Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Parerga und Paralipomena - Arthur Schopenhauer страница 35
Als den eigenthümlichen Charakter meines Philosophirens darf ich anführen, daß ich überall den Dingen auf den Grund zu kommen suche, indem ich nicht ablasse, sie bis auf das letzte, real Gegebene zu verfolgen. Dies geschieht vermöge eines natürlichen Hanges, der es mir fast unmöglich macht, mich bei irgend noch allgemeiner und abstrakter, daher noch unbestimmter Erkenntniß, bei bloßen Begriffen, geschweige bei Worten zu beruhigen; sondern mich weiter treibt, bis ich die letzte Grundlage aller Begriffe und Sätze, die allemal anschaulich ist, nackt vor mir habe, welche ich dann entweder als Urphänomen stehn lassen muß, wo moglich aber sie noch in ihre Elemente auflöse, jedenfalls das Wesen der Sache bis aufs Aeußerste verfolgend. Dieserwegen wird man einst (natürlich nicht, so lange ich lebe) erkennen, daß die Behandlung des selben Gegenstandes von irgend einem frühern Philosophen, gegen die meinige gehalten, flach erscheint. Daher hat die Menschheit Manches, was sie nie vergessen wird, von mir gelernt, und werden meine Schriften nicht untergehn. —
Von einem Willen läßt auch der Theismus die Welt ausgehn, von einem Willen die Planeten in ihren Bahnen geleitet und eine Natur auf ihrer Oberfläche hervorgerufen werden; nur daß er, kindischer Weise, diesen Willen nach außen verlegt und ihn erst mittelbar, nämlich unter Dazwischentretung der Erkenntniß und der Materie, nach menschlicher Art, auf die Dinge einwirken läßt; während bei mir der Wille nicht sowohl auf die Dinge, als in ihnen wirkt; ja, sie selbst gar nichts anders, als eben seine Sichtbarkeit sind. Man sieht jedoch an dieser Uebereinstimmung, daß wir Alle das ursprüngliche nicht anders, denn als einen Willen zu denken vermögen. Der Pantheismus nennt den in den Dingen wirkenden Willen einen Gott; wovon ich die Absurdität oft und stark genug gerügt habe: ich nenne ihn den Willen zum Leben; weil dies das letzte Erkennbare an ihm ausspricht. – Dies nämliche Verhältniß der Mittelbarkeit zur Unmittelbarkeit tritt abermals in der Moral ein. Die Theisten wollen eine Ausgleichung zwischen Dem, was Einer thut, und Dem, was er leidet: ich auch. Sie aber nehmen solche erst mittelst der Zeit und eines Richters und Vergelters an; ich hingegen unmittelbar, indem ich im Thäter und im Dulder das selbe Wesen nachweise. Die moralischen Resultate des Christenthums, bis zur höchsten Askese, findet man bei mir rationell und im Zusammenhange der Dinge begründet; während sie es im Christenthum durch bloße Fabeln sind. Der Glaube an diese schwindet täglich mehr; daher wird man sich zu meiner Philosophie wenden müssen. Die Pantheisten können keine ernstlich gemeinte Moral haben; – da bei ihnen Alles göttlich und vortrefflich ist. —
Ich habe viel Tadel darüber erfahren, daß ich, philosophirend, mithin theoretisch, das Leben als jammervoll und keineswegs wünschenswerth dargestellt habe: doch aber wird wer praktisch die entschiedenste Geringschätzung desselben an den Tag legt gelobt, ja bewundert; und wer um Erhaltung desselben sorgsam bemüht ist wird verachtet. —
Kaum hatten meine Schriften auch nur die Aufmerksamkeit Einzelner erregt; so ließ sich schon, hinsichtlich meines Grundgedankens, die Prioritätsklage vernehmen, und wurde angeführt, daß Schelling ein Mal gesagt hätte Wollen ist Urseyn und was man sonst in der Art irgend aufzubringen vermochte. – Hierüber ist, in Betreff der Sache selbst, zu sagen, daß die Wurzel meiner Philosophie schon in der Kantischen liegt, besonders in der Lehre vom empirischen und intelligibeln Charakter, überhaupt aber darin, daß, so oft Kant ein Mal mit dem Ding an sich etwas näher ans Licht tritt, es allemal als Wille durch seinen Schleier hervorsieht; worauf ich in meiner Kritik der Kantischen Philosophie ausdrücklich aufmerksam gemacht und demzufolge gesagt habe, daß meine Philosophie nur das zu-Ende-denken der seinigen sei. Daher darf man sich nicht wundern, wenn in den ebenfalls von Kant ausgehenden Philosophemen Fichte’s und Schelling’s sich Spuren des selben Grundgedankens finden lassen; wiewohl sie dort ohne Folge, Zusammenhang und Durchführung auftreten, und demnach als ein bloßer Vorspuk meiner Lehre anzusehen sind. Im Allgemeinen aber ist über diesen Punkt zu sagen, daß von jeder großen Wahrheit sich, ehe sie gefunden worden, ein Vorgefühl kund giebt, eine Ahndung, ein undeutliches Bild, wie im Nebel, und ein vergebliches Haschen, sie zu ergreifen; weil eben die Fortschritte der Zeit sie vorbereitet haben. Demgemäß präludiren dann vereinzelte Aussprüche. Allein nur wer eine Wahrheit aus ihren Gründen erkannt und in ihren Folgen durchdacht, ihren ganzen Inhalt entwickelt, den Umfang ihres Bereichs übersehn und sie sonach, mit vollem Bewußtseyn ihres Werthes und ihrer Wichtigkeit, deutlich und zusammenhängend dargelegt hat, der ist ihr Urheber. Daß sie hingegen, in alter oder neuer Zeit, irgend ein Mal mit halbem Bewußtseyn und fast wie ein Reden im Schlaf, ausgesprochen worden und demnach sich daselbst finden läßt, wenn man hinterher danach sucht, bedeutet, wenn sie auch totidem verbis dasteht, nicht viel mehr, als wäre es totidem litteris; gleichwie der Finder einer Sache nur Der ist, welcher sie, ihren Werth erkennend, aufhob und bewahrte; nicht aber Der, welcher sie zufällig ein Mal in die Hand nahm und wieder fallen ließ; oder, wie Kolumbus der Entdecker Amerika’s ist, nicht aber der erste Schiffbrüchige, den die Wellen ein Mal dort abwarfen. Dies eben ist der Sinn des Donatischen pereant qui ante nos nostra dixerunt. Wollte man hingegen dergleichen zufällige Aussprüche als Prioritäten gegen mich geltend machen; so hätte man viel weiter ausholen und z. B. anführen können, daß Clemens Alexandrinus (Strom. II. c. 17) sagt: προηγειται τοινυν παντων το βουλεσθαι. αί γαρ λογικαι δυναμεις του βουλεσθαι διακονοι πεφυκασι (Velle ergo omnia antecedit: rationales enim facultates sunt voluntatis ministrae. S. Sanctorum Patrum Opera polemica, Vol. V. Wirceburgi 1779: Clementis Alex. Opera Tom. II, p. 304); wie auch, daß Spinoza sagt: Cupiditas est ipsa unius cujusque natura, seu essentia (Eth. P. III, prop. 57) und vorher: Hic conatus, cum ad mentem solam refertur, Voluntas appellatur; sed cum ad mentem et corpus simul refertur, vocatur Appetitus, qui proinde nihil aliud est, quam ipsa hominjs essentia. (P. III, prop. 9, schol. und schließlich P. III. Defin. 1, explic.) – Mit großem Rechte sagt Helvetius: Il n’est point de moyens que l’envieux, sous l’apparence de la justice, n’emploie pour dégrader le mérite … C’est l’envie seule qui nous fait trouver dans les anciens toutes les découvertes modernes. Une phrase vide de sens, ou du moins inintelligible avant ces découvertes, suffit pour faire crier au plagiat. (De l’esprit IV, 7.) Und noch eine Stelle des Helvetius sei es mir erlaubt, über diesen Punkt in Erinnerung zu bringen, deren Anführung ich jedoch bitte, mir nicht als Eitelkeit und Uebermuth auszulegen, sondern allein die Richtigkeit des darin ausgedrückten Gedankens im Auge zu behalten, es dahin stehn lassend, ob irgend etwas davon auf mich Anwendung finden könne, oder nicht. Quiconque so plaît à considérer l’esprit humain voit, dans chaque siècle, cinq ou six hommes d’esprit tourner autour de la découverte que fait l’homme de génie. Si l’honneur en reste à ce dernier, c’est que cette découverte est, entre ses mains, plus féconde que dans les mains de tout autre; c’est qu’il rend ses idées avec plus de force et de netteté; et qu’enfin on voit toujours à la manière différente, dont les hommes tirent parti d’un principe ou d’une découverte, à qui ce principe ou cette découverte appartient (De l’esprit IV, 1). —
In Folge des alten, unversöhnlichen Krieges, den überall und immerdar Unfähigkeit und Dummheit gegen Geist und Verstand führt, – sie durch Legionen, er durch Einzelne vertreten, – hat Jeder, der das Werthvolle und Aechte bringt, einen schweren Kampf zu bestehn, gegen Unverstand, Stumpfheit, verdorbenen Geschmack, Privatinteressen und Neid,