Die Kinder von Teheran. Mikhal Dekel

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Die Kinder von Teheran - Mikhal Dekel

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1934 mit ihrem Ehemann Joachim und ihren zwei jungen Töchtern in den Iran. Bei der Reichstagswahl im März 1933 hatte die Familie sich gerade zum Urlaub in Neapel befunden. Nachdem sie die Wahlergebnisse gelesen hatte, schreibt Marianne Leppmann, habe sie sich „voller Sorge ins Gras gelegt und geweint. … [Dann] setzte ich mich wieder auf und schärfte mir ein, dass dies die letzten Tränen gewesen sein sollten, die ich um das verlorene Vaterland weinen wollte.“ Sie und ihr Mann, der Bauingenieur war, erhielten Visa für den Iran, wo Joachim eine Stelle beim Landwirtschaftsministerium antrat. Einige Monate darauf stießen seine Frau und die Töchter zu ihm. „Mit dem Vaterlandsunsinn ist es für mich auf ewig vorbei“, schrieb Marianne in ihr Tagebuch, „von nun an kenne ich nur noch eine Nationalität: die schlicht menschliche.“ Sie und ihre Familie sollten mehr als ein Jahrzehnt lang in Teheran bleiben, genauso wie drei- oder viertausend andere Westeuropäer. Unter diesen befanden sich auch Elisabeth Kottler und ihr Ehemann, ein Fabrikant, die schon 1933 mit einem beträchtlichen Vermögen von Berlin in den Iran gekommen waren. Nach ihrer Ankunft gingen sie ins Importgeschäft, trieben Handel, verloren alles, und verbrachten ebenfalls den Rest des Krieges in Teheran. Joachim (Joshua) Pollock, ein junger Mann, der in Berlin Mitglied der neuorthodoxen Synagogengemeinde Adass Jisroel gewesen war, kam mit sehr viel weniger, wurde im Iran jedoch durch Geschäfte mit den Sowjets und Briten zum erfolgreichen Geschäftsmann – und zunehmend religiös.12

      In einem Bittgesuch vom 18. Oktober 1938 wandten sich „fünfzig österreichische Juden“ direkt an das iranische Außenministerium, das ihr Schreiben daraufhin dem Innenministerium weiterleitete:

      „Wir sind … ganz wie alle anderen Österreicher auch. Die meisten von uns haben eine gute Ausbildung. Drei sind Ingenieure, zwei Architekten, einer ist Arzt und mehrere sind Landwirte und Handwerker verschiedener Art. Wir bitten ergebenst, uns dauerhaft in Ihrem Lande ansiedeln zu dürfen. Wir zählen etwa fünfzehn bis zwanzig Familien und wollen gern zu Musterbürgern Ihres Landes werden. … Wir möchten Seite an Seite mit Ihnen arbeiten und haben nicht die Absicht, irgendjemandem hierzulande Konkurrenz zu machen. Die Techniker unter uns sind Fachleute in einer ganzen Reihe von Feldern der Industrie und der Stadtplanung, und sie werden Ihnen beim Bau von Regierungsgebäuden eine große Hilfe sein. Natürlich werden wir auch imstande sein, ihre einheimischen Arbeiter anzuleiten und ihnen unsere Kenntnisse mitzuteilen. Wir erklären schon jetzt, dass wir unter den Gesetzen Ihres Landes und unter Ihrem Schutz stehen. Wir vertrauen fest darauf, dass Sie uns in Ihrem Lande arbeiten lassen und uns ein Stück Boden überlassen werden, das wir gern kultivieren wollen.

      In Erwartung Ihrer Antwort

      [Unterschrift unleserlich]“13

      Der Text dieser Petition, die schließlich im Innenministerium gelandet sein muss, war in einem Quellenband mit Dokumenten des iranischen Innenministeriums enthalten, den Salar bei seiner Rückkehr aus dem Iran mitbrachte, nach einem Sommer heftiger Proteste, an dessen Ende die Wiederwahl Ahmadinedschads zum Präsidenten der Islamischen Republik gestanden hatte – und seine Vereidigung mit dem Segen des Ajatollahs Chamenei. Bei der Recherche, die Salar in meinem Auftrag hatte unternehmen wollen, war leider außer ein paar alten Zeitungsmeldungen nicht viel herausgekommen, weil das Iranische Nationalarchiv, wie sich herausstellte, weder über eine zentrale Datenbank seiner Bestände noch über irgendeine andere erkennbare Ordnung verfügte. Aber immerhin hatte Salar die erwähnte Quellensammlung gefunden, dazu noch einige Fotos und andere Hinterlassenschaften, die er in einem improvisierten Archiv mit Unterlagen der polnischen Flüchtlinge aufgespürt hatte, das sich im Keller unter einem Schuhgeschäft auf der Enghelab-Straße („Straße der Islamischen Revolution“) befindet, einer Hauptverkehrsader im Zentrum Teherans. Herr Nikpour, der Schuhhändler, ein Perser, war mit einer Polin verheiratet, die als Flüchtling in den Iran gekommen war. Ihr gemeinsamer Sohn Ramin, erzählte er Salar, lebe heute mit seiner Familie in Warschau; nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe er sich erfolgreich um die polnische Staatsbürgerschaft bemüht. Der Jüngste hingegen, Reza, war im Iran geblieben; er war es, der in dem Archiv im Untergeschoss alle erreichbaren Dokumente über die polnischen Flüchtlinge im Iran zusammentrug.

      In New York brüteten Salar und ich stumm über dem Bittbrief der „fünfzig österreichischen Juden“ und fragten uns, ob sie damit wohl Erfolg gehabt hatten. Im Herbst 1938 war die Frage „Auswandern oder Bleiben?“ natürlich längst zu einer Frage von Leben und Tod geworden. Die Art, wie der Brief formuliert war, ließ vermuten, dass ihnen bei der Abfassung jemand geholfen hatte, der sich sehr gut mit der persischen Politik, Kultur und Lebensart auskannte. Dafür sprach die zielgenau präsentierte Liste von Berufen und auch die Betonung der Tatsache, dass man auf keinen Fall den Einheimischen Konkurrenz machen wolle, vor allem aber der Satz gegen Ende des Schreibens: „Wir erklären schon jetzt, dass wir unter den Gesetzen Ihres Landes und unter Ihrem Schutz stehen [zir e panāh e schomā]“. Das zeigte, dass dieser Brief sehr sorgfältig formuliert worden war, um genau den Erwartungen der Adressaten zu entsprechen – oder zumindest dem, was seine Verfasser für deren Erwartungen hielten. „Wir vertrauen fest [auf Sie]“, das war ein unterwürfiger Appell an eine Autorität, die zugleich religiös, gesetzlich und moralisch zu verstehen war. Salar meinte, dass derartige Formulierungen in persischen Ohren einen sehr starken, tiefen Eindruck hinterlassen haben dürften.

      Jedoch fand sich in der Dokumentensammlung, die Reza Nikpour angelegt hatte, keine Antwort auf den Bittbrief, nur eine Übersetzung des Schreibens ins Persische und die folgende knappe Mitteilung eines Beamten des iranischen Innenministeriums an die Adresse des Premierministers Mahmud Dscham:

      11. 01. 1938

      Sehr geehrter Herr Premierminister!

      Fünfzig Juden aus Wien haben einen Brief geschrieben, in dem sie darum bitten, sich „dauerhaft im Iran ansiedeln zu dürfen“ und dass man ihnen ein Stück Land gebe, das sie bebauen und kultivieren wollen. Beiliegend erhalten Sie die Übersetzung ihres Schreibens. Wir bitten darum, dass Sie uns Ihre Entscheidung in dieser Sache – wie sie auch ausfallen mag – mitteilen, damit wir ihnen Antwort geben können.

      gez. Abolghasem Foruhar

      Das kurze Anschreiben aus dem Innenministerium wirkte nicht gerade begeistert. Aber immerhin war das Gesuch nicht gleich im Papierkorb gelandet, sondern binnen vierzehn Tagen an den Premierminister Dscham weitergeleitet worden, der als ein besonnener Mann und politischer Pragmatiker galt.

      In Salars Buch gab es auch noch andere Dokumente, die mit jüdischen Flüchtlingen zu tun hatten. In einem Memorandum aus dem Büro des Premierministers an das Innenministerium vom September 1937 wird die Entsendung von Polizisten in die Provinz Chorasan im Osten des Landes angeordnet, „um Juden an der Einreise in den Iran [über die Grenze zur Sowjetunion] zu hindern“. Diejenigen, die sich bereits im Land befanden, „sollen wissen, dass es nicht zu ihrem Vorteil wäre, wenn sie hierblieben, sondern dass sie lieber nach Bagdad weiterreisen und ihre Situation und ihr Schicksal dort abwarten würden. Aber wenn sie sich nicht umstimmen lassen … ist es auch nicht notwendig, sie weiter aufzuhalten und ihnen Schwierigkeiten zu bereiten“. Juden aus Buchara, dem Irak und vom Kaukasus hatten schon seit Anfang der 1930er-Jahre unbehelligt im Iran gelebt. Hätten die irakischen Juden „sich umstimmen lassen“ und wären in ihr Herkunftsland zurückgekehrt, dann hätte „ihre Situation und ihr Schicksal“ durchaus die sein können, dass sie dem irakischen Premierminister Raschid Ali al-Gailani in die Hände gefallen wären, einem arabischen Nationalisten mit Sympathien für die Achsenmächte, der am 3. April 1941 einen Militärputsch anzettelte, dem Anfang Juni ein zweitägiger Pogrom – der Farhud – gegen die jüdische Bevölkerung Bagdads folgte.

      In einer anderen Mitteilung warnte das iranische Innenministerium die Polizei des Bezirks Chorramschahr an der Grenze zum Irak, dass es „in Chorramschahr eine Anzahl von Juden [gibt], [die] am Schmuggel [von Flüchtlingen] beteiligt“ seien – man solle sie bitte umgehend „in das Landesinnere“ umsiedeln. Die Beamten sahen den Flüchtlingen also nicht mit Enthusiasmus entgegen – aber allzu streng waren ihre Anweisungen und deren Umsetzung dann auch nicht.

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