Fahlmann. Christopher Ecker

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Fahlmann - Christopher Ecker

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im Lager verschwand. Dort, wo die Kippe aufgekommen war, stieg zwischen den Steinen ein Rauchfaden auf. Mein Vater war sechsundfünfzig, als er starb. Da blieben mir noch fünfundzwanzig Jahre, nicht dran denken, schreiben, muss schreiben, muss jetzt endlich mit dem Schreiben beginnen, nur noch fünfundzwanzig Jahre, muss endlich schreiben.

      Es gelang mir, den Kaffee nach oben zu transportieren, ohne etwas zu verschütten. Der Trick ist denkbar einfach. Vater hat ihn mir verraten, und ich glaube, das ist das Einzige, was ich jemals von ihm gelernt habe. «Du darfst beim Laufen nie auf die Tasse schauen», hatte er mir erklärt. Das sei der ganze Trick, und es funktioniert tatsächlich. Ich stieg die Treppe hinauf zum Dachboden, versuchte zu vergessen, eine randvolle Tasse in der Hand zu halten, zwang mich stattdessen, schwipp-schwapp, starr geradeaus zu sehen, setzte mich an den Schreibtisch, stellte die Tasse auf ein Schmierblatt – und nun begannen die richtigen Probleme. Außerirdische nahm man mir nicht ab. Aber Außerirdische waren doch das Einzige, was zählte!

      Susanne gegenüber gab ich vor, die Arbeit mit dem Tod ließe mich völlig kalt. Die Decke neben mir hob und senkte sich; Susanne hatte bereits geschlafen, als ich von zwei Bierchen aus Mollingers Eck zurückgekommen war. Sie schlief, wie üblich, auf dem Rücken, den Kopf in die Beuge des angewinkelten rechten Arms geschmiegt, das Kinn knapp über den Stoppeln der Achselhöhle. Ihr Gesicht sah friedlich aus, die Lippen glänzten leicht. Über die bloße Schulter und das Kissen ergoss sich langes dichtes Haar, ihre Haut roch nach Schlaf. Die Brüste, die sie für zu groß hielt, waren halb bedeckt, und über dem Saum der Sommerdecke erschien als mittelschwere erotische Versuchung dieser Nacht die bräunliche Rundung eines Warzenhofs. Ich legte das Buch auf den Nachttisch, bemühte mich, kein allzu schweres Beben zu erzeugen und beugte mich rüber zu Susanne. Feine kupferfarbene Härchen bedeckten ihren Körper, schimmerten im Licht der Nachttischlampe, vorsichtig zog ich an der Decke: Schwupp!, erschien die rechte Brustwarze, weiterziehen, schwupp!, sah ich die linke. Flache Höckerchen überzogen die Haut der Warzenhöfe, doch kaum traf sie der feine, feste Luftstrahl aus meinem angespitzten Mund, vergrößerten sie sich, schwollen an, die Höfe kontrahierten, ihr Durchmesser verringerte sich, und die Haut fältelte sich auf, bis sie in einer prallen, feucht glänzenden Form erstarrt war. Es fiel mir schwer, die Brustwarzen nicht zu berühren, aber da Susanne es nicht mochte, wenn man sie nachts weckte (und schon gar nicht aus erotischen Gründen), begnügte ich mich damit, sie ausgiebig zu betrachten. Bald schwollen die Brustwarzen wieder ab; Susannes Lippen öffneten sich mit einem klebrigen Schmatzen; ich griff nach einem Papiertaschentuch.

      In Momenten wie diesem überstieg es mein Fassungsvermögen, dass eine so schöne Frau freiwillig mit mir zusammenlebte. Susanne war mit einundzwanzig trotz wütender Ermahnungen ihres Trainers aus der Handballmannschaft ausgetreten, hatte ihr Studium abgebrochen (dreieinhalb Semester Sport und Bio), ihr Kinderzimmer geräumt, ihre Heimatstadt verlassen, und zu dritt (Jens begleitete uns als blinde Lurchart) waren wir in den ersten Stock meines Elternhauses gezogen, während die Habseligkeiten der Bahlows noch in zwanglosen Grüppchen vor dem Haus zusammenstanden und auf den Möbelwagen warteten. Die Rückkehr ins Elternhaus war ein Vorschlag meines Vaters, der darin wohl die letzte Möglichkeit sah, mich aus der tödlichen Umklammerung einer Zweier-WG zu befreien, in der ich mich gemeinsam mit Achim langsam aber sicher ins Nirwana soff. Ich hätte übrigens nie mit Susanne zusammengelebt, schlimmer noch, sie wahrscheinlich niemals kennengelernt, hätte ihr Achim damals in Paris nicht so gut gefallen. «Heute doch nicht mehr!», hatte sie nach ihrem unbedachten Geständnis lachend beteuert. «Aber damals», sagte ich. – «Nur solange, bis ich mit dir allein im Hotelzimmer war.» Kalt und teilnahmslos sagte ich: «Ich bin also die zweite Wahl.» – «Nein, das bist du nicht, und du weißt das ganz genau! Mensch, du kannst mir doch keinen Strick draus drehen, dass mir vor Jahren jemand anderes mal ganz gut gefallen hat!» Mir behagte nicht, dass sie bewusst vermied, Achims Namen auszusprechen. «Wer hat dir vor Jahren mal ganz gut gefallen?», bohrte ich. «Wer hat dir damals in Paris mal ganz gut gefallen?» Ich wollte, dass sie Achims Namen aussprach, jetzt sofort, alles wollte ich wissen, alles wollte ich hören, sie musste Achims Namen in den Mund nehmen, musste sich zu ihrer Schuld bekennen, den Namen, den Namen, ich wollte sie den gottverdammten Namen aussprechen hören, und als ich meine Frage zum vierten Mal wiederholte, nun mit verstellter Stimme, stand Susanne auf und verließ das Wohnzimmer.

      Dass solche Streitereien im Hause Fahlmann an der Tagesordnung waren, hätte Heinz’ Weltbild erschüttert: Für ihn war Susanne eine Göttin, und die Tatsache, dass ich mit ihr zusammenwohnte, was mich dazu berechtigte, sie nackt unter der Dusche zu sehen und mit ihr im selben Bett zu schlafen, erhob mich in den Rang eines Halbgotts, dem man so viel wie möglich über das Alltagsleben der Göttin entlocken musste; etwas, das Heinz in der entwaffnenden Unschuld des Ahnungslosen fortgesetzt versuchte, indem er unsere Gespräche mehr oder weniger geschickt in pikante Gewässer steuerte: Wer von uns zuerst ins Bad gehe, wer morgens als Erster wach werde, Geburten seien doch was Fürchterliches, Mann! Er wolle keine Frau sein! Die müssen der die Poperzel wieder zunähen! Und die Nachgeburt ist so ein Oschi! Ob ich eigentlich bei Jens’ Geburt zusehen durfte? Und war ich mal schlecht gelaunt, folgerte Heinz natürlich, Susanne habe ihre Tage, und lachte: «Dann ist wohl Handbetrieb angesagt!» Manchmal tat er mir mit seiner unbeholfenen Sehnsucht, Intimitäten über Susanne in Erfahrung zu bringen, so leid, dass ich kleine «Geheimnisse» preisgab. Etwa indem ich ihm berichtete, sie habe sich eine viel zu enge Jeans gekauft. Nach einer solchen Information konnte ich beobachten, wie hinter Heinz’ Stirn eine Maschinerie aus Bewunderung und Furcht zu werkeln begann. Furcht? Trifft es das? Hatte Heinz wirklich Angst vor Susanne? Ich denke schon. Er hatte zwar keine Probleme damit, ihr aus dem Wagen Zweideutigkeiten zuzugrölen, aber war er mit ihr allein im selben Zimmer, bekam er kalte Füße. Einmal hatte ich Großvater zum Augenarzt gefahren, während Heinz unseren Badezimmerboiler reparierte. Als ich zurückkam, empfing mich im zugequalmten Flur («Bei einer solchen Fummelei muss ich einfach fluppen!») eine verunsicherte Susanne: «Das war voll psycho! Der Heinz hat nicht ein einziges Wort mit mir gewechselt. Ist der irgendwie sauer auf mich?» – «Wer weiß!», sagte ich und behielt die Wahrheit für mich.

      Ich betrachtete die tief und fest schlafende Schöne nicht ohne Neid, denn in den meisten Nächten hatten meine Gedanken freie Fahrt auf allen Bahnen. Erst huschten sie über den Jahrmarkt, lungerten an den Buden rum, vertrieben sich die Zeit mit Dosenwerfen, Luftgewehren und Zuckerwatte, dann fuhren sie auf den Karussells, bis ihnen schlecht

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