"Und für mich ist es das ganze Leben, das auf dem Spiel steht". Christina Seidel

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Sonntag, 2. September

      Zurück aus Zwola. Aber in Warschau darf ich nicht bleiben. Ich will (muss) nach Zawieprzyce zu Onkel Ksawery.

       Montag, 10. September, in Zawieprzyce bei Lublin

      Zehn Kinder hat Onkel Ksawery und versteht zu wirtschaften. Er besitzt große Ländereien, und viele Arbeiter, die er menschlich behandelt, sagt mein Vater. Sein Landhaus ist riesengroß und steht Gästen immer offen. Auch ein schon etwas verfallenes Schlösschen aus dem 16. Jahrhundert und eine Ahnenkapelle gehören dazu. Die Gäste müssen reiten können und an der Jagd teilnehmen.

      Zawieprzyce – hier verbrachte Maria ihre Ferien

      Heute bin ich das erste Mal allein ausgeritten. Unglaublich schön … Auf Keszhoma, einem 1,60 Meter großen Wallach. Ein Mohrenkopfschimmel. Onkel Ksawery hat ihn mir anvertraut. Zuerst war ich ängstlich. Aber jetzt … Eine Stunde waren wir unterwegs. Keszhoma ist ein ganz ruhiges und friedliches Pferd. Macht, was ich sage, und freut sich über ein Stück Zucker oder wenn ich seine Mähne streichle. Alle Vasen und Gläser im Haus habe ich mit Kamille und Kornblumen gefüllt. Die Wiesen rings um Zawieprzyce sind voll davon.

       Samstag, 15. September

      Ausflug nach Lublin. Die Stadt ist heller als Warschau, freundlicher, die Menschen sitzen in Parks, an der Weichsel, spielen Schach oder plaudern. Der Sommer ist noch einmal mit ganzer Kraft zurückgekommen. Wunderschön im Sonnenlicht das alte Rathaus und die Kathedrale … Hoch über der Stadt trohnt die Burg …

       Montag, 15. Oktober

      Eine Woche war ich mit Vater in Zakopane, einem beschaulichen Dörfchen. Wir wohnten in einem der viel giebligen Holzhäuser der Goralen. Ein Haus mit ungewöhnlich reichem Balkenschnitzwerk. Diese Bergmenschen laufen in seltsam bunten Trachten umher, spielen sehr schön die verschiedensten Musikinstrumente und ihr Schafskäse ist der beste überhaupt.

      Zakopane liegt tausend Meter über dem Meeresspiegel. Kein Ort in Polen liegt höher! Beeindruckend sind die schneebedeckten Gipfel ringsherum. Wir sind bis zum Fischsee gelaufen, der am Fuße des Rysy liegt, und in dessen glasklaren, grün schimmernden Wasser man Schwärme von Fischen beobachten kann. Meinen Rucksack habe ich vollgepackt mit Steinen und Mineralien. Wir haben Falken und Mäusebussarde gesehen, sogar einen Steinadler, Gemsen und das Pfeifen der Murmeltiere gehört. Im Sommer sollen hier die Kuhschelle, Heilglöckchen, Orchideen und Edelweiß wachsen. Ich will unbedingt noch mal im Frühjahr oder Sommer hierher fahren. Ich hatte heimlich ein altes Physikbuch mitgenommen. Für abends, wenn Vater schon schlief …

       1884

       Donnerstag, 10. Januar

      Und wieder einmal habe ich die Koffer gepackt und bin zu Vaters Bruder, Onkel Zdzisław, gefahren. Er wohnt in Skalbmierz, einem kleinen Ort am Fuße der Karpaten. Der Onkel ist ganz anders als mein Vater. Er kann unglaublich lustig sein, aber dann auch plötzlich wieder aufbrausen. Hier werden immer irgendwelche Feste vorbereitet. Seine drei Töchter sollen endlich unter die Haube kommen. Sie sind aber nicht nur hübsch, sondern auch geistreich, und ich finde ihre Gegenwart angenehm und unterhaltsam.

      Wie schnell die Zeit verfliegt …

       Dienstag, 15. Januar

      Tante Maria, die Frau von Onkel Zdzisław, ist vorgestern aus Kielce angereist. Dort besitzt sie eine Klöppelschule und eine Möbelfabrik. Tante Maria ist groß, schön, blond und sehr selbstbewusst. Von Kindererziehung und Kochen hält sie nichts, das überlässt sie einer »Wahltante«. Sie trägt Hosen, raucht Zigaretten und zieht die Gesellschaft von Männern vor. Ich bewundere sie und möchte auch so ein bisschen werden wie sie. Aber nicht unbedingt rauchen und Hosen tragen …

       Sonntag, 17. Februar

       An Bronia

      Ich habe noch einmal am Sonnabend auf dem Kulig (Schlittenfahrt zur Fastnachzeit – Anm. d. Ü.) die Wonne des Karnevals genossen und denke, daß ich mich nie wieder so amüsieren werde …

       Wir sind ziemlich früh angekommen. Ich fungierte als Frisöse, denn ich kämmte die Mädchen für den Abend, und zwar sehr gut. Die anderen kamen gegen acht, unterwegs ist so einiges passiert, wir haben die Musikanten verloren und wiedergefunden, eine Kutsche ist umgekippt.

       Man teilte mir meine Nominierung zur »Braut« mit und stellte mir den »Bräutigam« vor, einen sehr gut aussehenden, schicken Krakauer. Der Kulig gelang einzigartig. Wir tanzten am hellen Tag um acht Uhr Mazurka, und es war so fröhlich wie am Anfang. Sechzehn Paare. Wir haben den herrlichen Oberek mit seinen Figuren getanzt, und du mußt wissen, daß ich ausgezeichnet Walzer tanzen gelernt habe, ich hatte einige Touren im voraus vergeben. Wenn ich herausging, um mich auszuruhen, warteten sie an der Tür auf mich.

       Donnerstag, 3. April

      Ein unverhofftes Glück … Unsere Ferien gehen weiter. Eine ehemalige Schülerin unserer Ma, die Gräfin de Fleury, hat meiner Schwester Hela und mir einen Sommerurlaub auf ihrem Landsitz Kępa angeboten. Langsam gewöhne ich mich an das faule, fröhliche Leben.

       Samstag, 12. April, in Kępa

      Wir sind wieder erst mit der Bahn, aber diesmal nördlich von Warschau bis Małkinia gefahren. Am Bahnhof stand eine prachtvolle Kutsche mit vier Pferden und einem Kutscher in blauer Livree für uns bereit.

      Der Landsitz sieht aus wie ein kleines Schloss und ist von einem wunderschönen Garten umgeben, nah bei einem Eichen- und Lindenhain. Unsere Zimmer sind groß und hell, und die freundliche Haushälterin Frau Rogowska verwöhnt uns schon morgens mit Semmeln, Keksen, Butter, Honig und Marmelade.

      Zwei Flüsse stoßen in Kępa zusammen: Narew und Biebrza, aber zum Baden ist das Wasser noch viel zu kalt.

       Sonntag, 15. Juni

       Brief an Kazia

       Jetzt sind wir schon einige Wochen in Kępa, ich müßte dir unser Leben hier beschreiben, aber ich habe keine Kraft dazu, sondern sage dir nur, daß es wunderbar ist!

       Wir machen alles, was uns einfällt, mal schlafen wir nachts, mal am Tage, wir tanzen und machen überhaupt solche Dummheiten, daß wir es manchmal verdienten, ins Irrenhaus geschickt zu werden.

       Sonntag, 20. Juli

      Hela und ich plündern die Kirschbäume, pflücken Himbeeren und suchen Pilze. Wir schwimmen und fahren Boot. Jan Moniuszko, der Bruder der Gräfin, er ist 27 Jahre alt und ein bisschen dick, bringt mir das Rudern bei.

      Zu jedem Essen trinkt er einen Viertelliter Milch. Wir haben uns einen Spaß mit ihm erlaubt und jedes Mal seine Milch verdünnt. Es hat ziemlich lange gedauert, bis er misstrauisch wurde und sich beklagte, dass die Milch grau aussehe und nicht mehr schmecke. Die Gräfin hat einen Giftanschlag vermutet, und wir konnten uns nicht mehr halten vor Lachen.

      Sie

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