Zwielicht. Julia Frankau

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Zwielicht - Julia Frankau

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      "Sie werden sehen, bald werden Sie wieder gesund sein, kerngesund. Die Krankenschwester wird den Rest erledigen. Alles, was Sie tun müssen, ist zu schlafen. Falls Ihnen dies nicht gelingt, wird sie Ihnen eine weitere Dosis geben. Ich habe sie abgemessen und lasse sie hier. Sie haben doch keine Angst, oder?"

      "Nein."

      "Die guten Träume werden kommen, keine Sorge. Ich wünsche sie Ihnen von ganzem Herzen." Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren.

      "Was haben Sie mir vorhin versprochen?"

      "Nichts, was ich nicht halten werde. Gute Nacht –– "

      Dann ging er schnell weg.

      Ich war wacher, als ich es mir wünschte, und schon bald tobte der Wunsch, irgendetwas zu tun, in meinem durcheinander geratenen Verstand. Ich hatte gedacht, eine Blutung würde den Tod bedeuten, und dass ich noch so viele Dinge erledigen hätte sollen. Ich konnte mich nicht mehr an die Bestimmungen meines Testaments erinnern und war mir sicher, dass es ungerecht war. Ich hätte zu so vielen Menschen freundlicher sein sollen, zu den Toten wie zu den Lebenden. Es ist so leicht, verletzende und besserwisserische Dinge zu sagen, und so schwer, diese wieder zurückzunehmen. Ich erinnerte mich an einen besonderen Akt der Unfreundlichkeit – selbst jetzt kann ich es nicht ertragen, daran zu denken. Immerhin geschah er gegenüber jemandem, der mittlerweile gestorben ist. Und Ella – Ella wusste nicht, dass ich ihre Liebe erwiderte, in vollem Umfang, im Übermaß. Einmal, vor sehr vielen Jahren, als sie in einer Notlage war und mich für sehr reich hielt, bat sie mich, ihr fünfhundert Pfund zu leihen. Weil ich das Geld nicht hatte und zu stolz war, dies zuzugeben, war ich so unhöflich zu ihr, dass ich es selbst heute kaum glauben kann, und fragte sie, warum ich arbeiten sollte, um ihre Verschwendungssucht zu unterstützen. Aber sie war nie wirklich verschwenderisch, außer beim Geben. Oh, Gott! Diese fünfhundert Pfund! Wie oft habe ich daran gedacht. Was gäbe ich nicht dafür, nicht nein gesagt, meinen Stolz bezwungen, zugegeben zu haben, dass ich so eine große Summe gar nicht besaß. Nun gab sie ihr ganzes Geld für mich aus. Und wenn ich wirklich sterben musste, was mir durchaus möglich erschien, wäre sie ganz allein auf dieser Welt gewesen. Jede von uns war ohne die andere immer einsam gewesen. Schwesternliebe unterscheidet sich von gewöhnlicher Liebe. Seit unserer Kindheit hatten wir jeweils im Bett der anderen geschlafen, uns gegenseitig all unsere kleinen Geheimnisse erzählt, uns gegen Kindermädchen und Gouvernanten verbündet, und uns dennoch unsere Intimität unter sich ständig verändernden und wechselnden Umständen über lange und abwechslungsreiche Jahre bewahrt. Ella würde einsam sein, wenn ich tot wäre. Das wusste ich. Ein oder zwei heiße Tränen flossen aus meinen geschlossenen Lidern, während ich an Ellas wahrscheinliche Einsamkeit dachte. Ich wischte sie mit dem Laken ab und bemerkte, dass sich der Raum seltsam und ruhig anfühlte – allerdings war er nicht ganz stabil, was mir klar wurde, als ich die Augen öffnete. Also schloss ich sie. Das Morphium begann zu wirken.

      "Warum weinen Sie?"

      "Wie konnten Sie das von da drüben sehen?" Aber ich wollte nicht mehr weinen und hatte Ella bereits vergessen. Während sie sprach, öffnete ich die Augen. Das Feuer glühte schwach und der Raum war fast dunkel, jetzt wieder stabil wie immer. Margaret saß am Kamin, und ich sah sie deutlicher als je zuvor – ein blasses, kluges, wunderliches Gesicht, ausgezehrt und dennoch mit lebhaften Zügen und grauen Augen.

      "Es ist absurd zu weinen", sagte sie. "Als ich zu weinen aufhörte, gab es auf der Welt keine Tränen mehr. All der Kummer, all das Unglück starb mit mir."

      "Warum waren Sie so unglücklich?", fragte ich.

      "Weil ich eine Närrin war", antwortete sie. "Wenn Sie meine Geschichte erzählen, müssen Sie es so mitfühlend wie möglich tun, damit mein Tod den Leuten leidtut. Aber es ist die Wahrheit – ich war unglücklich, weil ich eine Närrin war."

      "Sie glauben immer noch, dass ich Ihre Geschichte schreiben werde. Die Kritiker werden sich freuen –– " Ich dachte an alles, was sie sagen würden, die schmeichelhaften Worte in den Zeitungen.

      "Warum haben Sie geweint?", beharrte sie. "Sind Sie auch eine Närrin?"

      "Nein. Aber ich will nicht sterben, um Ellas Willen."

      "Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Liebt Ella Sie? Falls ja, wird sie Sie hier behalten. Gabriel hat mich nicht genug geliebt. Wenn uns jemand dringend braucht und uns von ganzem Herzen liebt, sterben wir nicht."

      "Hat niemand Sie so geliebt?"

      "Naja – ich bin gestorben", antwortete sie kurz angebunden und starrte ins Feuer.

      Meine Gliedmaßen entspannten sich und ich fühlte mich schläfrig. Dennoch war ich mittlerweile überzeugt von meiner großen Begabung. Ich war mir selbst nie gerecht geworden, aber mit dieser Geschichte über Margaret Capel würde ich groß herauskommen. Ich schrieb in Gedanken den Eröffnungssatz – einen herrlichen Satz, fesselnd. Und dann fuhr ich mit nie gekannter Leichtigkeit fort. Mir, die ich immer nur unter allergrößten Schwierigkeiten geschrieben hatte, langsam, jeden Satz immer wieder von vorne beginnend, abwägend und bewertend, strömten die Sätze geradezu aus der Feder. Ich schrieb und schrieb.

      De Quincey hat noch nicht das letzte Wort über Morphiumträume gesprochen. Andererseits ist es schade, dass er überhaupt so gute Worte dafür gefunden hat, und sich deswegen nur wenige gute Schriftsteller trauen, ihre Erfahrungen zu erzählen. In den nächsten Tagen wandelte ich, wie ich hinterher erfuhr, zwischen Leben und Tod, die Temperatur nie unter 39 Grad, während die Blutung immer wieder von neuem einsetzte. Ich weiß nur noch, dass es ruhige und glückliche Tage waren. Ella war bei mir, und wir verstanden einander perfekt, ganz ohne Worte. Die Krankenschwestern kamen und gingen, aber am liebsten war mir, wenn Benham bei mir war, da sie meine Bedürfnisse kannte und genau wusste, wann ich durstig war oder dieses oder jenes wollte. Ganz im Gegensatz zu Lakeby, die ständig redete, dumme, angeblich schmerzlindernde Sprüche von sich gab, meine Kissen aufschüttelte, wenn ich in Ruhe gelassen werden wollte, das Bett berührte, wenn sie daran vorbeiging, mich zu dem überredete, was ich sowieso bereitwillig getan hätte, und meine Erholung insgesamt so gut wie möglich hinauszögerte. Am liebsten war ich allein, denn dann sah ich Margaret. Sie sprach nie über etwas anderes als über sich selbst, die Briefe, das Tagebuch und die Notizen, die sie mir hinterlassen hatte. Wir hatten seltsame, kleine, absurde Auseinandersetzungen. Ich sagte ihr, sie solle nicht daran zweifeln, dass ich ihre Geschichte schreiben würde; sagte ihr, dass ich es liebte, zu schreiben, ich dafür lebte und jeder Tag leer war, der kein geschriebenes Wort enthielt; dass ich nur die Vollkommenheit des Lebens genießen konnte, wenn ich an meinem Schreibtisch saß, meine Augen auf einen weit entfernten Horizont richten konnte und die Menschen meiner Fantasie und Einbildung sah, mit denen ich intimer sein konnte als mit allen, die ich auf Empfängen und überfüllten Dinnerpartys traf.

      "Die Absurdität daran ist, dass jemand, der das fühlt, was Sie gerade beschrieben haben, so schlecht schreibt. Ich kann es kaum fassen, dass Sie das Naturell eines Schriftstellers haben, aber das Talent dafür vermissen lassen", sagte sie einmal zu mir.

      "Warum sagen Sie, dass ich schlecht schreibe? Meine Bücher verkaufen sich gut! "Ich erzählte ihr, was ich mit meinen Büchern verdiente, und von dem mich liebenden, amerikanischen Publikum.

      "Verkaufen! Verkaufen! " Sie klang sehr verächtlich. "Hall Caine verkauft sich besser als Sie, und Marie Corelli und Mrs. Barclay auch."

      "Dann sollte ich vielleicht lieber einem dieser Schriftsteller Ihre Aufzeichnungen übergeben?", fragte ich übellaunig. Obwohl ich jetzt verärgert war über sie, wollte ich dennoch nicht, dass sie geht. Früher war sie oft wie ein plötzlich ausgehendes Licht verschwunden. Ich glaube, das war immer, als ich eingeschlafen bin; aber heute wollte ich

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