Das Enneagramm. Andreas Ebert W.

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Das Enneagramm - Andreas Ebert W.

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unter die „echten Bekehrungen“ einreiht. Es ist damit zu rechnen, dass Lull im Zeitalter des interreligiösen Dialogs neu entdeckt und wertgeschätzt werden wird. Sein franziskanisches Ideal einer demütigen, überzeugenden, machtlosen und lernfähigen Kirche ist bis heute aktuell.8

      Gurdjieff und seine Schüler waren nachweislich von der Lehre der Wüstenväter und vom Sufismus beeinflusst. Gurdjieff wurde vermutlich 1877 als Sohn einer armenischen Mutter und eines griechischen Vaters im Grenzgebiet zwischen Armenien und Georgien geboren. Zu dieser Zeit lebten in seinem Umfeld AnhängerInnen vieler großer Religionen zusammen. In diesem Landstrich wird Evagrius bis heute besonders verehrt. Die Lehre der Wüstenväter wird in der orthodoxen Spiritualität, insbesondere in der Mönchsrepublik vom Berg Athos, hochgehalten. Das mantrische „Herzensgebet“ etwa, das auf die Wüstenväter zurückgeht, hat sich dort über die Jahrhunderte erhalten. Gurdjieff ist von dieser Tradition zweifelsohne nachhaltig beeinflusst worden.

      Gurdjieff wollte Arzt werden und ließ sich gleichzeitig zum russisch-orthodoxen Priester ausbilden. Die offizielle kirchliche Lehre konnte jedoch seinen Wissensdrang und seine existenzielle Sinnsuche nicht befriedigen. Es ging ihm darum, wie wir Menschen wach werden können für unseren wirklichen Lebenssinn. Lang reiste Gurdjieff nach eigenen Auskünften von einem spirituellen Zentrum des Ostens zum anderen – bis nach Ägypten, Tibet und Indien. In einem Kloster der sufistischen „Sarmoun“-Bruderschaft will er die Überlieferung kennengelernt haben, die dem Enneagramm zugrunde liegt, wenn auch dieses Kloster bis heute unauffindbar bleibt. Zeitlebens bezeichnet Gurdjieff sich selbst als „pythagoräischen Griechen“ und „esoterischen Christen“. Gurdjieff verstand sein Werk als „esoterisches Christentum“. Vielleicht war sein Bewusstsein, „hinter den Schleier“ geschaut zu haben, der Grund, weshalb er die Ursprünge seines Wissens buchstäblich „verschleiert“ hat.

      Zusammenfassend zitiere ich Lynn Quirolos Studie:

      „In den Schriften des Evagrius Pontikus finden wir eine hoch entwickelte kontemplative Psychologie, wie sie im Westen inzwischen so gut wie ausgelöscht ist. Wir finden ferner eine pythagoräische Interpretation einer wichtigen biblischen Symbolzahl. Fragmente sowohl dieser Psychologie als auch dieser Symbollehre findet man in den Lehren von Gurdjieff und Ouspensky. Da diese Ideen Teil der hellenistischen, Kettfäden‘ im Gewebe der christlichen und islamischen Religionen waren, finden wir erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen frühchristlichem Denken und der späteren sufistischen Spiritualität und Kosmologie … Die Schriften des Evagrius und der Wüstenväter … sind eine Inspiration für Suchende in einem technologisch intelligenten, aber spirituell dunklen Zeitalter. Sie können unser Herz und unseren Verstand für jene größeren Möglichkeiten öffnen, die in jedem und jeder von uns schlummern.“

      Das mystisch-kontemplative Wissen der Wüstenväter ist auch in die Spiritualität der Sufis eingeflossen. Schon etwa 100 Jahre nach Mohammeds Tod gab es fromme Muslime, die ein einfaches Leben führen wollten. Sie verzichteten oftmals auf jeglichen Besitz und trugen als Zeichen der Askese grobe Wollgewänder (arabisch „suf“). Manche von ihnen zogen als Wanderprediger umher; andere lebten in geistlichen Bruderschaften und Gemeinschaften. Vieles an ihrer Lebensweise erinnerte an die späteren Franziskaner, die vermutlich ihrerseits unter sufistischem Einfluss standen.9 Wie an der christlichen Mystik des Mittelalters waren auch an der Bewegung des Sufismus auffallend viele Frauen beteiligt.

      Durch Gebet und Meditation wollten die Sufis der Liebe Gottes gewiss werden. Die Gottesliebe war zentrales Thema der Bewegung, wie das Gebet der Sufi-Meisterin Rabia al-Adawiyya aus dem 8. Jahrhundert zeigt:

      „O Gott, wenn ich dich aus Furcht vor der Hölle anbete, so verbrenne mich in der Hölle, und wenn ich dich in Hoffnung auf das Paradies anbete, so gib es mir nicht, doch wenn ich dich um deiner selbst willen anbete, so enthalte mir deine ewige Schönheit nicht vor!“10

      Die Sufis wurden vonseiten des offiziellen Islam heftig bekämpft. Beim einfachen Volk wurden sie aber bald als Heilige verehrt. Vielen von ihnen schrieb man Wunderkräfte zu. Legenden rankten sich um das Leben und Wirken großer Sufi-Meister. Zu den sufistischen Bruderschaften gehören auch die Orden der Derwische und die Bewegung der Fakire (faqir = arm). Vor allem in Nordafrika existieren viele von ihnen bis heute.11

      Bei den Sufis gab es, ähnlich wie bei den Wüstenvätern, eine Tradition der Seelenführung, die das Ziel verfolgte, Menschen auf dem Weg zu Gott zu begleiten.

      Jene Weisheit, deren Essenz sich auch in heutiger Enneagrammkunde wiederfindet, war offenbar eine mündliche Tradition, die über die Jahrhunderte hin vom Meister an den Schüler weitergegeben wurde. Gurdjieff hatte das Enneagramm nach eigenen Angaben in Afghanistan kennengelernt und beschrieb es als ein Perpetuum mobile. Ein Teil der Tanz- und Bewegungsformen, die er entwickelte, basierte auf der Dynamik des Enneagramms. Gurdjieff verglich das Enneagramm mit dem legendären „Stein der Weisen“ und betonte, es sei in der Geheimliteratur „nirgends zu finden … Ihm wurde von Wissenden eine so große Bedeutung verliehen, dass sie es für notwendig erachteten, seine Kenntnis geheim zu halten“.12 Als psychologische Typenlehre hat das Enneagramm bei Gurdjieff keine Rolle gespielt. Er hat niemals eine Beschreibung von neun Persönlichkeitstypen ausgearbeitet. Die heute bekannteste Form des Enneagramms der Fixierungen geht, wie erwähnt, auf Oscar Ichazo zurück. Er behauptet, dieses System von Sufimeistern in Pamir (Afghanistan) gelernt zu haben, und zwar bevor er auf Gurdjieffs Schriften stieß. In den 50er und 60er Jahren lehrte Ichazo in La Paz (Bolivien) und Arica (Chile). 1971 kam er in die USA.13 Der Psychiater Claudio Naranjo vom Esalen-Institut in Big Sur/​Kalifornien eignete sich Ichazos Modell an und entwickelte es weiter. Eine Reihe von US-amerikanischen Jesuiten, vor allem Pater Robert Ochs, stießen bei Naranjo auf das Modell. Nach langjähriger Erprobung und theologischer Prüfung entschloss sich der Jesuitenorden, das Enneagramm als ein Mittel der geistlichen Begleitung und als ein Modell für die Exerzitienarbeit zu übernehmen.

      Seit Mitte der 80er Jahre ist eine Reihe von Büchern über das Enneagramm erschienen, die zum Teil aus der Arbeit amerikanischer religiöser Orden mit dem Enneagramm erwachsen sind und zum Teil mehr von der Psychoanalyse bzw. der humanistischen Psychologie herkommen.

      Es hat sich gezeigt, dass das Enneagramm mit der christlichen Tradition geistlicher Begleitung und Menschenführung ebenso zu vereinbaren ist wie mit diversen psychotherapeutischen Ansätzen. Deshalb kann es eine Brücke zwischen Spiritualität und Psychologie schlagen. Es ist so etwas wie jene „neue Sprache“ der interkulturellen und interreligiösen Verständigung, nach der Ramon Lull gesucht hat. Das Enneagramm ist inzwischen auch „wissenschaftlich“ mehr und mehr erhärtet. Klinische Untersuchungen in den USA haben erstaunliche Ergebnisse gezeitigt. Die renommierte kalifornische Stanford University und ihre psychologische Fakultät waren Schauplatz der Ersten Internationalen Enneagrammkonferenz im Jahre 1994. Seither hat die akademische Enneagrammforschung große Fortschritte gemacht.

      Die „Vermischung“ von Psychologie, Spiritualität und Theologie mag jene stören, die auf eine „methodisch saubere“ Trennung dieser scheinbar so unterschiedlichen Zugänge zur Wirklichkeit insistieren. Die Traditionen östlicher und westlicher Weisheit und Seelenführung (die wahren Gurus, Starzen und Meister des Ostens, Ignatius), denen dieses Buch verpflichtet ist, haben dagegen immer die Zusammengehörigkeit seelischcharakterlicher und religiös-spiritueller Reifung betont. Inzwischen haben Forscher wie Ken Wilber eine integrale Spiritualität und Psychologie entwickelt, die von einem ganzheitlichen Menschenbild ausgeht und in der psychologische und spirituelle Aspekte sich ergänzen und bereichern. Einem solch ganzheitlichen Ansatz ist auch unsere Arbeit mit dem Enneagramm verpflichtet.

      Beim Enneagramm geht es, vereinfacht gesagt, um die Frage: Weshalb stoßen wir Menschen bei unserer Auseinandersetzung mit dem Leben so häufig immer wieder nur auf unser Ego, anstatt durchzustoßen zum Ganzen, zum Ganz

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