Die Kinder von Teheran. Mikhal Dekel
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Gegen Ende des Jahres 1917 wurde eine bescheidene zionistische Gruppierung gegründet, zu der die Zeitung Ha’geula („Die Erlösung“) gehörte. Anfang 1918 begann die Ebriyat Hamziqat Sefet Eber („Vereinigung zur Stärkung der hebräischen Sprache“) ihre monatlichen Sitzungen im Haus von Aziz Chaim Ischaq (der im Anschluss an eine Reise nach Jerusalem auch als Hadschi Aziz Elghanian bekannt war). Bis 1922 hatte sie Ableger in 27 Städten überall im Iran bekommen.
Kaum vier Jahre später verbot Reza Schah – im Zeichen seiner Errichtung einer säkularen Zentralregierung – alle zionistischen „Umtriebe“ (und alle Zusammenkünfte von Minderheitengruppen, sofern diese nicht religiösen Zwecken dienten). Der zionistische Aktivist Schmuel Chaim wurde wegen Verschwörung gegen den Schah verhaftet und schließlich hingerichtet. Danach kam jegliche organisierte Form von zionistischer Aktivität im Iran zum Erliegen. Während der nächsten anderthalb Jahrzehnte wurden Dutzende politischer Aktivisten hingerichtet oder ins Gefängnis geworfen. Die englisch-sowjetische Invasion des Irans bewirkte ihre Freilassung und schuf im ganzen Land ein Klima der Freiheit, in dem auch der Zionismus wieder ans Licht kommen konnte. Im selben Zusammenhang entstand auch die – wesentlich prominentere – marxistisch-leninistische Tudeh-Partei („Partei der Massen“), mit deren Gründung am 29. September 1941 die iranischen Juden zum ersten Mal überhaupt als gleichberechtigte Mitglieder in eine politische Partei ihres Heimatlandes aufgenommen werden konnten.
Die marxistisch-internationalistische Ausrichtung der Tudeh-Partei ließ einen öffentlichen Raum entstehen, in dem Juden und Muslime sich auf Augenhöhe begegnen konnten, und das zog gerade junge, gut ausgebildete Juden in Scharen an. Sie stellten beinahe die Hälfte der Tudeh-Mitglieder und den Großteil der Journalisten und Flugblattschreiber, die sich für die Partei engagierten. Eine ganz ähnliche Ausrichtung hatte auch das „jungjüdische Zentrum“ Kanun-e Javanan-e Isra’el-e-Iran, das sich einen jüdisch-sozialistischen Universalismus auf die Fahnen geschrieben hatte. Dass es sich dennoch um eine dezidiert jüdische Initiative handelte, wurde keineswegs verheimlicht, im Gegenteil: Der offen bekundete Zweck des Zentrums war es, Hilfsbedürftige zu unterstützen und zu einer Hebung des Lebensstandards in der Mahalleh beizutragen. Das war nun also die persisch-jüdische Lebenswelt, in die mein Vater eintrat.
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Als mein Vater im Iran ankam, umfasste dessen jüdische Bevölkerung bereits weitere Gruppen: polnisch-jüdische Flüchtlinge, die mit früheren Transporten aus Zentralasien gekommen waren; deutsche und österreichische „Hitlerflüchtlinge“ (wie ein Interviewter sie bezeichnete); eine „große Zahl“ von Juden aus dem usbekischen Buchara, die nach der Russischen Revolution vor den Sowjets geflohen waren; „Juden aus dem Kaukasus, die ihr persisches Bürgerrecht geltend machten, um aus der Sowjetunion auszureisen und sich in Teheran niederzulassen“; „eine Gemeinde von ‚Aschkenasim‘ aus Russland, die nach der Revolution [in den Iran] gezogen waren“; Flüchtlinge aus dem Irak, darunter auch „wohlhabende irakische Kaufleute, die aus Geschäftsgründen in Teheran ansässig waren“;27 und Juden aus Palästina: 450 gelernte und ungelernte Arbeiter, Ingenieure, Werkmeister, Bauarbeiter, Graveure, Feinmechaniker, Installateure, Buchhalter und Angestellte, die als Mitglieder des jüdischen Arbeitskommandos Solel Boneh („Straßen- und Hochbau“) auf Lastwagen von Palästina in den Iran gekommen waren.
Anfang 1942 eroberten Soldaten des japanischen Kaiserreichs die britische Kolonie Burma, das heutige Myanmar. Damit war der Iran unter den sehr wenigen Ölfördergebieten, die sich noch in alliierter Hand befanden, eines der wichtigsten. Die Anglo-Iranian Oil Company sah sich gezwungen, in ihrer Raffinerie in Abadan am Persischen Golf die Produktion rapide zu steigern, wozu jedoch die Arbeitskräfte – und vor allem die entsprechend ausgebildeten Fachkräfte – fehlten. Also erklärte der britische Premierminister Winston Churchill, den man von der misslichen Lage in Kenntnis gesetzt hatte: „das werden die Juden aus Palästina erledigen“.28 Solel Boneh, gegründet 1924 als jüdisches Bauunternehmen, hatte zu diesem Zeitpunkt schon seit beinahe zwei Jahrzehnten Infrastrukturprojekte für die britische Mandatsmacht in Palästina umgesetzt. Jetzt wurden die Arbeitskräfte des Unternehmens als Teil der alliierten Kriegsanstrengungen an den verschiedensten Orten im Nahen Osten eingesetzt. Einige Mitarbeiter von Solel Boneh, die man in den Iran geschickt hatte, waren erst wenige Monate vor meinem Vater dort angekommen; einige hatten in Palästina die britische Staatsbürgerschaft erworben; manche fanden im Iran zum Zionismus; andere lehnten zionistische Aktivitäten strikt ab, ja versuchten, sie sogar zu unterbinden; mehrere waren absolute Hochstapler, die unter dem Vorwand in den Iran eingereist waren, für Solel Boneh tätig zu sein, in Wahrheit jedoch für die Organisation Mossad Le’alija Bet arbeiteten, eine Abteilung der zionistischen Untergrundorganisation Hagana, deren geheime Mission während des Krieges es war, jüdische Flüchtlinge nach Palästina zu schleusen.29
Der Iran des Jahres 1942 stand, soweit ich es überblicken konnte, an einem „Ereignisnullpunkt“, einem noch unbestimmten Augenblick in der Geschichte, an dem die Ereignisse sich in viele, ganz unterschiedliche Richtungen hätten entwickeln können – aber auch an einem Punkt der Neugeburt, an dem viele Menschen ihre alte Identität ablegten und jemand ganz anderes wurden.
Im Jahr 1942 begann auch die persisch-jüdische Gemeinde, sich zu organisieren, und das Teheraner Komitee für jüdische Flüchtlinge wurde gegründet, dem Repräsentanten der unterschiedlichen jüdischen Fraktionen angehörten, die in der Stadt vertreten waren: ein persisch-jüdischer Kaufmann, der auch Mitglied der früheren Teheraner Zionistengruppe gewesen war; ein Arzt; ein Apotheker; zwei Flüchtlinge aus dem Irak; und ein deutsch-jüdischer Flüchtling aus Berlin.30
Jüdische beziehungsweise zionistische Hilfsorganisationen aus Amerika kamen 1942 ebenfalls in den Iran, um meinem Vater und den anderen jüdischen Flüchtlingen dort beizustehen. Sie nahmen mit Dr. Sapir und anderen Kontakt auf, um die Details der Flüchtlingsversorgung mit ihnen abzustimmen. Noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollten sie das Mahalleh-Hospital und andere Einrichtungen unterstützen.
Auch war 1942 das Jahr, in dem die ersten Vertreter von Solel Boneh und später auch der Jewish Agency for Palestine, der Vertretung der jüdischen Bevölkerung im britischen Mandatsgebiet, in den Iran kamen und dort nicht nur mit den polnisch-jüdischen Flüchtlingen, sondern auch mit der ansässigen persisch-jüdischen Gemeinde Kontakt knüpften. Auch an den Schah von Persien wandten sie sich erstmals und brachten so die Saat einer umfänglichen Zusammenarbeit zwischen dem Iran und dem neugegründeten Staat Israel aus, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzen und bis zur Islamischen Revolution im Jahr 1979 Bestand haben sollte.
Und obwohl ich es noch nicht wusste, war 1942 das Jahr, war der Iran des Jahres 1942 der Ort gewesen, wo und als mein Vater aufhörte, ein „polnischer Jude“ zu sein, und stattdessen begann, eine neue, jüdisch-israelische Identität anzunehmen – die einzige, die ich kennengelernt hatte. Auf einem Foto aus Teheran, auf dem er zu sehen ist, sieht er klein und mager aus, wie er da aus der dritten Reihe einer Gruppe von allesamt unterernährt wirkenden Flüchtlingsjungen in die Kamera schaut – aber seine Augen lächeln.
Abbildung 2: Ein Gruppenfoto aus Teheran: Hannan steht – als Fünfter von links – in der hintersten Reihe.
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