Die Kinder von Teheran. Mikhal Dekel
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„Komm, wir schauen bei meinem Freund Homa vorbei“, schlug Salar vor, und keine Stunde später saßen wir auf einem schicken, bequemen Sofa in einem Washingtoner Vorort, gegenüber ein offener Kamin, ein Glas Wein in der Hand, und lachten mit Homa und Lida, die im Iran geboren ist und deren jüdische Familie auf Los Angeles, Washington, Teheran und Tel Aviv verstreut lebt. Lidas Schwester, die mit einem Muslim verheiratet war, wohnte noch immer in Teheran. Ihre restlichen Geschwister waren in Israel, wo sie selbst auch schon gelebt hatte. Bei ihrer Arbeit als Kellnerin begegnete ihr dort einmal der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Dajan. „Die Hand, die er mir geschüttelt hatte, hab’ ich danach drei Tage nicht gewaschen“, erzählte sie. Wir lachten schallend. Die meisten persischen Juden waren Zionisten; und die meisten verließen den Iran nach der Islamischen Revolution von 1979. Manche waren festgenommen und gefoltert worden; einige wurden sogar hingerichtet. Aber dennoch schien Lidas Beziehung zum Land ihrer Geburt weitaus weniger kompliziert zu sein, als etwa das Verhältnis Henry Grynbergs (oder auch das meines Vaters) zu Polen. Wir vier hatten wirklich einen sehr schönen Abend zusammen. Und kurz darauf, im Juli 2009, brachen Salar und ich, jeder für sich, in Richtung Naher Osten auf. Dort wollten wir weitere Informationen über die polnischen Flüchtlinge aufspüren.
*
In allen Haushalten Israels konnte man im Fernsehen mit anhören, wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Massen mit scharfen Worten auf den alljährlichen Al-Kuds-Tag („Jerusalemtag“) einstimmte: „Der Vorwand für die Errichtung des zionistischen Regimes ist eine Lüge, eine Lüge, die auf unbelegten Annahmen, frei erfundenen Behauptungen beruht.“ Das war 2009, in dem Jahr, in dem eine gewaltige Welle von Protesten, die „grüne Bewegung“, den Iran erfasste, die sich an der fragwürdigen Wiederwahl Ahmadinedschads zum Präsidenten entzündet hatte. Der islamisch-fundamentalistische Hardliner hatte zu diesem Zeitpunkt bereits so oft den Holocaust geleugnet und zur „Tilgung Israels von der Landkarte“ aufgerufen, dass die israelischen Medien geradezu besessen von ihm waren. Wenn der Iran dort in den Nachrichten behandelt wurde, dann wenig nuanciert und dafür umso aufgeregter. Der Mainstream-Berichterstattung aus Israel stand ich deshalb eher skeptisch gegenüber, doch als ich in New York die Begriffe „Iran“ und „Zionismus“ in die Suchmaske der Columbia-Universitätsbibliothek eingegeben hatte, waren mir im Handumdrehen Dutzende von Veröffentlichungen entgegengesprungen, deren Titel (etwa „Die Juden und der Zionismus: Anatomie eines Unheils“) mir wie persische Variationen auf die dunklen Verschwörungslegenden der Protokolle der Weisen von Zion vorkamen, nur noch abwegiger. „Die Zionisten“, hieß es da etwa, „exportieren in muslimische Länder sieben verschiedene Sorten Kaugummi, die nicht nur Impotenz hervorrufen, sondern sogar zu dauerhafter Unfruchtbarkeit führen …“ – und so weiter. Erschienen waren diese Schriften allesamt bei Bustan-e Ketab („Garten der Bücher“), dem wichtigsten Verlag aus der schiitischen Gelehrtenhauptstadt Ghom, etwa hundert Kilometer südlich von Teheran.
Dennoch war der Sommer 2009 so etwas wie ein Sommer der Hoffnung. In Teheran wollte die iranische Opposition sich nicht zum Al-Kuds-Tag mobilisieren lassen, sondern brachte stattdessen selbst Demonstranten auf die Straße, die gegen ihre eigene Regierung protestierten. In Tel Aviv hing eines Morgens eine drei Meter hohe Plakatwand in der Nähe des Jitzchak-Rabin-Platzes, auf die man die iranische und die israelische Flagge gepinselt hatte, versehen mit der hebräischen Aufschrift Kan tipatach b’karov schagrirut Iran b’Jisrael („Hier eröffnet bald die iranische Botschaft in Israel!“). Und in Jerusalem verkündete ein Künstlerkollektiv, das sich Ha’mabul („Die Flut“) nennt, dass es seine eigene „Kultur-Botschaft“ für die Islamische Republik eröffnen werde, in der Werke von iranischen Künstlerinnen und Künstlern ausgestellt werden sollten, um damit „ein anderes Gesicht [des Iran] zu zeigen als das, welches uns jeden Tag in den Medien präsentiert wird“.3
Salar interviewte den Regisseur Khosrow Sinai in seinem Haus in Teheran. Sein Interesse an der Geschichte der polnischen Flüchtlinge gehe schon auf die frühen Siebzigerjahre zurück, erzählte Sinai ihm, denn damals habe er begonnen, mit den noch immer im Iran verbliebenen katholischen Polen Interviews zu führen. Geld gab es für sein Vorhaben jedoch keines – „der Zweite Weltkrieg hat die iranische Öffentlichkeit damals nicht interessiert“ –, und so gab er das Projekt schließlich auf. Nachdem jedoch 1974 einige der polnischen Flüchtlinge von einst dem Schah bei einer Audienz überschwänglich „für die Menschlichkeit und die große Gastfreundschaft der Iraner“ gedankt hatten, nahm Sinai das zum Ansporn, seinen Film doch noch zu drehen. Aber noch zögerte er, weil er nicht wie ein schmeichlerischer Höfling des Schahs erscheinen wollte – dieser forderte nämlich, dass er selbst, der „König der Könige“, im Mittelpunkt des Films stehen solle!4 Schließlich vertagte der angehende Filmemacher, der vier Jahre lang in Wien Architektur studiert hatte, sein Vorhaben auf unbestimmte Zeit – so lange, bis, wie er es formulierte, „das Schicksal in Gestalt der [Islamischen] Revolution mir die Entscheidung aus der Hand nahm“. Als 1983 dann die Premiere von The Lost Requiem stattfinden konnte – die Dreharbeiten waren vom Kulturministerium der Islamischen Republik finanziert worden –, saßen im Publikum Iraner polnischer Herkunft, ihre Kinder und Enkel. Als Ort der Aufführung hatte man sich für eine Kirche in der Straße „Neauphle-le-Château“ entschieden (die – als Standort der französischen Botschaft in Iran – so benannt wurde, nachdem Ajatollah Chomeini aus seinem Exil in der gleichnamigen französischen Kleinstadt vor den Toren von Paris zurückgekehrt war).
Ein Vierteljahrhundert später sah ich mir Sinais Film in der Haifaer Wohnung meiner Kindheit an, inmitten der Fotos meines Vaters und zahlreicher Andenken aus seiner Zeit bei der Luftwaffe – winzige Tragflächen einer F-15 in einem Schmuckrahmen, diverse Zertifikate und Ehrenurkunden –, und hörte zu, wie Anna Borkowska und andere vormalige Flüchtlinge in den höchsten Tönen von der „Gastfreundschaft“, „Menschlichkeit“ und „Güte“ des Iran sprachen. Der Film wollte erzählen, wie ein Volk einem anderen geholfen hatte: „Niemals wieder“, verkündet der Erzähler des Films in dessen letzter Szene pathetisch, „soll eine Nation erdulden müssen, was das polnische Volk erduldet hat – den Gang ins Exil!“ Sinai war überhaupt nicht bewusst gewesen, wie er Salar gegenüber erklärte, dass sich unter den polnischen Flüchtlingen auch Juden befunden hatten, und selbst jetzt, da er es wusste, schien dieses Wissen für ihn keinen großen Unterschied zu machen. Auch mir, die ich vorerst nur wenig über das Verhältnis zwischen den katholischen und den jüdischen Flüchtlingen nach ihrem Eintreffen im Iran wusste, schien der Unterschied zwischen meinem Vater und den Protagonistinnen Sinais – die meisten waren Polinnen, die Iraner geheiratet hatten – nicht so sehr in einer Spaltung zwischen „Katholiken hier“ und „Juden dort“ zu bestehen, sondern vielmehr in dem unterschiedlichen Ausgang, den die Geschichte für Borkowska und für meinen Vater jeweils genommen hatte. Für ihn war der Iran nur ein Zwischenhalt auf einer langen Reise gewesen; für sie war er die Endstation. Der Iran wurde ihr zur Heimat, so wie er es – nach Angaben des Historikers Lior Sternfeld – für bis zu 5000 der polnischen Flüchtlinge im Iran geworden ist.5 Anna Borkowska war eine Iranerin, deren Wiege in Polen gestanden hatte.
Während Salar in Teheran mit Khosrow Sinai über dessen Film sprach, machte ich mich in Israel daran, neben meiner Tante und ihrer Cousine noch mehr ehemalige „Kinder von Teheran“ aufzuspüren, die nun im ganzen Land verstreut lebten. Die meisten konnten sich nur noch schemenhaft an ihre Zeit im Iran erinnern; einer, der damals schon etwas älter gewesen war, hatte immerhin noch bruchstückhaft im Gedächtnis, wie er einmal einen