Die Kinder von Teheran. Mikhal Dekel
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Das allererste Detail, das Emil Landau in seinem ersten Eintrag aus dem Iran festhält – er erzählt darin, wie ihr Schiff sich mithilfe von Schleppdampfern der Südküste des Kaspischen Meeres nähert –, betrifft die „Reihen von Studebakers und Chevrolets“, die im Hafen geparkt sind. Damals befanden sich Hunderttausende alliierter Soldaten im Iran; das Land war 1942 gewissermaßen voll von amerikanischen Lastwagen, die diesen Truppen zugeführt werden sollten. Werbezeichnungen jener Jahre halten fest, wie Studebakers vor den berühmten Felsreliefs von Persepolis und Schiras entlangbrausen, dass die Kopftücher der iranischen Frauen vom Fahrtwind nur so flattern – der Jahrgang 1942 des Reportagemagazins Life ist voll davon. „Lange Kolonnen von großen Militärlastwagen der Marke Studebaker donnern im Iran an den ältesten Denkmälern der persischen Kultur vorbei“, heißt es in dem begleitenden Werbetext. „Wo immer unsere Truppen auch anlangen – Studebaker-Lastkraftwagen aus der Heimat warten dort schon auf sie!“6 Der 15-jährige Emil Landau war gleichfalls wie gebannt, und seine Begeisterung für den Iran konnte es – zumindest anfänglich – durchaus mit der von Sinais Interviewpartnern aufnehmen:
„An dem historischen Datum des 16. August 1942 … näherte sich ein kleines Boot unter persischer Flagge der Kaganowitsch … Bei vierzig Grad Hitze und drückender Schwüle geht die erste Passagiergruppe an Bord des Schleppers und erreicht nach einer halben Stunde Überfahrt den kleinen Hafen von Bandar Pahlavi. Schwierig, den ersten Eindruck aufzuschreiben. Hier fühlen sich alle wie neugeboren, wie wenn man an einen Ort außerhalb der Welt gekommen wäre. Das Hafenbecken ist übersät mit farbenfrohen Booten; an Land wird es umgeben von Rasenflächen und Blumenbeeten; Reihen von beeindruckenden Chevrolets und Studebakers warten auf den Weitertransport, und alles erscheint gut und schön, alles scheint zu lächeln, wie auch die Perser lächeln und die indischen Soldaten, die uns Neuankömmlingen mitleidig entgegenschauen. Als wir an Land sind, umarmen sich alle.“
Der erste Berührungspunkt Emils – und Hannans – mit dem Iran war die Hafenstadt Bandar Pahlavi, die heute Bandar Anzali heißt und an der südöstlichen Küste des Kaspischen Meeres liegt. Hier war – im Gegensatz zu dem Bild, das die Studebaker-Werbeanzeigen im Life Magazine vom Iran zeichneten – von Wüste weit und breit keine Spur. Ein persischer Fotograf, der Aufnahmen von den Ankömmlingen machte und in Sinais The Lost Requiem interviewt wird, hat auf seinen Bildern auch den üppig grünen, sorgfältig gemähten Rasen festgehalten, von dem in Emils Tagebuch die Rede ist. Durch seine Linse konnte ich gleichsam mit den Augen meines Vaters sehen. Ich hatte mir diesen Ort immer ein wenig wie die staubigen ägyptischen Küstenstädtchen vorgestellt, die ich in meiner Jugend besucht hatte: Vor meinem inneren Auge waren die Buden und Schaufenster von Scharm el-Scheich erschienen, das geschäftige, quicklebendige, vollkommen chaotische Pulsieren des Nahen Ostens. Aber in Bandar Pahlavi herrscht ein subtropisches Klima, das eher dem von Südostasien ähnelt. Ruhig und elegant war die Stadt; geschwungene Marmorstiegen führten vom Ufer hinauf in einen sorgsam manikürten Park, dessen Eingang zwei gleichfalls marmorne Löwen bewachen. Es war die erste Stadt, die mein Vater seit Ausbruch des Krieges zu Gesicht bekommen hatte, in der nicht Zerstörung und Hunger das Bild bestimmten.
„Uns erscheint es … wie ein Himmelreich“, schrieb Dr. Chaim Ze’ev Hirschberg, ein Rabbiner und Gelehrter, der an der Wiener Universität Persisch studiert hatte und ungefähr zur selben Zeit wie mein Vater in den Iran kam, in einem Artikel, den ich später entdecken sollte, über seine ersten Eindrücke von der feinen Stadt am Meer.7
„Der Iran heißt uns willkommen“, heißt es in dem Tagebuch, das Krystyna Wartanowicz, eine junge Polin Anfang dreißig, auf ihrer Flucht führte und das ich gleichfalls später zitiert gefunden habe.8
So wie sie empfanden auch viele andere.
*
Der Iran, in den mein Vater im Sommer 1942 kam, war – in dieser Hinsicht vielleicht nicht anders als heute – ein hochkomplexes und keineswegs widerspruchsfreies Land: eine konstitutionelle Monarchie, die im Widerstreit mit einer Reihe repressiver Dynastien stand; eine islamische Nation, die ihre zoroastrischen Wurzeln nicht gänzlich gekappt hatte; ein Land, das reich an Öl war und deshalb von den Imperialmächten Großbritannien und Russland sowohl umworben als auch manipuliert, jedoch niemals völlig kolonisiert wurde; ein im Grunde armes Land, das sich in einem rasanten Modernisierungsprozess befand und im Jahr 1942 über ein staatliches Bildungssystem mit Schulpflicht, eine Nationaluniversität, neu gebaute Straßen und Brücken sowie über eine „Transiranische Eisenbahn“ verfügte, die den Persischen Golf mit dem Kaspischen Meer verband.
Die Brücken und Eisenbahnstrecken im Reich des Schahs waren in den 1920er- und 1930er-Jahren unter der Anleitung deutscher Ingenieure gebaut worden. Angehende iranische Ingenieure, unter ihnen auch Salars Onkel Yahya, gingen zum Studium nach Deutschland. Deutsches Know-how war dem Schah lieber als das der Sowjets oder der Briten, die bereits mit der Anglo-Persian Oil Company – Keimzelle der späteren British Petroleum (BP) – einigen Einfluss im Land hatten. Hitlers Aufstieg zur Macht tat dem deutsch-persischen Bündnis keinen Abbruch. Im Frühjahr 1942, nur wenige Monate, bevor mein Vater im Iran ankam, machte Onkel Yahya an der Königlich Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden – der heutigen Technischen Universität – seinen Abschluss als Chemieingenieur und nahm ein Stellenangebot bei der I. G. Farben an, die später durch die Produktion des Giftgases Zyklon B sowie zahlreiche weitere Verstrickungen mit dem Naziregime berüchtigt werden sollte. Nazideutschland brauchte Öl, und der Iran brauchte dringend einen Verbündeten gegen den übermächtigen Druck der Sowjets und Briten.
Der Nazi-Ideologe Alfred Rosenberg zog in seinem Buch Der Mythus des
20. Jahrhunderts (dem nach Mein Kampf am weitesten verbreiteten und einflussreichsten Buch im „Dritten Reich“) Parallelen zwischen dem „arische[n] Persien“ und dem „germanische[n] Europa“: „Das arische Persien dichtete uns den religiösen Mythus, von dessen Kraft wir alle noch heute zehren … Und das germanische Europa beschenkte die Welt mit dem leuchtendsten Ideal des Menschentums …“, schrieb Rosenberg, der 1946 in Nürnberg wegen der deutschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingerichtet wurde.9 Im Jahr 1933 erschien in Teheran die Zeitschrift Iran-e Bastan („Der alte Iran“), ein rassistisches Propagandablatt in persischer Sprache, das von Nazi-Sympathisanten aus der iranischen Intelligenz finanziert wurde, um die Vorstellung von der natürlichen Überlegenheit der beiden Nationen zu verbreiten. Genauer gesagt, hieß es, seien die Iraner die auserwählte Rasse Asiens, so wie die Deutschen die Herrenrasse Europas verkörperten.10 1936 dann ersetzte der Name „Iran“ – vom altpersischen Aryānām für „[Land] der Arier“ – die bisherige Bezeichnung „Persien“ auch offiziell. Zuvor war Aryānām eine Art von Spitzname gewesen, der nur innerhalb des Landes verwendet wurde. Daraufhin erließ das „Dritte Reich“ eine Verordnung, durch welche Iraner (sowie auch ein paar andere nicht-„germanische“ Volksgruppen) von den Beschränkungen der Nürnberger Rassengesetze ausgenommen wurden – mit der Begründung, sie seien „reinrassige Arier“.
Im selben Jahr begannen deutsche Juden, die sich zur Flucht aus ihrem Heimatland gezwungen sahen, bei der persischen Botschaft in Berlin Visa zur Einreise in den Iran zu beantragen. Die dortige Regierung gelangte zu dem Schluss, dass diese Emigranten „möglicherweise nützlich sein könnten“, und ließ „Ärzte, Ingenieure, Agrarfachleute, Handwerksmeister und Facharbeiter, Architekten, Mechaniker, Musiker und Künstler“ fortan ins Land.11
Marianne Leppmann, geborene