bestimmt schien, von der Säkularisierung und dem Nationalismus Reza Schahs. Seine Schulbildung erhielt er an einem Institut der Alliance Israélite Universelle, einer gemeinnützigen jüdischen Organisation, die überall in der Levante, im Nahen Osten und in Nordafrika Schulen mit französischer Unterrichtssprache betrieb. Als Arzt war Dr. Sapir ein Idealist, aber er war auch selbstbewusst und unbekümmert – was wohl nicht nur dem politischen Klima geschuldet war, sondern auch dem besonderen Ansehen, das jüdische Ärzte im alten Persien schon seit Jahrhunderten genossen hatten. „Die Ärzte von Kaschan thronen in Ruhe und Gelassenheit, bei üppigem Honorar“, schrieb ein jüdischer Reisender im Jahr 1860, „und alle Einwohner der Stadt fügen sich ihren Anordnungen, ja sogar die Gojim [Nichtjuden].“25
Die Alliance Israélite Universelle, der Dr. Sapir seine Schulbildung vor der Universität verdankte, war 1860 von jüdischen Bürgern in Paris gegründet worden. Ihr Leitspruch war es, „sich allerorten für die Emanzipation und moralische Hebung der Juden in der Welt einzusetzen“. Die erste Zweigschule der Allliance im Iran wurde 1898 in Teheran eröffnet; ihr Rektor war ein französischer Jude namens Joseph Baruch Cazès. Weitere Schulen bestanden in Hamadan, Isfahan, Schiras, Sanandadsch und Kermanschah. Der ausdrückliche Zweck dieser Institute bestand darin, wie es in einem Brief an den persischen Botschafter in Paris dargelegt wurde, die jüdische Bevölkerung des Irans in einen loyalen und produktiven Teil der Gesamtbevölkerung zu verwandeln: „Nicht ohne Stolz geben wir die Eröffnung einer Schule für jüdische Kinder in Teheran bekannt. … Die Redlichkeit und Gerechtigkeit Seiner Majestät lassen uns hoffen, dass die Vertreter seiner Regierung uns die nötige Unterstützung zu diesem mildtätigen Unterfangen gewähren werden. Wir sind überzeugt, dass wir mit der Bildung der Juden auch dem Iran [als Ganzem] einen Dienst erweisen.“
Gleichfalls in Teheran gründete Dr. Sapir, nachdem er wiederholt hatte miterleben müssen, wie jüdische Patienten im örtlichen Krankenhaus schlecht behandelt wurden, das Darmangah-e Mahalleh, ein kostengünstiges Hospital, dessen Leitlinie es war, „einen jeden Patienten mit der äußersten Hingabe zu behandeln und keinen jemals und aus keinem Grunde in den Nachteil zu setzen“.26 Das Spital befand sich innerhalb der heruntergekommenen, überfüllten Mahalleh, weil Dr. Sapir und die anderen Mitglieder des Kanun-e Javanan-e Isra’el-e-Iran („Zentrum für die jungen Juden des Iran“), oftmals ebenfalls Ärzte, meinten, dort wäre es für diejenigen am besten zugänglich, die es am dringendsten brauchten. Dr. Sapir selbst wohnte jedoch außerhalb des jüdischen Viertels.
Bis Anfang 1942 hatte der Erfolg des Darmangah-e Mahalleh Dr. Sapir und einige Mitstreiter dazu ermutigt, auch noch das Kanun-e Kheeyrkhah („Freundschaftszentrum“) zu gründen, einen jüdischen Wohlfahrtsverein, der den Bau jüdischer Kranken- und Waisenhäuser in Schiras, Maschhad, Hamadan und Isfahan fördern sollte, wo die Situation der Juden noch sehr viel schlimmer war als in Teheran. Das „Freundschaftszentrum“ war eine von nur ganz wenigen eigenständig-jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen, die es im Iran vor der Ankunft meines Vaters gab – zuvor galt dort unter Juden wie Muslimen der Grundsatz, dass für die Pflege von Hilfsbedürftigen ausschließlich die (erweiterte) Familie verantwortlich sei. Überhaupt war es eine der allerersten jüdischen Vereinigungen im Land gewesen; eine weitere war die kleine zionistische Bewegung, die sich am 2. November 1917 spontan in Iran zusammenfand, nachdem der britische Premierminister Arthur James Balfour die Absicht Großbritanniens bekundet hatte, „die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu unterstützen.
Den persischen Juden lag der Zionismus gewissermaßen im Blut, reichten die Stammbäume bei manchen von ihnen doch bis in das Jahr 597 vor Christi Geburt zurück, als ihre Familien aus Judäa ins babylonische Exil verschleppt wurden. In sechs Büchern der hebräischen Bibel – Jesaja, Daniel, Esra,