Das Enneagramm. Andreas Ebert W.

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Das Enneagramm - Andreas Ebert W.

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für viele Menschen des Westens, wenn sie ihn nicht ohnehin abgeschrieben haben, nichts anderes als ein Projektionsbild ihrer selbst: ein Gott, wie wir ihn brauchen, wollen oder gerne hätten. Die Begegnung mit dem Ganz Anderen, mit dem Nicht-Ich, findet nicht statt.

      Die alten Meister und Seelenführer wollten, dass die Menschen ihre Blockaden und Vorurteile bzw. ihren „Wahrnehmungsstil“ erkennen, das heißt ihre Angewohnheit, das Leben aus einem fixierten Blickwinkel zu betrachten und zu gestalten. Im frühen Mönchtum nannte man solche Engführungen Passionen oder Leidenschaften. Sie führen dazu, dass ich jenen Teil des Lebens, den ich erkannt habe oder beherrsche, für das Ganze halte. Es geht darum, diese Leidenschaften zu identifizieren und zu überwinden, um zu lernen, die Wirklichkeit objektiv(er) wahrzunehmen. Es geht darum, zu Gott, dem ganz Objektiven, durchzudringen, dem Ganz Anderen, der für ChristInnen zugleich ganz der Unsere ist, indem er sich auf unsere Welt eingelassen hat und Teil von ihr geworden ist. Es geht darum, dass wir fähig werden, auf etwas anderes als auf uns selbst zu stoßen, auf jene „Macht, die größer ist als wir“ (Anonyme Alkoholiker).

      Viele Kirchenfunktionäre treten leichtfertig im Namen Gottes auf und meinen, Gott verstanden zu haben. Dabei kann man meist sofort erkennen, dass sie nicht viel mehr ausstrahlen als ihr eigenes Temperament, ihre Vorurteile oder das, was sie sowieso schon wissen. Das ist einer der Gründe, weshalb die christliche Religion so sehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Viele Zeitgenossen können sie nicht mehr ernst nehmen. Sie erleben religiöse Menschen, die nicht authentisch sind und obendrein egozentrisch wirken, weil sie offensichtlich ihre ureigensten Ziele verfolgen, während sie einen frommen Jargon pflegen, als ginge es ihnen um nichts als um Gott und um Gottes Reich.

      Das Enneagramm kann uns helfen, unsere Selbstwahrnehmung zu läutern, ehrlicher gegenüber uns selbst zu werden und immer besser zu unterscheiden, wann wir nur unsere eigenen inneren Stimmen und Prägungen hören und Gefangene unserer Vorurteile sind – und wann wir fähig sind, für Neues offen zu sein.

      Ignatius von Loyola (1491 – 1556), der Gründer des Jesuitenordens, entwickelte eine geistlich und psychologisch hochsensible Methodik der geistlichen Menschenführung. Seine Exerzitien führen auf einen Übungsweg. Sie decken die Fallen auf, in denen die Seele gefangen ist, und leiten zur „Unterscheidung der Geister“ an, jener inneren und äußeren Stimmen und Impulse, die uns fortwährend beeinflussen. Die Unterscheidung vollzieht sich in drei Schritten: Es geht darum, 1. „die verschiedenen Regungen zu verspüren, die in der Seele verursacht werden“; 2. sie „zu erkennen“, das heißt ihre Herkunft und Zielrichtung zu verstehen und ein Urteil darüber zu fällen, ob sie mich konstruktiv auf das Sinn-Ziel meines Lebens hinlenken oder destruktiv von ihm wegführen; 3. zu diesen Regungen Stellung zu nehmen, das heißt sie anzunehmen oder abzuweisen.14 Ziel der Exerzitien ist es, das eigene Leben zu ordnen und Wege zur christlichen Freiheit zu finden. Sie wird durch eine personale Jesusbeziehung ermöglicht, in der wir fähig sind, den Anruf Christi an unser Leben zu hören, und bereit werden, in seinen Dienst zu treten.

      Das Enneagramm ist ein verwandtes Hilfsmittel, um dieses Ziel zu erreichen. Das ist einer der Gründe, weshalb eine Reihe von Exerzitienmeistern begonnen hat, neben den traditionellen ignatianischen Übungen auch das Enneagramm einzusetzen.

      Ich (Richard Rohr) bin 1970, im Jahr meiner Priesterweihe, durch einen Jesuiten in das System des Enneagramms „eingeweiht“ worden. Damals hat man uns eingeschärft, dass wir es nicht schriftlich weitergeben sollten und dass niemand erfahren dürfte, woher wir es hätten. Ich muss gestehen, dass ich mir dabei seinerzeit manchmal etwas unehrlich vorgekommen bin. Es ist ein paar Mal passiert, dass jemand in meine Sprechstunde gekommen ist und ich nach einer Weile – dank des Enneagramms – die Energie oder den „Wahrnehmungsstil“ dieses Menschen ziemlich genau erfassen konnte. Während ich meine „Geheimkenntnisse“ einsetzte, dachte mein Gegenüber: „Richard Rohr liest in meiner Seele wie in einem offenen Buch und bringt mein Problem genau auf den Punkt! Wo hat er das nur gelernt?“ So erschien ich manchen fast wie ein Hellseher oder so, als hätte ich die Gabe der „Herzensschau“, die einigen Heiligen nachgesagt wird. Auf diese Art ist das Enneagramm angeblich ursprünglich verwendet worden. Es handelte sich der Legende nach um esoterisches Wissen, das die Seelenführer nur innerhalb ihrer Gruppe weitergegeben haben. Als wir Amerikaner es in die Finger bekamen, ist passiert, was passieren musste: Wir haben vor ein paar Jahren angefangen, es aufzuschreiben.

      Seither ist eine Flut von Büchern erschienen. Vor allem im katholischen Milieu hat es einen wahren Siegeszug angetreten. Vielleicht liegt es daran, dass wir katholische Ordensleute die Zeit und die Einkehrhäuser haben, um uns intensiv mit solchen Dingen zu befassen. Von dort aus wird es an suchende und interessierte Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten weitergegeben. Jetzt, da es längst nicht mehr geheim ist, möchten wir dazu beitragen, es so darzustellen, dass es angemessen angewendet werden kann und möglichst wenig Schaden anrichtet. Der „schlafende Riese“ ist aufgewacht und seine alte Weisheit ist suchenden Menschen zugänglich!

      Wir haben das Enneagramm noch nie einer Gruppe weitervermittelt, die es nicht – aus irgendeinem Grund – interessant fand. Das ist erstaunlich, weil sein Ansatz negativ ist. Das Enneagramm hat nicht die Absicht, dem Ego zu schmeicheln. Es will vielmehr eine Hilfestellung dazu geben, das loszulassen oder unnötig zu machen, was Thomas Merton und andere das „falsche Selbst“ genannt haben. Wir kennen kein anderes Hilfsmittel, das diese Aufgabe auf direkterem Wege leisten kann als das Enneagramm.

      Ich habe vor Jahren Exerzitien für 20 Bischöfe gehalten. Am ersten Tag habe ich über das kontemplative Gebet referiert. Die Bischöfe saßen da und hörten zu – schließlich waren es Bischöfe und sie mussten anstandshalber aufpassen, wenn es ums Beten ging. Man konnte sehen, dass sie zwar dabei waren, aber nicht wirklich auf die Sache „angesprungen“ sind. Ich weiß nicht mehr, was ich am zweiten Tag erzählt habe, jedenfalls waren sie schon aufmerksamer. Am dritten Tag haben mich zwei Bischöfe beiseite genommen und gesagt: „Sie müssen dieser Gruppe das Enneagramm beibringen!“ Das hatte ich eigentlich nicht vor. Aber die beiden Bischöfe haben darauf bestanden: „Doch! Das brauchen die!“ So habe ich am nächsten Morgen damit angefangen. Ich konnte miterleben, wie einige Teilnehmer, einschließlich eines frischgebackenen Kardinals, plötzlich hellwach wurden und ganz Ohr waren. Von diesem Zeitpunkt an waren sie bis zum Ende der Exerzitien voll dabei.

      Das Enneagramm bringt eine wesentliche Wahrheit unseres Seelenlebens auf den Punkt. Es tut das auf eine Weise, wie es die meisten von uns selten oder nie erlebt haben. Das Enneagramm ist von geradezu bezwingender Weisheit.

      Als ich (Richard Rohr) das Enneagramm 1970 kennenlernte, war das eine der drei großen umwälzenden spirituellen Erfahrungen meines Lebens. Ich konnte buchstäblich miterleben, wie es mir wie Schuppen von den Augen fiel und mir mit einem Schlag klar wurde, was ich bisher getrieben hatte: Ich hatte immer das Richtige gemacht (das ist für uns EINSer ein Hauptanliegen!) – aber aus falschen Beweggründen. Es ist ziemlich beschämend, das zu erkennen und zuzugeben! Deswegen gilt als Faustregel: Wer das Ganze nicht irgendwie als demütigend empfindet, hat seine oder ihre „Nummer“ noch nicht gefunden! Je demütigender es ist, desto mehr sieht man der Sache ins Auge. Wer sagt: „Es ist wunderbar, dass ich eine DREI bin“, ist entweder keine DREI oder hat nicht wirklich verstanden, wie verhängnisvoll dieses Muster ist. Das Enneagramm deckt die Spiele auf, in die wir verstrickt sind. Wäre ich beispielsweise bei jenen Bischofsexerzitien aufgestanden und hätte zu einem der Bischöfe gesagt: „Sie sind rechthaberisch und dogmatisch!“, wäre der Mann wahrscheinlich hochgegangen. Keiner lässt sich gern „rechthaberisch und dogmatisch“ nennen. Wenn ich aber sage: „EINSer – wie ich – sind rechthaberisch und dogmatisch“, ziehe ich mir den Schuh erst einmal selbst an und kann dann mein Publikum einladen, dasselbe zu tun. Aus

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