Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer
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Natürlich gehörten derartige Geschäfte nicht zu den ständigen Aufgaben eines Priesters des Ordens von Enkhór-mûl. Sie waren sogar eher selten und nur bei bestimmten Anlässen notwendig, aber jedes Mitglied des Inneren Kreises musste sie beherrschen und was noch bedeutsamer war, jeder dieser Priester musste um die Schutzmaßnahmen wissen, die notwendig waren, um sich vor unerwünschter Besessenheit zu schützen. Unerwünscht deshalb, weil es Umstände gab, unter denen ein Priester vorübergehend seinen Körper einem Geist, und zwar dem richtigen, zur Verfügung stellen musste. Dieser Fall war noch seltener, aber dann unvermeidlich. Auch Tjerulf hatte in solchen Dingen einige Erfahrungen gemacht, gute wie schlechte, daher sein Eingeständnis, manche Geister zu fürchten.
Im Verlauf all ihrer Geisterbeschwörungen war es den Priestern jedoch niemals gelungen, mit dem Geistwesen Elveran in Verbindung zu treten, und so hatten sie noch nicht einmal eine Ahnung davon, dass es ihn überhaupt gab. Umgekehrt war es schon der Fall, doch Elveran hielt den Orden für zu bedeutungslos, als dass er dazu bereit gewesen wäre, sich ihm zu offenbaren.
Bei einer solchen Gelegenheit jedenfalls gelangte ein »unbefugter« Dämon in den Körper von Tarkas. Es geschah aus Leichtsinn, Unachtsamkeit und, zu wenig Erfahrung. Er selbst hatte sich dabei einem Selbstversuch unterzogen, ohne einen Priester in seiner Nähe zu haben, der ihm helfen konnte.
Es dauerte einpaar Tage, bis es überhaupt auffiel, dass Tarkas nicht Tarkas war, denn der Dämon stellte sich allzu geschickt an. Erst als er begann, Unfug zu treiben, wurden die anderen Priester aufmerksam und Alben Sur verhinderte schließlich das Schlimmste. Während dieser Zeit ging Tarkas Geist buchstäblich durch die Hölle, denn er wusste nicht nur, was der Dämon im Schilde führte, ohne dem entgegenwirken zu können, er wurde auch selbst Opfer seiner Gemeinheiten. Und die Austreibung des Dämons setzte den seelischen Schmerzen die Krone auf, denn im Gegensatz zu Freno, der sich in einer wohltuenden Bewusstlosigkeit befand, erlebte Tarkas den Ablauf bei wachen Sinnen. Die Erinnerungen daran verursachten bei ihm immer noch mehr als ein bloßes Schaudern.
Wider Erwarten wurde Tarkas für seinen Leichtsinn und Ungehorsam nicht aus dem Orden entlassen, wie er befürchtet hatte, im Gegenteil. Sein Fall wurde zu einem mahnenden Beispiel dafür, was geschehen konnte, wenn bei einer Geisterbeschwörung die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen wurden. Und er bestätigte die erste Regel, solch ein Vorhaben niemals allein durchzuführen.
Das war lange her und Tarkas hatte seit dem schon wieder an einigen Geisterbeschwörungen teilgenommen, ohne dass etwas Bedrohliches geschehen war. Seine Angst davor hatte sich in ein auch jetzt noch deutliches Unbehagen gewandelt, und das würde er sein irdisches Leben lang nicht mehr verlieren, stand für ihn zu befürchten.
Der Grund für ihre Entscheidung zu einer erneuten Geisterbeschwörung lag darin, dass die Tum´rei die unauffälligsten Helfer des Ordens waren. Weder die Baumläufer noch die Formori hatten die Eigenschaft, sich so unbemerkt in der elveranischen Welt zu bewegen. Und sie waren langsamer als die Geister. Außerdem besaßen beide Gattungen ein gewisses Eigenleben. Sie waren irdische Wesen und schwerer zu beeinflussen und zu lenken. Tum´rei dagegen, einmal in die irdische Welt gerufen, waren an die Befehle ihrer Herren gebunden und würden nach der Erledigung ihres Auftrages wieder in die jenseitige Welt zurückkehren. Sie waren schnell und genügsam.
Die Roboter, von denen nicht mehr viele existierten, sollten erst ganz zum Schluss zum Einsatz kommen, wenn es galt, der Gruppe um Meneas die Fragmente zu entreißen.
„Verflucht!“, rief Amonpa, aber da lag er schon in der Pfütze.
Laut prustend warf er seinen Kopf aus dem Wasser und versuchte, Luft zu holen.
Wenn der Anlass nicht so ernst gewesen wäre, hätte Tarkas laut aufgelacht, aber im letzten Augenblick hatte er noch die Schlinge aus dünnem Seil gesehen, die sich zischelnd um einen Fuß Amonpas zusammengezogen hatte. Er war in eine der Angkinel-Fallen getreten, von denen es eine ganze Menge in Kongsdal gab, gestrauchelt und haltlos in das Wasserloch gestürzt. Das alles wäre immer noch lustig gewesen, wenn die Schlingen nicht die unangenehme Eigenschaft besessen hätten, sich schmerzhaft um die Gliedmaßen ihrer Opfer zusammenzuziehen.
Tarkas ergriff Amonpas Hand und zog ihn ins Trockene. Anschließend durchtrennte er den Strick der Falle mit seinem Kristallmesser. Es war schärfer als der beste Stahl, vertrug nur keine Schläge. Dann konnte es zerspringen.
„Hast du Schmerzen?“, fragte er Amonpa.
Der spuckte angewidert einige halbvermoderte Grashalme aus und wischte sich durch sein Gesicht.
„Danke“, meinte er. „Nein, Schmerzen nicht, meine Stiefel haben mich geschützt. Aber der Druck war schon zu spüren. Wenn mir einer dieser verfluchten Fallensteller über den Weg läuft, dann breche ich ihm eigenhändig das Genick.“
Tarkas schmunzelte. Aber er hoffte, dass sich in der nächsten Zeit kein Fallensteller sehen ließ, denn Amonpa übertrieb nicht in seinem Zorn.
Mit einem festen Griff half er seinem Ordensbruder wieder auf die Beine. Amonpa lief einpaar Mal vorsichtig im Kreis und stellte fest, dass die Schlinge keine Wirkung hinterlassen hatte. Er klopfte sich den Dreck von der Kleidung, dann gingen sie weiter.
Dieser kleine Unfall hatte sich kurz vor ihrem Ziel ereignet. Sie konnten den Tjodhain schon sehen, es waren nur noch wenige hundert Schritte. Sie waren schon vorher achtsam gewesen, aber jetzt suchten sie den Boden noch genauer nach Schlingen ab. Das war in dem hohen Gestrüpp nicht einfach. Andererseits konnten sie kaum so eng aufgestellt sein, dass man auf Schritt und Tritt Gefahr lief, von einer eingefangen zu werden. Und den Rand des Wäldchens erreichten sie auch tatsächlich ohne weiteren Zwischenfall.
„Lass uns rasten, bevor wir hineingehen“, meinte Amonpa.
„Das ist ein guter Vorschlag“, fand Tarkas.
Es war später Nachmittag und sie hatten noch einige Stunden Zeit, bevor sie mit der Zeremonie beginnen konnten. Geisterbeschwörungen konnten nur in der Dunkelheit der Nacht stattfinden, weil dann die magischen Kräfte derjenigen, die diese Kunst anwendeten, besonders stark waren. Da störte es auch nicht, wenn die Monde am Himmel standen. Um Geister zu rufen, durften die Kräfte der Beschwörer nicht durch die des Lebens in der Umgebung geschwächt werden, und das war tagsüber der Fall, wenn Tiere in der Nähe und die Pflanzen aus ihrer nächtlichen Ruhe erwacht waren. Selbst das Tageslicht unterschied sich von dem der Nacht in seiner vitalen Ausstrahlung. Daher verließ das Leben die irdischen Körper auch häufiger in der Nacht, besonders in den frühen Morgenstunden, wenn die Mächte des Tages am schwächsten waren.
Tarkas und Amonpa sprachen wenig. Beide bereiteten sich auf ihre Aufgabe vor. Tarkas versicherte, dass sein Unbehagen, das ihn nach wie vor erfüllte und sich spürbar verstärkte, ihn nicht beeinträchtigen würde. Davon war Amonpa überzeugt, denn wenn es erst einmal begonnen hatte, würde Tarkas von allen weltlichen Ablenkungen und Bedenken befreit sein.
Sie hatten sich entschlossen, vier Tum´rei herbeizurufen. Zwei sollten eine menschenähnliche Gestalt erhalten und die beiden anderen die von Pferden. Ihre Kleidung und die beiden Schwerter hatten die Priester in ihrem Gepäck, neben den Dingen, die sie für die Geisterbeschwörung benötigten. Wie lange alles dauern würde, konnte man niemals vorhersagen. Das hing davon ab, von wie weit her die Tum´rei kommen mussten, denn sie trieben sich nicht ständig in der Nähe des Tjodhaines herum. Deshalb wollten sie so bald wie möglich beginnen und das war genau eine Stunde nach dem Untergang von Nephys.