Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen. Christine Feichtinger

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Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen - Christine Feichtinger

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nachmittags mit seinem Vater Viktor in den Weinkeller mitgehen und Most trinken.

      Vor dem Einmarsch Hitlers war Karls Vater Bürgermeister gewesen. Wie oft hatte sein Vater als Bürgermeister den Nachtwächter, den Schinder (Wasenmeister des Aasplatzes), die Gemeinderäte, den Waldhüter und den Herrn Lehrer und Kantor Lorenz Schmid in seinen Weinkeller eingeladen.

      Lorenz Schmid, welcher ihm als guter Freund stets behilflich war, ihn bei all seinen politischen Entscheidungen und schriftlichen Anträgen half, ihm nach seinem Ersuchen jedes amtliche Schreiben vorlas und erklärte, Ansuchen für die Gemeinde schrieb und ihn bei allen Amtswegen beriet, zu Ämtern und Behörden begleitete, war er deshalb zu besonderem Dank verpflichtet. Jedes Mal beim Sautanz gab er ihm ein Stück gebratenes Fleisch, Blutwürste und Sauerkraut mit frischen Grammeln und frisch gebackenem Brot.

      Denn Viktor Ertl konnte nicht gut deutsch, zumal er nur sporadisch in die ungarische Schule gegangen war. Zwei Monate lang war er in die Bürgerschule gegangen, aber dann hatte ihn sein Vater zu

      seinem Missfallen herausgenommen. Nachdem bis zum Anschluss des Burgenlandes an Österreich in allen Schulen ungarisch unterrichtet worden war, waren Viktor Ertl und die anderen deutschsprachigen Kinder sechs Jahre lang in die ungarische Schule gegangen, wenn sie nicht im Dienst bei größeren Bauern waren oder zuhause in der Landwirtschaft arbeiten mussten. Deshalb verstanden und lernten sie nicht viel. Im Winter hatte er sowieso nicht die Schule besucht, da er keine winterfesten Schuhe und Bekleidung hatte. Insgeheim lächelte Karl, wenn er daran dachte, wie sein Vater das Belegen einer Kuh in seinem Kalender eintrug: „Munzi beleckt.“

      Alle Gäste im Weinkeller schätzten die Gastfreundschaft von Viktor Ertl, tranken den Wein und schauten zu, wenn er ein saftiges Uhudler-Weinbratl mit knusprigen, im Rohr gegarten Ofenkartoffel briet. Wie schon so oft vorher wurde über das Dorfvorhaben politisiert. Es hätte so manches politische Vorhaben im Dorf unter den kontrahierenden Gemeindevätern ohne die endlos durchzechten, diskussionsreiche Nächten unter der Patronanz der Promille in weinseliger Stimmung stattgefundenen Verhandlungen nicht durchgeführt werden können, wenn nicht der Wein ihre Sinne vernebelt hätte. Spätestens beim letzten Fluchtachterl hatte der Gevatter Wein spöttisch lachend sein Werk oft friedlich vollbracht. Gar mancher Bauer freute sich schadenfroh und verspürte manches Mal Genugtuung, wenn er dem studierten Herrn Lehrer einen Rausch annähen (anhängen) konnte, wo er sich sonst ihm gegenüber minderwertig vorkam, aber beim Weintrinken ihm haushoch überlegen war.

      Durch den übermäßigen Alkoholkonsum blühte der Tratsch anschließend im Dorf auf, denn nachdem der Wein sie betäubt hatte, verwechselten die Männer oft zuhause Wahrheit und Unwahrheit.

      Wie oft kamen, durch den Wein enthemmt, die negativen Charaktereigenschaften mancher Männer ungehemmt zum Vorschein.

      Von den durch ihre manchmal rauschigen (betrunkenen) Männer verärgerten Frauen des Dorfes wurde dieser Ortsteil verächtlich „Sündenpfuhl“ oder „Lasterberg“ genannt. Jedes Mal, wenn die Männer ins Dorf vom Weinkeller betrunken nach Hause kamen, schimpften die Ehefrauen, sie (die Männer) würden schauen „wie ein Uhu“, woher wahrscheinlich der Name „Uhudler“ kommt.

      Manches Mal, wenn Karls Vater von seiner Frau Anna Schimpfer bekam, wenn er zu viel trank, die Zeit vergaß und nicht zum Füttern der Haustiere heimkam und seine Mutter die Arbeit seines Vaters auch machen musste, rechtfertigte er sich lachend, dass er trachten müsse, die Fässer zu leeren, damit der neue Wein im nächsten Jahr wieder Platz in den Fässern hätte.

      Als Karl Ertl nun an jenem Märztag des Jahres 1945 vor ihrem Weinkeller stand, erinnerte er sich, wie er sich immer fürchtete, wenn er als Kind vom Weinkeller den Uhudler-Wein holen musste, denn wenn er die schwere, quietschende Eingangstür aufsperrte, kreuchten und fleuchten allerhand Fledermäuse, Ungeziefer, Mäuse geräuschvoll aus der Dunkelheit hervor und an ihm vorbei. Schon von seiner frühesten Kindheit an musste er für Zuhause eine Flasche Wein holen, mit dem Weinheber aus Kürbisgewächs vom Eigenanbau vom Weinfass Wein ansaugen, in die mit Strohgeflecht umwundene Flasche mit dem Trochter (Trichter aus Kürbisgewächs) füllen und heimbringen. Der Dunst und der erste Schluck des Weines verursachte ihm als Kind immer Übelkeit.

      Das Versteck des Schlüssels für den Weinkeller kannte er. Nun holte er den Schlüssel und sperrte auf, den Hasen unter seinem Arm. Die alte Eichentür quietschte, während er sich bückte, um in den niedrigen Raum einzutreten. Drinnen roch es muffig. In dem uralten von Holzwürmern zerfressenen Gebälk krachte die alte Tramdecke. Ihm kam es jedes Mal vor, als ob die Urahnen hier hausten, alles beobachteten und belauschten und ein Zeichen ihrer Anwesenheit gaben.

      Hier war die Zeit vor Jahrzehnten stehen geblieben und es schien, als würden die Vorfahren gespensterhaft durch die offenen Ritzen des alten Gebälks lugen, ob ihr Platz noch immer unverändert auf sie wartete. Wie oft, wenn sich das viele Ungeziefer im uralten Holzbau geräuschvoll bemerkbar machte und der Wein die Sinne der Menschen vernebelte, erschrak der eine oder andere und fühlte sich durch die verstorbenen Seelen seiner Vorfahren als Sünder beobachtet und enttarnt.

      An der Wand hing ein von seiner älteren Schwester Maria, welche alle Ritsch nannten, mit blauen Schlingstichen ausgenähtes Deckerl. Darauf stand: „Die Ruhe ist dem Menschen heilig, nur der Närrische hatʼs eilig.“

      Wie oft waren seine Eltern mit den Kindern hier im ersten Zimmer des Weinkellers gesessen, um nach der Arbeit zu rasten oder zu diskutieren. Hier standen ein kleiner Transportierofen, ein altes Bett mit einem Strohsack, ein Tisch und eine Bank zum Sitzen, im zweiten, finsteren Raum, dem Pressraum, waren die Weinpresse, der Rebler, ein Trog, ein Amper (Kübel) die schweren Eichenfässer voll Wein und sonstiges Zubehör untergebracht.

      Ein paar Uhudler-Trauben waren auf einer mit Draht aufgehängten Stange aufgefädelt, welche seine Mutter für Strudelfüllen getrocknet hatte. Er zupfte sich von den aufgehängten Weintrauben ein paar Kerne herunter, holte sich mit dem Weinheber ein Glas Wein aus dem Fass, setzte sich im vorderen Zimmer nieder und schaute aus dem kleinen Fenster, während er sich eine Zigarette anzündete. Jetzt erinnerte er sich, wie eine verwirrte, alte Frau vor langer Zeit sich in dieses kleine Fenster zu ihrem Weinkeller gequetscht hatte und stecken geblieben war. Sie war dement und schrie nach Leibeskräften immer nur „Amerika, Amerika“ bis sie gefunden und gerettet worden war.

      Karl zündete das verrußte Petroleumlämpchen an und der schwache Schein erfüllte den Raum spärlich mit Licht.

      Sogleich roch er den unangenehmen Petroleumgeruch, während die Russkäfer und Wanzen hervorkrochen und Schatten warfen.

      Jetzt bemerkte Karl, dass der Transportierofen noch warm war. Es musste erst kurz vorher von seiner Familie jemand hier gewesen sein. Wahrscheinlich waren sie mit dem Rebschnitt beschäftigt und rasteten wie immer nachher im Keller bei einem Glas Uhudler-Wein, oder es war ein Weingartennachbar mit einer Flasche Uhudler zum Tratschen hierhergekommen und sie hatten den Ofen geheizt und waren dann zum Füttern der Tiere heimgegangen.

      Karl blies in die Gliacht (Glut) und sogleich loderten die Flammen wie Zünglein hoch. Bald legte er Holzscheite nach und das Feuer knisterte und ergab eine behagliche, wohlige Wärme.

      Im Backrohr sah er eine gebratene, gut duftende Krumpern (Kartoffel) liegen und sogleich meldete sich sein knurrender Magen zurück.

      Als Karl die warme Krumpern in seiner Hand betrachtete, kam ihm in Erinnerung, wie oft er zuhause mit den hungrigen, amerklekerischen (lusterischen) Geschwistern um die letzten heißen Krumpern gestritten und gerauft hatte und wie oft sie aus dem Futterdämpfer, in welchem die Krumpern für die Schweine gekocht wurden, welche gestohlen hatten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und sogleich verschlang er gierig die Kartoffel als wäre sie ein Festessen.

      Wie

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