Quentin Durward. Walter Scott
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Während Quentin seinen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.
„Wessen Haus, lieber Sohn?“, fragte der eine.
„Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat“, entgegnete Durward.
„Junger Mensch“, sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, „Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.“
„Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!“ versetzte der andere noch mürrischer. „Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.“
Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, dass er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte. Mit schnellen Schritten eilten die beiden Männer davon, als wünschten sie, ihn so bald als möglich hinter sich zu lassen.
Nicht lange danach begegnete er einer Gruppe Winzer und stellte die gleiche Frage. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer „Meister Peter“ meine. Als aber keiner von diesen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Winzer, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen. Sie drohten ihn tüchtig zu verprügeln, wenn er weiter macht. Der Älteste von ihnen, der in einigem Ansehen bei den übrigen stand, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.
„Ihr könnt an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, dass er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Lasst ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter. Es ist am Ende wohl nur ein anderer Name für den Teufel!“ Der Schotte sah ein, dass er hier offenbar in der schwächeren Position stand, und hielt es fürs klügste, seinen Weg fortzusetzen.
Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnussbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärtsgerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie es die Jugend ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mit ansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte.
„Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?“, rief der junge Schotte den Umstehenden zu. So, wie er immer bereit war, seine Ehre zu verteidigen, so war er bereit, Menschen in Not Beistand und Hilfe zu gewähren. Einer der Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen. Dies sah einer Lilie ähnlich. Das Zeichen wurde jedoch von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umgeben. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurt den jedem Hochländer unentbehrlichen „Skene Dhu“, einen zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick mit einem kräftigen Schnitt entzwei. Die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward Hilfe zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff das Hasenpanier. Sie kümmerten sich weder um ihn noch um den vom Baum fallenden Körper. Quentin bemerkte, dass infolge des Sturzes aus nicht unbeträchtlicher Höhe, der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten wich. Trotzdem gab er seinen humanen Vorsatz nicht auf, demselben zu helfen. Er löste die schreckliche Schlinge von dessen Hals, knöpfte ihm die Jacke auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und versuchte alles Mögliche, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Auf einmal erklang ein wildes Stimmengewirr in einer ihm völlig unbekannten Mundart. Kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen sah. Das Messer zielte auf seine Brust. „Elender Sklave von Eblis!“, schrie ihn ein Mann an, der von andern Männern, Weibern und Kindern umringt wurde. Ihr wildes durcheinander Schreien, war ohrenbetäubend, aber in einem grässlichen Kauderwelsch, „willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!“ Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihn an. Von allen Seiten wiesen Messer auf ihn. Den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht. Er wehrte sich gegen die Männer, die ihn gepackt hielten. Mit einem heftigen Ruck war er frei. Dann rief er: „Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so lasst Euch sagen, dass ich ihn eben vom Baume losgeschnitten. Ich habe nicht vor, mich an seinem bisschen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch mit mir zu streiten, versucht ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die anderen Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so wäre der arme Kerl wohl noch am Leben. Durch den Sturz scheint ihm das Letzte davon abhandengekommen zu sein“.
Inzwischen hatten sich die Weiber über den Unglücklichen hergemacht und alles Mögliche versucht, ihn wieder ins Leben zu bringen. Ihre Bemühungen waren ebenso erfolglos wie die vorangehenden von Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein. Sie hoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei an, rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward die Anwesenden genauer, denn es kümmerte sich niemand mehr um ihn, überzeugt von seiner Unschuld. Für Durward wäre es das Gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um die Leute zu kümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu ziehen. Aber daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen und seine Neugierde zu stillen, blieb er. Er wollte wissen, wer hinter diesen merkwürdigen Menschen verbarg, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, dass sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer, trugen seltsamen Zierrat um den Hals. Ketten aus Silbermünzen und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben noch bedrohten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen. Nur einer trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite. Er überbot die anderen an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wohl auch Drohungen, weil er des Öfteren die Hand daran legte.
Plötzlich ertönte von anderer Seite her Pferdegetrappel. Die Leute, von denen Quentin meinte, sie seien Sarazenen ließen auf der Stelle den Leichnam fallen. Ihre Klagen wandelten sich in Schreckensrufe, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht. Bis auf Zweien gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! Von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der den Krummsäbel wild um sich geschwungen hatte. Der Nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, dass sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wusste nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte. In ihm erkannte er den Gefährten Meister Peters, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so musste dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, dass Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stand. Allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde. Und ob er bereit wäre, seine Lage zu verbessern.
Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. „Trois-Echelles und Petit-André!“,