Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hightech-Kapitalismus in der großen Krise - Wolfgang Fritz Haug страница 19
39 Streeck verfolgt den »institutionalist approach closer to the particularities of contemporary capitalism« (2010, 7).
40 Auf den Begriff der Inkohärenzkrise kommen wir in Kap. 5.1 zurück.
41 Streeck fasst »the contradiction between social life and capitalist economic organization […] as inevitable and ineradicable« (2010, 31) und folgert: »… a lasting reconciliation between social and economic stability in capitalist democracies is a utopian project« (2011, 24).
Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Selbst wo sie der Sache äußerlich sind, sind sie es nicht für diejenigen, die ihr den Namen geben.42 Mit ihrer Benennung zeigen sie, wo sie ansetzen. Damit tritt hervor, was geschichtlich an ihnen ist. Wer etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse zu Beginn des 21. Jahrhunderts umstandslos als »Wissensgesellschaft« anspricht, schweigt vom herrschenden Kapitalverhältnis, wie man im Hause des Henkers vom Strick schweigt. Wer den aktuellen Kapitalismus Jahrzehnte nach dem Untergang des Fordismus noch als »Postfordismus« anspricht, ankert mit seinen Maßstäben im Vergangenen, wie wir bereits im ersten Buch »mit einer gewissen Ungeduld« (HTK I, 12) monierten. Die Rede vom »finanzgetriebenen« oder, im sprachlichen Pidgin, »finanzialisierten«43 Kapitalismus scheint wie der von Engels beschriebene »Geldmarktmensch« am Geldpseudonym der Verhältnisse gesellschaftlicher Arbeit zu kleben und das epochal determinierende Basisverhältnis von hochtechnologischen Produktivkräften und transnationalisierten Produktionsverhältnissen auszublenden.
42 Ist nicht »der Name einer Sache«, wie Marx im Kapital beiläufig sagt, »ihrer Natur ganz äußerlich« (23/115)? Das kommt darauf an. Marx bezieht sich im Kontext auf den Preis als »den Geldnamen der in der Ware vergegenständlichten Arbeit« (116). Der Geldausdruck oder die Preisform des Werts verdeckt den Wesenszusammenhang der Wertbildung durch Arbeit. Das Problem spitzt sich zu beim Lohn als ›Preis der Arbeit‹. Die wissenschaftliche Übersetzung dieses Ausdrucks durch Marx lautet ›Preis der Ware Arbeitskraft‹. Die beiden Ausdrucksformen, die alltagssprachliche und die marxsche, unterscheiden sich wie die begriffslose Kategorie vom kategorialen Begriff (vgl. HKWM 7/I, 467-86). Das Beispiel vom Lohn zeigt aber auch, dass der kategoriale Ausdruck von »Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelnen Seiten dieser bestimmten Gesellschaft« (42/40) Ausdrucksformen hervorbringt, die dem gesellschaftlichen Leben, das sich in ihnen ausspricht, keineswegs äußerlich sind. Wenn sie auch scheinhaft sind, rechnen sie doch zu jener Art von Schein, der nach Hegels Wort »dem Wesen wesentlich« ist (Ästhetik, W 13, 21) und auf den Marx »alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise« zurückführt (23/562).
43 Der englische Ausdruck »financialization« leitet sich, innersprachlich korrekt, von »financial« (finanziell) ab wie der französische Term »financiarisation« von »financier«. Als »Finanzialisierung« eingedeutscht ist er nicht weniger bewusstlos unterwürfig als die Rede von »Analysten« (von engl. »analyst«, Analytiker) oder von der »Kommodifizierung« (von engl. »commodity«, Ware) statt des marxschen »Zur-Ware-Werdens«.
Für die Bezeichnung »Postfordismus« gilt, was Arif Dirlik von den inflationären »Post«-Formulierungen der Gegenwart sagt: »Sie bezeugen ein Widerstreben, die Zukunft zu benennen, und leiten ihre Bedeutung stattdessen vom Bezug auf eine Vergangenheit ab, die nicht in die Geschichte eingehen will und fortfährt, die Gegenwart heimzusuchen und sei es nur als eine Last auf ihr.« (2008, 180) Dirlik wendet sich dagegen, der Globalisierung eine »totalisierende Macht« zuzuschreiben, auch wenn das Kapital transnational und auch global operiere. Mit gutem Grund besteht er darauf, dass Kapitalismus mehr ist als ein Kapitalprozess und dass es keine Globalisierung des Kapitalismus »als Gesellschaftsformation mit homogenisierten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen« gibt (173). Stattdessen spricht er von »Globalisierung des Kapitals«, um der Globalisierung von »Kapitalismus als ökonomischer Praxis und Kapitalismus als Kapitalakkumulation« Rechnung zu tragen (ebd.). – Doch »Globalisierung des Kapitals« ist kein sinnvoller Begriff, denn globalisiert werden allenfalls Lohnarbeits- und Kapitalverhältnisse sowie Verwertungsprozesse, und Dirlik spricht denn auch, wo es darauf ankommt, von der »Globalisierung des Kapitalismus« im Unterschied zu dessen verschiedenartiger gesellschaftlicher, politischer und kultureller Gestaltung vor Ort.44 Wie die Regulationsschule bezeichnet er den konkret-individuellen Mix einer bestimmten Gesellschaft zu bestimmter Zeit als »Gesellschaftsformation«. Aus dem marxschen Begriff fürs Abstrakt-Allgemeine, der all diese »Spielarten des Kapitalismus« als besondere Gestalten der kapitalistischen Gesellschaftsformation fasst, wird dabei der fürs Besondere.
44 »In other words, the globalization of capitalism is accompanied by its disintegration into a variety of social, political, and cultural formations.« (Dirlik 2008, 180)
2. Naturgrundlage und Epochenspezifik
Unter denen, die dieses Feld kritisch bearbeiten und dabei dem kapitalismusgeschichtlich Neuen den Epochennamen abzugewinnen versuchen, zeichnen sich zwei entgegengesetzte Denkrichtungen ab: eine historisch vergleichende, die regelmäßig wiederkehrende Ablaufmuster herausarbeitet, und eine, die in solchen Ablaufmustern das epochal Neue zu fassen sucht. Auch wenn der kritische Hauptstrom nicht auf ihrer Seite ist, hat die historisch vergleichende Richtung die besseren Karten. Zu der Frage aber, die uns bewegt, schweigen beide.
Das wirklich Neue spielt auf einer Ebene, wo die Entwicklung ebenso unwiderruflich wie wiederholungslos fortschreitet. Es ist die Ebene des produktiv-konsumtiven Stoffwechsels der gesellschaftlichen Menschheit mit der Natur, der sie umgebenden und der eigenen. Auf ihr kann der Mensch, wie Marx sieht, »nur verfahren wie die Natur selbst« (23/57). Um wie die Natur verfahren zu können, muss er die Natur erforschen und die Verfahren und ihr jeweiliges Instrumentarium entwickeln, in denen das Naturwissen sich produktiv für letztlich konsumtive Zwecke anwenden lässt. Nach beiden Seiten verändert er dadurch Natur, die ihn umgebende und die eigene, Gegenständlichkeit und Subjektivität. Für die naturverändernde Subjektseite hat Marx den Satz aufgestellt: »Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen.« (23/194f) Dieses Wie hat wiederum zwei komplementäre Seiten, deren widersprüchliche Einheit die Produktionsweise bestimmt: »Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft,