Steve Howe - Die Autobiografie. Steve Howe
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Tomorrow verfügten über enormes Potenzial, aber mittlerweile wirkte die Band wie ein Zusammenschluss individueller Talente und nicht wie ein starkes Kollektiv. Mark Wirtz produzierte mehrere als Solo-Veröffentlichungen vorgesehene Songs, die Keiths Erfolg mit „Grocer Jack“ wiederholen sollten. So nahm ich etwa eine Nummer mit dem Titel „Moth Balls“ auf, die dann aber nicht erschien. Junior und Twink veröffentlichten unter der Aufsicht Marks als The Aquarian Age den Track „Ten Thousand Words in A Cardboard Box“. Gleichzeitig fabrizierten Keith und Mark noch die Nachfolge-Single zu „Grocer Jack“, die den Titel „Sam“ trug, aber hinter den Erwartungen zurückblieb.
Kapitel 5
Unten am Fluss
Keith und mich verschlug es als Nächstes ins Grenzgebiet zwischen Highgate und Muswell Hill, wo mein Bruder Philip die beiden oberen Stockwerke eines Hauses bewohnte, von dem aus man auf Alexandra Palace hinabsehen konnte.
Im Dachboden dieser Bude begann ich, viel klassische Musik zu hören. Mithilfe der Schönheit eines ganzen Orchesters bekam ich so richtig den Kopf frei. Den Klängen von Vivaldi, Mozart, Villa-Lobos und Bach zu lauschen, schien meinen Sinnen neues Leben einzuhauchen. Damals wurde mir klar, dass wir niemals die Fähigkeiten und Power jener Musiker unterschätzen sollten, die die Werke dieser Komponisten zum Leben erweckten. Etwa Leute wie Ashkenazy, J.-P. Rampal, André Previn und John Williams. Auch verspürte ich die unbestrittene Genialität vieler großer Komponisten, die ihre Werke direkt auf Notenblättern zu ersinnen und zu orchestrieren verstanden. Sie konnten die komplizierten harmonischen Modulationen förmlich hören. In ihren Köpfen. Von Vivaldis Flötenkonzerten, von J.-P. Rampal gespielt, bis hin zu Rodrigos Concierto De Aranjuez, gespielt von John Williams, besaß diese Musik immenses Drama und Spannung. Ein solch subtiles Loslassen, welch entspannte Sanftheit! Das fesselte mich, damals wie heute. Dieses großartige musikalische Vermächtnis wird an passionierte Musiker weitergereicht, um es neu zu interpretieren und zu verfeinern. Ihr Verständnis revitalisiert die Lebenskraft dieser auf Papier festgehaltenen Musik und holt sie in die Gegenwart.
Wenn man noch weiter zurückgeht, etwa bis ins Mittelalter, wird offensichtlich, dass Musik seit jeher darauf abzielte, die Stimmung und Gefühle ihrer jeweiligen Epoche widerzuspiegeln. Julian Bream spielte nicht nur die Gitarre des 20. Jahrhunderts meisterhaft, sondern rückte auch die Laute erneut in den Mittelpunkt des Interesses, indem er die Musik und Lieder John Dowlands aus dem 16. Jahrhundert in sein Repertoire aufnahm. Sein Spiel strotzte nur so vor Emotion und Ausdruck. Er fühlte jede einzelne Note, die er spielte. A Life In Music ist eine wunderbare DVD-Dokumentation, die zeigt, dass Julian sogar Jazz gespielt hat. In den Siebzigerjahren besuchten Jan und ich viele seiner Aufritte in London. Nach einem Konzert, das er mit John Williams als Duo gespielt hatte, stellte uns dieser einander vor. (Wie schon Segovia gesagt hat, ist das Einzige, was noch besser ist als eine Gitarre, eben zwei Gitarren!) Julian wirkte, als wollte er gerade die Garderobe verlassen, und erinnerte uns mit seinem breitkrempigen Hut und seinem Mantel ein bisschen an Zorro. Zum Glück willigte er ein, John in seiner Wohnung in Hampstead zu besuchen, wo ich dann ein wenig ausführlicher mit ihm quatschen konnte. Er fragte mich, ob ich dieser Gitarrist sei, der mit drei Wagenladungen voll Ausrüstung durch die Lande ziehe. Ich musste bejahen – genau dieser Gitarrist war ich nämlich.
Rund um den Oktober 1968 begann Keith, Solo-Tracks für die EMI aufzunehmen, auf denen ich ihn begleitete. Bei manchen dieser Songs spielte Ronnie Wood Bassgitarre, und bei allen saß Aynsley Dunbar hinterm Schlagzeug. Bei „On A Saturday“ spielte ich Spanische Gitarre, und auf der B-Seite, „The Kid Was A Killer“, übernahm ich sowohl Bassgitarre als auch E-Gitarre. Auch auf seiner nächsten Single, dem Song „She“, war ich vertreten. Mark engagierte mich weiterhin für alle möglichen Sessions. Ich spielte auf einigen Tracks mit Caroline Munro und vielen deutschen Versionen von Popsongs, die ich aber nie wieder zu hören bekam.
Sessions zu spielen war in Ordnung. Dort traf ich viele Leute und keiner war irgendwie für den anderen verantwortlich. Drei Stunden später war dann alles vorbei, und es ging weiter zum nächsten Termin. In gewisser Hinsicht ähnelte es einer klassischen Tretmühle. Womöglich sah ich auch deshalb in den Sessions keinen bewusst gesetzten Karriereschritt. Ich lieferte ab und wurde bezahlt. (Ich hatte Glück und jemanden, der diese Sessions für mich buchte.) Allerdings erhielt ich keine Tantiemen und verließ mich stattdessen auf meine Gage, die die PPL (Phonographic Performance Limited) für mich eintrieb. Falls sich ein Song in großer Stückzahl verkaufte und/oder im Fernsehen oder Radio lief, bekam ich über die PPL einen geringen Betrag vermittelt. Mit Bands kannte ich mich am besten aus, und so beschloss ich, mich weiterhin darauf zu fokussieren.
Fürs Erste hielt ich mich weiter mit Sessions über Wasser, wodurch ich irgendwann an das Management von Deep Purple geriet. Sie sahen sich gerade nach einem Gitarristen um, um die Besetzung einer neuen Band, die sie zusammenstellten, zu komplettieren. Ich traf mich also mit Dave Curtis – seinerseits Sänger, Songwriter und Bassist – und seinem Drummer und Freund Bobby Woodman (Clarke), der zuvor für Johnny Hallyday getrommelt hatte. Wir nannten uns zunächst Canto und nahmen zusammen ein paar Demos auf, so etwa „The Spanish Song“, das man sich auf Anthology 2 anhören kann. Nachdem wir die Besetzung um einen jungen Typen namens Clive Skinner (Maldoon) erweitert hatten, benannten wir uns bald in Bodast um: Bobby-Dave-Steve. Nicht unbedingt ein Geniestreich, vor allem, weil dieses Konstrukt keinerlei Bezug auf Clive nahm.
Wir wohnten zusammen in einem Mietshaus in West Finchley und erhielten wöchentlich einen geringen Sold ausbezahlt. Dort schrieben wir unsere Songs und hofften, für Gigs gebucht zu werden. Das war eine in meinem Leben einmalige Situation. Wir waren hinsichtlich Management und Verlagsrechte vertraglich gebunden. Unser wöchentliches Einkommen entsprach einem Vorschuss – es konnte zurückgefordert werden, sobald tatsächlich mal Geld hereinkäme. So schrieben und probten wir unablässig neue Songs. Das war um die Zeit, als die Beatles ihr gefeiertes White Album veröffentlichten. Es ging nur zäh voran, aber zumindest lebte ich immer noch meinen Traum und konnte komponieren und spielen, was immer ich wollte. Außerdem klangen wir ziemlich gut.
Am Freitagabend erhielten wir regelmäßig Besuch eines Freundes samt interessantem Aktenköfferchen. Klick-klack! Vor uns breitete sich eine bunte Auswahl marokkanischen, afghanischen und indischen Haschs aus. Außerdem noch Kief, Thai-Sticks und afrikanisches Gras. Eine Unze Hasch kostete ungefähr acht Pfund. Viele sehr angesehene Leute konsumierten diese beruhigenden Substanzen. Offenbar waren sie schon fast allgegenwärtig, was so weit ging, dass sogar Polizisten Gefallen an ihnen fanden. Aber das alteingesessene britische Establishment setzte sich dennoch zur Wehr. In diesen Kreisen wusste man nicht, dass sich diese Szene nie kontrollieren lassen würde. Es ist weiterhin ein universelles Vergnügen, so wie Wein- oder Biertrinken. Erst seit Kurzem wird es weltweit immer häufiger freigegeben. Die Niederlande nahmen hier die Vorreiterrolle ein. Viele von uns besuchen gern die dortigen Coffeeshops. Mittlerweile haben auch die USA das Schleusentor geöffnet. Ein Bundesstaat nach dem anderem stimmt einer Legalisierung zu, wobei jeder einen eigenen Ansatz samt individueller Gesetzgebung verfolgt. Heute interessiere ich mich nicht mehr für Gras. Ich war hinsichtlich meines Geschmacks immer eher an Europa orientiert.
Bei Bodast überschnitten sich Musik und Lifestyle und die Liebe. Wir spielten letztendlich nur ein paar Gigs. Einer davon fand am 4. Juli 1969 in der Royal Albert Hall statt. Dabei handelte es sich um die einzigen Pop-Proms, von denen ich weiß. Am ersten Abend spielten The Who, und am zweiten trat dann Chuck Berry auf, der von Bodast begleitet wurde. Allerdings ohne mich. Ich erfuhr davon erst am Nachmittag während der Proben. Wir hatten bereits unseren Soundcheck hinter uns, als Chuck eintraf. Er betrat die Bühne und zeigte auf mich: „Dich brauchen wir nicht.“ Offenbar passte ich ihm nicht in den Kram. Unbeirrt zeigte ich ihm später hinter der Bühne meine Gibson 175, da mich interessierte, was er von ihr hielt. Er spielte sie an und meinte: „Yeah, das ist eine verdammt gute Gitarre!“ Nur noch ein einziger weiterer Gitarrist