Das Halbmondamulett.. Jens Petersen

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Halbmondamulett. - Jens Petersen страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Das Halbmondamulett. - Jens Petersen

Скачать книгу

während er mit uns noch ein wenig über unsere sudanesischen Eindrücke plauderte.

      Gleich hinter der Verladerampe der Bahnstation begann die Wüste. Schnurgerade durchteilten die beiden parallelen Linien der Schienen den Sand, bis sie sich am Horizont darin verloren. Erstmals seit längerer Zeit kam wieder diese erwartungsvolle Unruhe des Reisens auf.

      “Wo bleiben denn unsere Freunde“,

      sorgte sich O-Chang.

      „Vielleicht haben sie sich jetzt beruhigt, wo offensichtlich ist, dass wir abreisen.“

      „Jedenfalls sollten zwei von uns den ganzen Zug absuchen, sowie er in Fahrt ist.“

      Bernd und ich blieben zurück im höhlenartigen Halbdunkel des Waggons.

      „Kein weisses Gesicht im ganzen Zug“,

      berichteten die Beiden, als sie zurückkamen.

      Mit der Luft kamen bald nach der Abfahrt Unmengen von Staub herein, das Dämmerlicht noch mehr verdunkelnd. Schemenhaft nur waren die Umrisse der allernächsten Umgebung auszumachen. Gelegentliche tastende Erkundungsausflüge bis an die offenen Türen der Plattform, brachten keine neuen Erkenntnisse, es sei denn die, dass draußen nach wie vor gleißender Tag war. Nichts wies daraufhin, ob wir uns noch auf der gleichen Stelle bewegten oder vielleicht schon hundert Meilen weiter. Als Basis einer kilometerhoch in den Himmel aufsteigenden Staubsäule, schob sich der Zug durch endlose trockene Ebenen. Nur einmal, wie eine Einblendung von längst Vergangenem, oder auch von dem was uns noch erwartete, sah ich eine Gruppe von Bereschinje mit ihren Kamelen, die ersten wilden Nomaden. Diesen Staubgeborenen, ledrig dunkelbraun gegerbten konnte die Sonne nichts mehr anhaben. Marionettenhaft schwebten die eleganten Körper über den Sandboden, an der Holzstange über den Schultern wie aufgehängt, die Arme lose darüber geworfen. Staub hatte ihre krausen Haarwuschel eingepudert und war die Farbe ihrer losen Röcke. Lange Schwerter in roten Lederetuis baumelten an den Hüften, Relikte einer anderen Zeit.

      Ein Gefühl des Versinkens in der Leere übermannte mich, in einer Wüste der Empfindungen und Wahrnehmungen. Es tilgte jedes Maß für Zeitabläufe. Waren inzwischen Stunden, Wochen, Monate vergangen, oder befand ich mich in einem zeitlichen Stillstand? Erlebte ich jetzt, was immer schon die Wirklichkeit ausmachte, und war alles andere nur Einbildung? Tatsächlich verfing ich mich in derart absurden Grübeleien, bis mir wie eine plötzlich auftauchende Orientierungsmarke der Gedanke kam, dass es inzwischen Nacht geworden sein musste. Das Dämmerlicht war mittlerweile völlig von der Dunkelheit aufgesogen. Außer den Stößen der Räder, der zunehmend härter werdenden Holzpritsche und einer dem Schweiß überdrüssigen Kleidung, konnte ich nichts wahrnehmen. Die Fahrt glich einem nicht enden wollenden Fiebertraum. Der üblichen Anhaltspunkte verlustig, gingen meine Sinne immer mehr dazu über, ihr eigenes Programm einer irrealen Welt zu kreieren. Die Trennwände zwischen Wirklichkeit und Phantasie weichten auf. In diesem Zustand weder wach noch schlafend, vermochten traumartige Bilder an die Oberfläche zu gelangen. Bilder von dem, was mich die letzte Zeit so beschäftigt hatte: Die Reise ins Ungewisse, in ein verbotenes Land, in eine andere Zeit. Visionen, unbekannte Erscheinungen aus fernen Epochen jenseits dokumentierter Geschichte. Zeitalter, die sich sonst im Flimmern der Legenden verloren, zeigten sich in ungeahnter Pracht, reich an Geschehnissen, die unser Bewusstsein auf anderen Wegen nur vereinzelt und zaghaft erreichten in der Sprache längst vergessener Symbole. Verleugnete Gestalten aus Mythen und frühen Kapiteln der Überlieferung nahmen Konturen an, wurden zu Lebenden mit all der Vorläufigkeit des Menschseins. Dunkle Berge an denen die Regenwolken anlegten, Täler chaotischer Urwälder dazwischen, Vulkane am Rande der Sandmeere und blühende Gärten zu ihren Füssen. Langhaarige, braune Menschen, die den Mond anbeteten, imposante Bäume mit allerlei Zierrat behangen und auserwählte Steine solange mit Öl einrieben, bis sie den Glanz der Sonne wiedergaben. Sich noch der Zeiten unfassbarer Fruchtbarkeit erinnernd, da sie arglos waren wie die Tiere, huldigten sie dem Steinbock. Sein Gehörn war ihnen Symbol der gleichermaßen geformten Sichel des Mondes, magischer Garant für Regen, Fertilität, für Leben. Die Strenge der Wüste gemahnte sie ständig an die Ungewissheit des Weiterlebens, ein immer aufs neue erlangtes Geschenk. Tief standen sie in der Dankesschuld. Auch noch so viele Opfer vermochten diese nie aufzuwiegen.

      Voll Faszination beobachteten sie jene großen Tiere mit dem seltsamen Wuchs und den traurigen Augen, die immer wieder aus der Wüste auftauchten und als einzige Wesen Kenntnis zu haben schienen, von dem was jenseits diesem Ende der Welt vorging. Eines Tages waren diese Tiere gefangen, bezwungen und zugeritten, ihnen ein mürrisches Einlenken abgetrotzt, völlig unterwerfen sollten sie sich nie. Ausgerüstet mit zugenähten und abgedichteten Ziegenbälgen, die sich mit Wasser füllen ließen, hob die Zeit der großen Reisen an. Das geschah noch Hunderte von Generationen bevor andere im Norden begannen die Zeit aufzurechnen, ausgehend von dem fiktiven Geburtsjahr eines jener vielen Propheten. Jenseits der Wüsten entdeckten sie immer neue Länder, sogar neue Meere. Nach Monaten, manchmal Jahren kehrten die Karawanen zurück, beladen mit wundersamen Dingen, ohne die man sich schon bald ein Leben nicht mehr vorstellen konnte. Mit scharfem Blick spürten sie die Bedürfnisse und Begehrlichkeiten fremder Völker, entdeckten jenseits von Neugier und Abenteuer die Möglichkeiten des Lebensunterhaltes. Bislang unbekannter Reichtum an Gütern häufte sich an, aber auch Menschen in ungewohnter Anzahl und Nähe zusammenlebend in wundersamen Gebilden aus Lehm, Städte von denen nicht einmal mehr die Namen erhalten sind. Häuser wuchsen in den Himmel und Tempel aus kunstvoll behauenem Stein. Propheten, Magier erschienen und solche, die die Wahrheit suchten in der Beobachtung aller Dinge im Himmel und auf der Erde. Aber auch Hüter eines Wissens aus längst vergessenen Zeiten gab es, unsichtbare Bruderschaften, hoch geachtet, mit Dingen dieser Welt nicht zu verführen. Oft unverständlich ihr Sinn, jedoch von zweifelsfreier Reinheit, suchten nicht selten die Mächtigen ihren Rat, lenkten sie behutsam und weit vorausschauend so manchen Gang der Dinge.

      Alte Besitzzeichen der Eigentümer auf den Tieren und magische Symbole formierten sich zu einer Ordnung, in der sich Mitteilungen festhalten und überbringen liefen, Ereignisse von Bedeutung, und die Namen der Mukarrib wurden so in den Stein geschlagen zur Erinnerung allen Nachfolgenden. Ein Netzwerk von Terrassen mit bewässerten Gärten wuchs an den Berghängen empor, hoch über die Täler hinaus. Reichtum und Kunde aus fernen Ländern häufte sich an. Alle Welt verlangte nach den duftenden Harzen aus dem Lande Hadramaut im Osten. In allen Königreichen und zu allen Göttern wurde damit geräuchert, um die Sinne zu betören, in religiöse Ekstase zu geraten und um den Gestank der Schlachtopfer zu vertreiben. Die mächtigen Könige im Lande am Nil benötigten es obendrein zu ihrer Einbalsamierung nach dem Tode. Einige Kaufleute waren bis dorthin gekommen und erzählten unglaubliche Dinge. Der große Karawanenweg, Hauptverbindung zur Außenwelt und Fluss allen Reichtums, die Weihrauchstraße genannt, führte aus dem Hadramaut kommend immer weiter nach Norden, zur Linken am Gebirge entlang, zur Rechten die Wüste neben sich, bis zur Niederlassung Gaza. Siebzig Tagesreisen fern am nördlichen Meer, wo man auf die Händler vieler Völker traf. Das waren siebzig beschwerliche Tage durch ödes Land, wo nur Dschinns die Sinne verwirrten oder Dämonen und andere Feuergeborene dem einsamen Reisenden auflauerten. Auch hatte der Reichtum der Karawanen sich nicht geheim halten lassen. Einige Beduinenstämme hatten sich ganz auf Raubüberfälle verlegt. Jederzeit konnten sie aus dem Nichts auftauchen.

      „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Sprich: Ich nehme meine Zuflucht beim Herrn der Morgendämmerung“,

      hörte ich es murmeln hinter meinem linken Ohr. Die weiteren Worte versanken in der Unkenntlichkeit, dem Gestammel eines Träumenden. Richtig, ich saß immer noch in einem Eisenbahnwaggon, der durch die Nubische Wüste rollte. Dieser Gedanke ließ sich nicht festhalten, war doch absolut nichts zu sehen, was ihn bestätigte. Wozu auch, ging es mir noch flüchtig durch den Kopf, und dann befand ich mich wieder in den blühenden Palmenhainen Südarabiens. Die Menschen kamen herbeigerannt um jene riesigen, gezähmten Tiere aus dem Lande Hind zu bewundern, deren bloßer Anblick auf dem Schlachtfeld den Gegner bereits in Panik versetzte. Ihre verspielte Seele war entzückt von dem

Скачать книгу